"Bis zuletzt wird Gestritten"

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Auch wenn das Panorthodoxe Konzil, das am 19. Juni beginnen soll, auf der Kippe steht: Dialog ist in der Welt-Orthodoxie dringend angesagt.

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Auch wenn das Panorthodoxe Konzil, das am 19. Juni beginnen soll, auf der Kippe steht: Dialog ist in der Welt-Orthodoxie dringend angesagt.

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Vom Balkon seines Hauses hat Alexandros Papaderos einen schönen Blick auf Kolymbari, auf das Meer, das hier besonders blau leuchtet - und auf seinen früheren Arbeitsplatz. Am Ende des Dorfes steigt die Straße an und führt zum Kloster Gonia. Dahinter, auf Klostergründen erbaut, steht die Orthodoxe Akademie von Kreta. Papaderos hat sie gemeinsam mit dem damaligen Bischof von Kissamos und Selinon, Irenaios Galanakis, ins Leben gerufen und war viele Jahre lang ihr Direktor.

1968, als sie eröffnet werden sollte, hatte eine Militärjunta die Macht an sich gerissen. Aufsperren oder nicht? Die beiden Gründer wagten es. Zu einem "Ort des Dialogs in Zeiten des Monologs" sollte die Akademie werden. "Wenn ein Volk schweigen muss, hat seine Kirche zu reden", sagt Papaderos.

Die Orthodoxe Akademie ist ein guter Ort für das nach Kreta einberufene "Heilige und Große Konzil". Manch einer der besonders zögerlichen Hierarchen täte gut daran, sich von ihrem Mut zum Dialog ein großes Stück abzuschneiden. Alexandros Papaderos musste als Zehnjähriger ins KZ, weil er dem Widerstand gegen die deutsche Besatzung als Kurier gedient hatte. Auf dem Hügel hinter der Akademie erinnert ein stilles Mahnmal an die einheimischen Gefallenen der Schlacht um Kreta vor 75 Jahren. Nicht weit von Kolymbari liegen Soldatenfriedhöfe, der deutsche in Maleme, jener der Alliierten in der Souda-Bucht bei Chania. Nach dem Krieg hätte Papaderos viele Gründe gehabt, alles Deutsche zu meiden. Stattdessen ging er ausgerechnet ins Land der ehemaligen Besatzer, um Philosophie zu studieren. Krieg ist für ihn die "Erinnerung an etwas, das geschehen ist und nie wieder geschehen darf." Und der Dialog die Chance, es zu verhindern.

Dialog-Optimismus nicht von allen geteilt

Die jüngsten Auseinandersetzungen um das Panorthodoxe Konzil, das seit mindestens 50 Jahren vorbereitet wird, haben gezeigt, dass ein Dialog-Optimismus, wie er von der Akademie vorgelebt wird, längst nicht von allen Orthodoxen geteilt wird. Konservative Kritik verschaffte sich in Internet-Foren lautstark Gehör. Viele Orthodoxe haben gelernt, dass ihre Kirche gegenüber der römischen mit ihrem Papst und ihren neuen Dogmen, aber auch gegenüber den Protestanten mit ihrer Frauenordination, der Hort christlicher Wahrheit sei. Sie verstehen nicht, was es mit Häretikern und Abweichlern zu verhandeln gäbe. Auf einer Moskauer Website wird sogar argumentiert, der Dialog sei nichts anderes als eine Propaganda-Waffe in den Händen des Westens, scharf gemacht mit dem Ziel der Zerstörung Russlands. Dass eine solche Sicht der Dinge auch die dialogorientierten Kräfte in der eigenen Kirche -allen voran den Ökumenischen Patriarchen in Konstantinopel -zu Gegnern erklärt, ist nicht verwunderlich.

Dazu kommen politische Argumentationsmuster. In der zuletzt forcierten medialen Präsenz des Moskauer Patriarchen sehen Skeptiker die führende Hand Wladimir Putins am Werk. Im Gegenzug vermuten andere, die Bemühungen ums Konzil und eine Stärkung der Rolle des Ökumenischen Patriarchen passe dem Westen, also "den Amerikanern", gut ins Konzept. Im Geflecht solch misstrauischer Vermutungen sehen viele nicht ein, warum sie heilige Grundsätze ihrer Kirche für "political correctness" oder strategisches Kalkül aufs Spiel setzen sollen.

"Bis zum letzten Tag wird gestritten werden", prophezeit Chrysostomos Savatos mit einem stillen Lächeln. Er kennt seine Pappenheimer. Savatos ist Dogmatikprofessor an der Athener Universität und, als Bischof von Messenien, einer von 24 Bischöfen in der griechischen Konzilsdelegation. Savatos ist ein prononcierter Vertreter des Dialogs. Die Erfahrung habe gezeigt, dass das ökumenische Gespräch durchaus möglich und fruchtbar sei. Die Notwendigkeit zum Dialog argumentiert er theologisch: Die christliche Wahrheit sei ihrem Wesen nach dialogisch; man könne sich ihr nur im Gespräch mit anderen nähern. Ob es eines Tages auch ein gemeinsames Konzil von Ost-und Westkirchen geben könnte? Da bleibt der Professor Realist. Ein Millennium der Trennung lasse sich nicht in ein paar Jahren oder Jahrzehnten wettmachen. Andererseits müssten die Kirchen zuvor ihre inneren Meinungsverschiedenheiten austragen -was, wie wieder einmal deutlich wird, alles andere als einfach ist. Im Gespräch zeigte sich Savatos optimistisch, dass das Konzil am Ende doch wie geplant stattfinden werde. Aber da hatte die russische Kirche noch nicht abgesagt.

