Blutbad im "Mittelpunkt des Erdkreises"

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Am 15. Juli 1099 eroberten die Kreuzfahrer Jerusalem - und veranstalteten ein Massaker. 900 Jahre später ist die Heilige Stadt immer noch nicht zum Frieden gekommen. Und die Religion erscheint damals wie heute mißbraucht.

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Am 15. Juli 1099 eroberten die Kreuzfahrer Jerusalem - und veranstalteten ein Massaker. 900 Jahre später ist die Heilige Stadt immer noch nicht zum Frieden gekommen. Und die Religion erscheint damals wie heute mißbraucht.

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Aus der Ansprache Papst Urban II. auf der Synode von Clermont: Im Mittelpunkt des Erdkreises, in Jerusalem, von wo das Wort des Herrn ausgegangen ist (Jes 2,7), in "der heiligen Stadt" (Mt 27,53), die durch des Heilands Wandel und Tod für ewige Zeiten geweiht ist, hat der Antichrist seine Herrschaft begründet und befestigt! Das Blut der erschlagenen Christen schreit laut, die hier stehenden Pilger, welche von den rohen Gewalttaten der Muselmänner zu erzählen wissen, heben flehend die Hände empor! Und ihr wollt zögern, eure Christenpflicht zu erfüllen?

40.000 bis 70.000 Tote Jenem 15. Juli im Jahre 1099 war nur eine kurze Nacht zuvorgegangen. Seit Tagen hatten die Belagerer den Ring um die Stadt enger gezogen.

Am 8. Juli hatten sie die Mauern in einer feierlichen Bittprozession umkreist. Sie waren müde, durstig, der heiße Schirokko zerrte an den Nerven. Jahre eines mühsamen Kriegszuges lagen hinter ihnen und greifbar vor ihnen: Das Kreuz, das Grab, die Stätten des Leidens und des Todes Jesu - deretwegen sie diesen Weg auf sich genommen hatten.

Und die in der Stadt? Muslime und Juden beobachteten von der Mauer aus den Umgang, sahen das Wachsen der hölzernen Belagerungstürme mit ihren Rädern und Schleudern. Nahrungsmittel wurden knapp, aber geheime Boten wußten von einem Entsatzheer, das aus Ägypten der belagerten Stadt zu Hilfe kommen sollte.

Der Sturm auf die Stadt erfolgte von allen Seiten gleichzeitig. Am Stephanstor, an der Westseite durchbrachen die Christen als erstes die Mauer.

Die Geräusche - Schreie, splitterndes Holz, Stein auf Stein, Feuer - haben sich nicht übermittelt, entziehen sich der Vorstellung, keine Quelle berichtet davon.

Detailliert aber sind die Schilderungen dessen, was danach geschah: Die Kreuz-Fahrer, besinnungslos nach dem Sieg, mordeten durch die Straßen, Häuser und Moscheen. Keine Frau, kein Kind, kein Mann war vor ihnen sicher.

Das Massenmorden der Christen an Muslimen und der Kollaboration bezichtigten Juden dauerte während des ganzen Nachmittags und der darauffolgenden Nacht. In der Al-Aksa Moschee und der größten Synagoge der Stadt hatten die Menschen Zuflucht gesucht, die Moslems wurden in der Moschee erschlagen, die Juden in der Synagoge verbrannt.

Zwischen 40.000 und 70.000 Menschen wurden Opfer der rasenden Christen.

"Jerusalem wird zertreten sein, bis daß die Zeit der Heiden erfüllt ist" (Lk 21,24). Ihr sollt diese Zeit der Erfüllung bringen. Darum "gürte jeder sein Schwert um" (Ps 45,4) und schlagt die Amalekiter nieder! Wir Geistlichen aber wollen wie einst Moses betend die Hände zu Gott erheben, daß er euch Sieg verleihe.

