Blutige Freiheit im Irak

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Der Fürstenfelder Polizeioberstleutnant Andreas Pichler hat in der jordanischen Wüste sechs Monate lang irakische Polizeirekruten ausgebildet.

Die Furche: Österreichs Außenministerin Ursula Plassnik hat bei der letztwöchigen Irak-Konferenz in Brüssel angekündigt, weitere Polizeiberater in den Irak zu schicken - eine sinnvolle Maßnahme?

Andreas Pichler: Ja, das ist eine notwendige Entscheidung, um im Irak an der Aufbauarbeit mitzuhelfen. Und diese Form der Unterstützung ist sicher ein besserer Beitrag, als mit österreichischen Soldaten im Land präsent zu sein.

Die Furche: Braucht es im Irak nicht eher Militär statt Polizei?

Pichler: Bei derartigen Zuständen ist es ideal, wenn auch Polizisten im Militärverband tätig sind, da oft ganz spezifische polizeiliche Handlungen wie Spurensicherung, Einvernahmen etc. nötig sind.

Die Furche: Welches Know-how kann hier speziell Österreich bieten?

Pichler: Wir können Leute einsetzen, die über viel Einsatzerfahrung - Kosovo, Kambodscha, Nordirak - verfügen. Spezialisten, die mit der Gewalt im Irak umzugehen verstehen. Dazu kommt, dass wir gerade in diesem Kulturkreis punkten, indem wir Themenbereiche eröffnen, die bislang nie diskutiert wurden, zum Beispiel: Gewalt in der Familie.

Die Furche: Ist bei irakischen Verhältnissen nicht jede Polizei hilflos?

Pichler: Wir haben die Ausbildung auf diese Gefahren hin adaptiert, die Schulungen speziell auf Sprengstoffe und auf Eigensicherung ausgerichtet: Bombenchecks, Fahrzeugkontrolle ...

Die Furche: Aus welchen gesellschaftlichen Gruppen kommen die Polizeischüler?

Pichler: Die Rekruten sind ein bunter Querschnitt der irakischen Bevölkerung: Wir hatten frühere Mitglieder der Republikanischen Garde dabei, es gab Sprengstoffexperten, aber auch Studenten, die dem Sicherheitsdienst aufgrund der Aussicht auf einen regelmäßigen Lohn beitreten wollten.

Die Furche: Wie gut ausgebildet treten die Rekruten ihren Dienst an?

Pichler: Nach dem theoretisches Modul in Jordanien war noch ein Praxisunterricht im Irak geplant - die unsicheren Verhältnisse im Irak lassen das aber momentan leider nicht zu.

Die Furche: Die Rekruten werden also sofort ins kalte Wasser gestoßen?

Pichler: Ja, sie sind sofort mit den Bedingungen im Irak konfrontiert - das ist nicht optimal, aber es geht derzeit nicht anders.

Die Furche: Haben Sie Vorbehalte der Polizeischüler gegenüber den westlichen Ausbildnern erlebt?

Pichler: Ja, es hat verschiedene Vorfälle gegeben, bei denen man verbal gegen Ausbildner losgegangen ist. Nicht gegen uns Österreicher, wir haben in arabischen Ländern einen exzellenten Ruf, aber die Amerikaner und Briten hatten es da schwerer - bis auf wenige Ausnahmen wurden aber auch sie schlussendlich akzeptiert.

Die Furche: Wie sieht es mit dem Zusammenhalt unter den Polizeischülern aus?

Pichler: Entlang der Grenze zwischen Sunniten und Schiiten gibt es zwei Großgruppen, die sich sogar Steinschlachten geliefert haben - am Anfang der Ausbildung wurde deshalb das Toleranztraining groß geschrieben.

Die Furche: Klingt nicht sehr nach irakischem Nationalbewusstsein?