Umfassende Vorbereitungen in der Akademie

In der Orthodoxen Akademie stehen umfangreiche Vorbereitungen vor dem Abschluss. Emanuela Larentzakis, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Tochter des gleichnamigen Grazer Theologen, erinnert daran, dass erst Ende Jänner die Entscheidung zum Konzil und seinem Austragungsort gefallen ist. Abgesehen von dem riesigen Arbeitsaufwand für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bedeute die Synode für die Akademie eine "unglaublich große Ehre - etwas, das wir in seiner ganzen Dimension vielleicht noch gar nicht verstanden haben." Der Akademie-Direktor, Konstantinos Zorbas, erzählt, dass die Nachricht mitten in die anlaufenden Vorbereitungen zum fünfzigjährigen Jubiläum 2018 geplatzt sei. Seine Freude, für ein -wie er sagt-"welthistorisches Ereignis" einen Beitrag leisten zu können, verbirgt er nicht. Vor allem von der in Aussicht gestellten Schlusserklärung des Konzils erwartet er sich viel, nämlich eine "Antwort der orthodoxen Hierarchen auf die heutigen Probleme der Menschen." Bischof Amfilochios Andronikakis, der Präsident der Akademie, verweist auf das benachbarte Kloster Gonia, das der Odigitria geweiht ist, der den Weg weisenden Gottesmutter. Einheit und Wegweisung. Die Hoffnung, die auf der Kirchenversammlung ruht, ist groß.

Das Große und Heilige Konzil wäre, wenn es denn wie geplant stattfindet, ein wichtiger erster Schritt, dem andere folgen müssten.

Der konziliare Prozess, hoffen seine Befürworter, sollte nicht weniger als eine Standortbestimmung und Neuorientierung der Orthodoxie zustande bringen. Es ist die erste große panorthodoxe Synode nach 787, vor allem aber nach dem Ende des Osmanischen Reiches und dem Entstehen der Nationalstaaten, nach den Kriegen des 20. Jahrhunderts, nach dem Zerfall Jugoslawiens und der Sowjetunion. Neu entstandene Kirchen pochen auf ihre Unabhängigkeit - etwa in Mazedonien oder in der Ukraine. Für den Tagesordnungspunkt "Die autokephalen Kirchen und ihre Proklamation" war diesmal im Vorfeld noch keine Einigkeit zu erzielen. Man wird ihn nicht aussparen können. Das Verhältnis von Kirche und politischer Macht braucht ein klärendes Wort. Auch über die Frage, wie die Orthodoxen nationalistische Eigenbrötelei überwinden und zu gelebter Einheit finden, wird man reden müssen.

Nicht zuletzt gibt es bezüglich der Rolle der Frau Gesprächsbedarf. Diakoninnen sind nicht nur in der katholischen Kirche ein Thema. Doch für alle folgenden ist es entscheidend, dass der erste Schritt gelingt.

Auf dem Balkon denke er oft an den Psalmisten, der das Mittelmeer als "das Meer, so groß und weit" besungen habe, sagt Akademie-Gründer Papaderos. Aber: "Manchmal fürchte ich, das Wasser könnte sich rot färben vom Blut der vielen Menschen, die darin verlorengehen." Der Gedanke enthebt die "Große und Heilige Synode" nicht dem Streit der Jahrzehnte und Jahrhunderte, aber er stellt sie ins Heute. Es ist dieses "große und weite" Meer der Bibel, in dem Flüchtlinge zu Hunderten und Tausenden ertrinken. Das Konzil kommt nach Griechenland in einer Zeit, in der die Finanzkrise bittere Fragen nach der Würde des Menschen stellt. Und der Nahe Osten brennt.

An der Mauer der Akademie steht eine Skulptur, ein hockender Asket, der mit großen Augen aufs Meer blickt. "Der Seher" heißt sie. Eine "prophylaktische Diakonie" werde gebraucht, sagt Papaderos. Eine Diakonie, die "nicht wartet, bis die Opfer da sind", sondern sich bemüht vorauszuschauen und zu erkennen, was kommt.

Eine Zukunftshoffnung. Doch ein Sprecher des Ökumenischen Patriarchats bemerkte dieser Tage ernüchtert: "Einheit ist ein langsamer und schmerzhafter Prozess."

Der Autor ist Religionsjournalist und Dokumentarfilmer beim ORF-Fernsehen

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