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Huub Osterhuis: "Bibel spricht in der Sprache der Poesie"

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Huub Oosterhuis, religiöser Spracherneuerer nicht nur in den Niederlanden, über Gott - und die Welt - in seinen Liedern.

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Huub Oosterhuis, religiöser Spracherneuerer nicht nur in den Niederlanden, über Gott - und die Welt - in seinen Liedern.

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DIE FURCHE: Vor 50 Jahren haben Sie Ihr erstes Lied verfasst: "Solang es Menschen gibt auf Erden." Dieses Lied ist auch im deutschsprachigen katholischen Kirchengesangbuch "Gotteslob" zu finden. Wieviele Liedtexte haben Sie bis heute geschrieben?

Huub Oosterhuis: Etwa 600.

DIE FURCHE: Gibt es da ein Lied, das Sie als Ihr bestes ansehen?

Oosterhuis: Eigentlich nicht. Am wichtigsten für mich ist, dass das Wort "Gott" in den Liedern so verwendet wird, wie es in der Bibel gemeint ist. Die Bibel kennt viele Götter, die als übernatürliche Wesen auf Kosten der einfachen, kleinen Leute existieren. Und gegen diese steht in den biblischen Erzählungen und in den Psalmen der eigentliche Gott mit einem Namen, der die Solidarität mit Menschen ausdrückt - Gnade, Treue, Liebe, Freundschaft …

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DIE FURCHE: … so wie es im Buch Exodus heißt: Der Herr ging an ihm vorüber und rief: Jahwe ist ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an Huld und Treue (Ex 34,6).

Oosterhuis: Dieser allein ist Gott. Ich versuche, in meinen Liedern diesen einen Gott zur Sprache zu bringen. Das ist das allererste. Zweitens wird in dieser Welt das Wort "Gott" immer in Zusammenhang mit Macht, Unterdrückung verwendet: Gott ist allmächtig … Aber der Gott der Bibel ist das nicht! Das ist das ewige Gottes-Thema in unseren Liedern.

DIE FURCHE: Aber die Bibel spricht doch auch von einem mächtigen Gott!

Oosterhuis: In der Bibel ist ein Gott zugegen, der Menschen zur Solidarität aufruft, zum Erbarmen. Die Macht der Solidarität und des Erbarmens, das ist die Macht Gottes. Gott ist in dieser Welt so mächtig, wie Menschen solidarisch und barmherzig sind.

DIE FURCHE: Was war Ihre Motivation vor 50 Jahren, Ihr erstes Lied zu schreiben?

Oosterhuis: Zunächst eine ganz praktische: Es war die Zeit, in welcher der Übergang von einer lateinischen Liturgie auf die Liturgie in der Landessprache stattfand. Und da wurde ich gefragt, etwas mit der Bibel im Hintergrund zu machen. Und so ist dieses Lied "Solang es Menschen gibt auf Erden" entstanden, mehr oder weniger zufällig. Zwei, drei Jahre später habe ich begriffen, dass es meine Lebensbestimmung ist, Lieder, die auf der Bibel fußen, für die niederländische Liturgie zu schreiben.

DIE FURCHE: Sie versuchen also, Ihre Texte in der Sprache der Bibel, der Sprache der biblischen Dichterinnen und Dichter zu schreiben.

Oosterhuis: Ja. Das heißt aber nicht, dass ich die Bibel einfach wiederhole oder kopiere. Die Sprache der Bibel muss man in heutige Sprache übersetzen.

DIE FURCHE: Aber auch wenn es eine Sprache von heute ist, schreiben Sie nicht in der Sprache des täglichen Lebens, sondern in einer dichterischen Sprache, …

Oosterhuis: Poesie!

DIE FURCHE: … weil auch die Bibel in einer dichterischen Sprache verfasst wurde …

Oosterhuis: … zum Beispiel die Psalmen: Die Bibel spricht in der Sprache der Poesie und nicht in der Sprache der Zeitung.

DIE FURCHE: Sie kommen aus der katholischen Tradition, waren Jesuit, sind aber von Anfang an verbunden mit der Amsterdamer Studentenekklesia, einer Gemeinde, die seit 1970 außerhalb der offiziellen katholischen Kirche steht. Sehen Sie generell einen Rückzug der katholischen Kirche in den Niederlanden weg von Innovation und Erneuerung?

Oosterhuis: Ja.

DIE FURCHE: Und mit den anderen großen Kirchengemeinschaften, den Protestanten: Ist es da einfacher, oder gibt es auch da Rückzugstendenzen.

Oosterhuis: Einige meiner Lieder finden sich in deren Liedbuch. Es gibt da auch immer mehr Chöre, die meine Lieder gerne singen - früher gab es bei den Reformierten überhaupt keine Chöre. Und es gibt auch in Deutschland und Flandern seit Jahrzehnten einige katholische und evangelische Gemeinden, die dieses Repertoire in ihrer Liturgie verwenden.

DIE FURCHE: Schreiben Sie heute anders als in den fünfziger Jahren?

Oosterhuis: Heute lehnt sich meine Sprache weniger an die traditionelle liturgische Sprache, sondern eben mehr an die Bibel an. Das ist im Lauf der Jahre gewachsen. Die Texte fußen weniger auf einer christozentrierten Dogmatik. Das Wort "Christus" kommt etwa in meinen Liedern nicht mehr vor, eher verwende ich das ursprünglichere Wort "Messias" …

DIE FURCHE: … das hebräisch "der Gesalbte" bedeutet, was dann auf Griechisch mit "Christos" übersetzt wurde.

Oosterhuis: Dieses Wort drückte die Erwartung Israels aus, die dann zu einer allgemein menschlichen Zukunftserwartung wurde, dass das Reich Gottes noch kommen muss. Das ist ein Gegensatz zur römisch-katholischen Vision, nach der das Reich Gottes in der Kirche schon mehr oder weniger sichtbar und anwesend ist. Das ist eine Theologie, mit der wir nicht mehr mitkönnen.

DIE FURCHE: Stimmt es, dass Sie auch in die Politik gegangen sind?

Oosterhuis: Nein. Aber das, was die Bibel erzählt, ist eine politische Geschichte, eine Erzählung von Recht und Unrecht in dieser Welt. Schon seit den sechziger Jahren versucht man diese Geschichte "politisch" zu lesen. Wenn man das ausspricht, dann heißt es jedoch: Das ist Politik, die hat in der Kirche nichts zu suchen. Andere wiederum sagen: Euer Jesus ist ein Sozialist, und ihr wollt, dass wir dann für die SP, die niederländische Sozialistische Partei, stimmen. Ich habe ein einziges Mal - vor den Wahlen 2006 - die SP gefördert, damit sie ins Parlament kommt, um das konkrete politische Problem der Asylwerber zu lösen und zwar mit dem "Generalpardon", also der Legalisierung von 26.000 Asylwerbern, deren Verfahren schon jahrelang dauerten. Das ging erst, als es nach den letzten Wahlen eine Parlamentsmehrheit links der Mitte gab. Und genau da habe ich - wie gesagt ein einziges Mal! - die SP unterstützt.

Das Gespräch führte Otto Friedrich.

Im Sommer erscheint ein umfassendes Oosterhuis-Liederbuch auf Deutsch:

Du bist der Atem meiner Lieder

100 Lieder und Gesänge

Von Huub Oosterhuis, Hg. Cornelis Kok. Verlag Herder, Freiburg 2008 256 Seiten, kt. € 17,40

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