Pichler: Das stimmt nicht ganz: Im Laufe der Ausbildung hat sich über die religiösen Grenzen hinweg ein gewisser Nationalstolz entwickelt. Und bei den Ausmusterungsfeiern, wenn die irakische Fahne hochgehalten wird, hat man schon das Gefühl, dass eine nationale Identität im Entstehen ist.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

Militärrazzia in einem der gefährlichsten Viertel Bagdads: Erfolglos, aber die Hauptsache ist, wieder mit heiler Haut rauszukommen.

von mehdi lebouachera

Bewaffnet mit Plastiksprengstoff, großen Stahlschneidern und tragbaren Rammböcken bewegen sich 300 irakische Soldaten durch das sunnitische Scheich-Maaruf-Viertel im Zentrum von Bagdad. Begleitet werden sie von Sonderkommandos der us-Armee. Ihr Auftrag lautet, Werkstätten ausfindig zu machen, in denen Autos für Bombenanschläge präpariert werden. Vorbei an irakischen Zivilisten, die scheinbar teilnahmslos Backgammon spielen, dringen die Soldaten in das Herz des dicht bevölkerten Armenviertels vor.

Am Ende eines Lehmpfads liegt das erste Ziel: ein Innenhof mit mehreren Autowerkstätten. "Alle flach auf den Bauch, schnell!", brüllen die Soldaten auf Englisch und Arabisch. Arbeiter mit ölverschmierten Gesichtern werfen sich auf den Boden. Verängstigte Frauen reden beruhigend auf ihre Kinder ein, die Schutz suchend zu ihnen rennen. Die Soldaten durchkämmen die Kisten, in denen sich Ersatzteile stapeln. Drei Spürhunde schnüffeln nach Sprengstoff. "Okay, das reicht. Hier ist nichts", schreit der Kommandeur der us-Einheit und dirigiert die Soldaten zum nächsten Ziel: ein Innenhof voll mit Autowracks.

Die Besitzer der Werkstätten müssen einzeln aus ihren Buden treten. "Hier ist nichts. Wir haben keine Probleme mit Terroristen", sagt der Automechaniker Hamid, indem er langsam auf die irakischen Soldaten zugeht. "Habla espanol?", fragt ein us-Soldat. Sein Versuch, durch die Frage nach Spanischkenntnissen die bedrohliche Lage zu entkrampfen, misslingt. Ein anderer Soldat findet das Unternehmen zu gefährlich. "Jeder kann hier eine Granate über die Mauer schmeißen", sagt er und schaut argwöhnisch nach oben. Nach einer Stunde in der sengenden Sonne sind die Hunde müde und hecheln erschöpft. Der us-Offizier bricht die Aktion ab.

Auch bei Razzien in vier anderen Werkstätten werden weder Sprengstoff noch Waffen oder Munition gefunden. Aber 22 Männer werden unter dem Verdacht festgenommen, mit Aufständischen unter einer Decke zu stecken. Der Befehlshaber des us-Sonderkommandos ist zufrieden: "Eine mehr als zweistündige Aktion in einem der gefährlichsten Viertel von Bagdad, und das ohne Zwischenfall. Das muss uns erst einmal jemand nachmachen."

Der Autor ist Korrespondent von Agence France Press.

Katastrophe ohne Ende

Ein Jahr nach der formellen Machtübergabe im Irak herrscht Ratlosigkeit, sowohl in der Übergangsregierung in Bagdad als auch in Washington. Denn von dem, was man hier wie dort im Juni 2004 vollmundig angekündigt hat, wurde kaum etwas verwirklicht. Die Sicherheitslage ist katastrophal und der Wiederaufbau stagniert. Es hat zwar erste freie Wahlen gegeben, doch die meisten Iraker wünschen sich nach wie vor vergebens "Sicherheit und eine stabile Stromversorgung". Seitdem die von Schiiten und Kurden dominierte Regierung von Ministerpräsident Ibrahim al Jaafari an der Macht ist, wird mehr Blut vergossen als zuvor. Die britische Organisation Iraq Body Count (ibc) zählt akribisch die Opfer dieses Krieges: Bis Mitte letzter Woche sind mindestens 22.563 und maximal 25.560 irakische Zivilisten getötet worden. ibc wurde gegründet, weil weder Pentagon noch Rotes Kreuz die Opfer unter den Zivilisten dokumentieren.

Weitere Zahlen und Landkarten unter: www.iraqbodycount.net

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