Und ihr, die ihr mit dem Zeichen des Kreuzes euch schmückt, werdet sicher von Gott nicht verlassen werden, sondern er wird euch als treue Arbeiter in seinem Weinberg belohnen; ihr die ihr früher arm und bedrückt wart, werdet die Länder und Reichtümer eurer Feinde gewinnen und in der Ewigkeit "den unverwelklichen Kranz der Ehre und Herrlichkeit" (1 Petr 5,4). (Aus der Rede Papst Urban II. auf der Synode von Clermont 1095) Der Papst siegte Zwei Wochen nach der Eroberung Jerusalems starb Papst Urban II., ohne jemals den Ausgang seines Unternehmens erfahren zu haben.

Niemand darf - auf Grund der Quellenlage - Papst Urban II. unterstellen, daß er diese Vision der Befreiung der christlichen Heiligtümer vor Augen hatte. Aber, es gibt in der Geschichte keine Zufälligkeiten. Die Frage: "Wem nützt es?" ist auch in der Kirchengeschichte für den Historiker eine erfolgversprechende.

Mitten im Investiturstreit beginnt der erste Kreuzzug, am Höhepunkt der Spannung zwischen Gregorianern und der kaiserlichen Partei. Auf der Synode von Clermont, auf der Papst Urban II. zum Kreuzzug aufrief, wurden auch die Dekrete gegen Simonie, Klerikerkonkubinat und Laieninvestitur erneuert und darüber hinaus auch das Verbot des Lehens-Eides für Geistliche ausgesprochen. Das Papsttum zeigte sich in seiner unbestrittenen Führerschaft der abendländischen Welt.

Der Hilferuf Byzanz' an die Kirche und das Reich des Westens kam zur rechten Zeit. Nach dem großen Schisma zwischen Rom und der Ostkirche konnte sich Papst Urban II. bei dieser gemeinsamen Aktion auch wieder eine Vereinigung der Kirchen erhoffen.

Heilige Krieger Die Idee eines "Heiligen Krieges", die bis in unsere Zeit durch die Köpfe geisterte, hatte Papst Urban II. zum geistigen Vater. Doch: Blutvergießen wird von Kirchenmännern während des gesamten Mittelalters verurteilt. Eine der Ausnahmen: die Verteidigung oder Ausbreitung der Kirche.

In den Berichten über das Leben und die Taten kampfesmutiger Laien wird eine wohlwollende, ja bewundernde Sicht der Gewaltanwendungen und des Todes auf dem Schlachtfeld deutlich. Kriegstüchtigkeit galt beim mittelalterlichen Menschen, weltlichen wie geistlichen, als wesentliches Merkmal der voll entfalteten Persönlichkeit des Mannes. Heilige, die hoch im Kurs standen, waren "heilige Krieger" (zum Beispiel der Hl. Savinius).

Und die Kirche war wesentlich mitbeteiligt an der Gründung einer eigenen Kriegerkaste: der Institution des Ritterstandes, ihrer theologischen Interpretation, sowie der Errichtung religiöser Ritterorden. Sie sollten den kriegerischen Animus des Adeligen entschärfen und die "gottgewollte Ordnung" festigen.

"Lebende Teufel" Nicht zuletzt hatten Naturkatastrophen und Epidemien in den Jahren 1085-1095 die Bevölkerung Mitteleuropas heimgesucht. Nordostfrankreich und der äußerste Westen Deutschlands hatten eine ständige Folge von Überschwemmungen, Trockenperioden und Hungersnöte erlebt. Seit 1089 grassierte eine besonders bösartige Form der Pest, raffte urplötzlich die Menschen auf qualvolle Weise hinweg.

Der Tod des einzelnen spielte keine Rolle. Religion, Familie, Reich waren geltende Kategorien, alles andere schien zufällig. Andachts- und Bußgemeinschaften scharten sich um Heilverkündende. In diese Tradition stieß Peter der Eremit vor, der den Kreuzzugsgedanken des Papstes an die einfache Bevölkerung verbreitete. Die pauperes, sahen die Möglichkeit ihrem Schicksal zu entrinnen und machten sich in Massen, ungeordnet, unvorbereitet unter der Führung zweifelhafter Pseudopropheten auf gegen Osten, gegen Jerusalem zu ziehen. Die Vorstellung des himmlischen Jerusalems, das am Ende der Zeiten den Sieg des Heils über das Unheil versprach, verschmolz mit der von den Muslimen besetzten palästinensischen Stadt. Die Aussicht auf irdische Güter wurde zur Vision einer himmlischen Belohnung.

