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Bibel und Praxis
Die Gleichberechtigung im geistlichen Amt war in der evangelischen Kirche nicht selbstverständlich, sondern ein langer geschichtlicher Prozeß.
Die Gleichberechtigung im geistlichen Amt war in der evangelischen Kirche nicht selbstverständlich, sondern ein langer geschichtlicher Prozeß.
Am 1. Dezember 1995 feierten evangelische Theologinnen einen großen Festgottesdienst: 15 Jahre Gleichberechtigung in unserer Kirche, oder klarer gesagt, die gesetzliche Gleichstellung zwischen Frauen und Männern im „geistlichen Amt".
Das war ohne Frage ein Meilenstein. Trotzdem ist es mir wichtig festzuhalten, daß ich aus diesem Grund keine besondere Dankbarkeit meiner Kirche gegenüber empfinde. Das sagte ich auch in der Predigt zum besagten Festgottesdienst in der Wiener reformierten Stadtkirche. Es gehört nämlich zum evangelischen Selbstverständnis, daß nicht die Institution Kirche solche „Gnaden" erteilt (oder verweigert), sondern daß der Christen Lebenspraxis zu jeder Zeit an der Bibel zu messen sei. Und zwar nicht in Form einer „Schlacht zwischen widersprüchlichen Bibelzitaten" (mit denen sich immer alles und nichts begründen läßt), sondern in redlicher Verantwortung. Schon Luther wußte, daß es nicht nur solche Schriftstellen gibt, die die „Frohbotschaft ans Licht bringen", sondern auch „dunkle Stellen", aus denen sich dunkle Argumentationsketten ableiten lassen.
Das haben (nicht nur) die Frauen in der evangelischen Kirche immer wieder in ihrer Geschichte erfahren: Zementierte' Macht der „Weltbilder von starken Männern", die als „Schöpfungsordnung" auftritt, Frauen auf die Hausfrauen- und Mutterrolle beschränkt, auf das „Schweigen in der Gemeinde" (dem Apostel Paulus in die Schuhe geschoben) und auf das „Untertansein" (von Männern verständlicherweise gern begrüßt).
In welcher Art und Weise Schriftauslegung geschieht, offenbart sich stets in den Strukturen unserer Lebenspraxis: Herrscht Macht? Und als Kehrseite die Ohnmacht der Unterdrückten? Oder gibt es den freien „Spielraum" für gemeinsames Suchen, Fragen und Finden? Denn, wie Erich Fried so schön sagt, „Freiheit herrscht nicht". Das gilt natürlich erst recht für „Das Evangelium"!
Heute zählt die „Frau im Pfarramt" zu einer selbstverständlichen Größe in den evangelischen Gemeinden, die demokratisch organisiert sind und stolz darauf, daß sie einem wesentlichen Grundprinzip evangelischer Glaubenslehre treu geblieben sind: der Unterscheidung zwischen „Gesetz und Evangelium". Die Menschen sind mitgewachsen im Dialog mit dem evangelischen Bibelverständnis. Vielleicht weniger durch intellektuelle Auseinandersetzungen, aber umso mehr durch demokratische, erlebbare „Strukturoffenheit".
Gläubige haben etwas Wesentliches von ihrem reformatorischen Glauben gelernt. Daß wohl die Schrift, die Bibel eine „Norm" ist, aber eine die zu Visionen befähigt und nicht zu „ewigen Bezepten" (Norma normans gegen Norma normata).
Evangelische Gemeinden haben also die Chance, durch Zeiten, Erfahrungen und unzählige Dialoge faire Entwicklungen durchzustehen. Auch sie sind stets „Kinder ihrer Zeit", ihres Weltbildes und eines bestimmten Lebensgefühles.
Doch die Bibel ist in allen Zeiten gut als „Unruhestifterin", die den Menschen vor Augen hält, was ist (wie sie leben) und zugleich was sein sollte (was sie glauben). Sie ist nicht Gesetzbuch mit ewigen Normen, sondern „normt" unsere Orientierung in Richtung der jesuanischen „Reich-Gottes-Vision", wie sie Paulus in Gal. 3,28 formuliert: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt eins in Christus Jesus."
Die Autorin ist
evangelische Superintendentin A.B. im Burgenland
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