Die pauperes, diese armen, zerlumpten Horden zogen los, Monate ehe sich das Kreuzzugsheer formieren konnte. Legendäre Geschichten kursierten über diese "Tafurs", wie sie bezeichnet wurden. Sie verbreiteten Schrecken, wohin sie auch kamen - und sie kamen weiter, als man annehmen würde. Freilich starben viele auf der Reise, aber die die sich bis in die Nähe von Jerusalem durchschlagen konnten wurden von den Muslimen "nicht Franken, sondern lebende Teufel" genannt.

Und doch steht hinter allem die Religion, nicht als Schuldige, aber als Mißbrauchte. Tausend Jahre lang zogen Pilger friedlich zu den heiligen Stätten. Jerusalem war nun einmal die Stadt in der sich das Heil ereignet hatte. Die Vertreibung der Christen aus der Stadt, weg von ihren Kirchen und Gräbern würde nicht unbeantwortet bleiben.

Die grausame Abschlachtung der Muslime und Juden hat aber nichts mit Religion zu tun. Zur gleichen Zeit wurden auch in Franken zirka. 6.000 Juden bei Pogromen ermordet.

Wie sehr Heilsvorstellungen und religiöser Wahn auseinanderklaffen können und dennoch ähnliche Wurzeln haben, zeigt sich noch in unseren Tagen. Religion und Krieg, religiöse Schwärmerei und Gewalt können noch immer nicht strikt getrennt werden, fordern noch immer sinnlos Opfer.

Eroberung gescheitert Auch politisch sollten die Kreuzzüge scheitern. Erbfolgestreitigkeiten, Rivalitäten schwächten das Königreich Jerusalem und die lehensabhängigen Kreuzfahrerstaaten. Im Gegensatz dazu konnte sich der zuvor uneinige Islam zum Gegenstoß sammeln.

Die weiteren Kreuzzüge haben, trotz romantischer Verklärung, den materiellen Hintergrund der Kreuzfahrtidee entlarvt: Richard Löwenherz, der englische König, war jenseits der Sänger-Blondel-Idylle und der (unverdienten) Freundschaft des (leider niemals existenten) Robin Hood kein frommer Jerusalempilger; und auch die Rolle des Babenbergers Leopold V. in Akkon und danach in Österreich ist mehr an der blutigen Mär um die österreichische Fahne und dem wirtschaftlichen Aufschwung Wiener Neustadts durch das Lösegeld für den gefangengenommenen Richard Löwenherz zu messen.

Doch obgleich die Vereinigung der Kirche des Westens und der des Ostens nicht gelang, erfuhren durch die Kreuzzüge Handel und Wissenschaft einen bemerkenswerten Aufschwung. Mode, Dichtung, die feine Küche - und Geschlechtskrankheiten - fanden Eingang in die europäischen Höfe.

Aber Jerusalem, die Heilige Stadt dreier Religionen, ist bis heute nicht jene Stätte, an der Juden, Christen und Muslime friedlich nebeneinander Gott verehren können. Hätte Gott vielleicht nicht genau das gewollt?

Die Autorin ist Historikerin und Religions-Journalistin beim ORF-Fernsehen.

Buchtips TASCHENLEXIKON "KREUZZÜGE".

Von Reinhard Barth.Piper Verlag, München 1999.240 Seiten, kt., öS 123,-/e 8,94 DIE SEHNSUCHT NACH DEM MILLENNIUM. Apokalyptiker, Chiliasten und Propheten im Mittelalter.

Von Norman Cohn. Aus dem Englischen von Eduard Thorsch.Verlag Herder, Freiburg 1998.409 Seiten, kt., öS 218,-/e 15,84 GESCHICHTE DER KREUZZÜGE Von Steven Runciman Aus dem Englischen von Peter de Mendelsohn. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1995. 1356 Seiten, kt.,ös 350,-/e 25,44

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