"Weihnachten mit Travestieshow, Barbecue, lebender Krippe und anderen Überraschungen": Christentum in Tschechien zwischen Volksfrömmigkeit und Atheismus.
Weihnachten in Kladno. Nicht irgendwelche, sondern "Böhmische Weihnachten", und das Bühnenbild im gleichnamigen Stück von JiÇrí Jank°u unterstreicht, dass "ØCeské" diesfalls auch mit "Tschechische" zu übersetzen ist: links ein Bild des Berges ÇRíp, auf dem Stammvater ØCech das Land in Besitz genommen haben soll, rechts ein Bild der slawischen Linde, des Gegenstücks zur deutschen Eiche. Weihnachten, und damit der Katholizismus, das Christentum und jegliche Religion, sind in Tschechien von der nationalen Geschichte nicht zu trennen.
Auch die Nationalhymne wird im Mittelböhmischen Theater gesungen, doch wenn die Rede auf den Garten kommt, in dem die Frühlingsblume blüht, weicht der Engel, der zusammen mit dem Teufel in die Wirtshausgesellschaft hereingeschneit ist, vom Text ab und singt vom Garten, in dem die Äpfel gestohlen werden. Das versteht das Publikum in der Bergbaustadt Kladno gut, und wenn der Bürgermeister die Faust ballt und "Es lebe Jesus!" brüllt, ruft dies in der Hochburg der Arbeiterschaft ganz konkrete Erinnerungen wach.
Bei solchen Stücken könne das Publikum seinen Gefühlen freien Lauf lassen, und wenn es einige der Weihnachtslieder gar mitsingen dürfe, werde den Menschen warm ums Herz, meint ein junger Schauspieler, der im Foyer des Theaters Punsch ausschenkt. Er selber sei als Atheist erzogen worden, aber er freue sich, wenn heute solche Stücke aufgeführt werden; und für einen Schauspieler sei jede Produktion eine Geburt, unabhängig von dem, was gespielt werde.
Diffuse Religiosität
Wie mit einer derart diffusen Religiosität umgehen? Tschechien gilt zusammen mit Estland und der ehemaligen DDR als das am stärksten atheisierte Land Europas. Nur 32 Prozent der Bevölkerung bekannten sich bei der Volkszählung von 2001 zu einer Religionsgemeinschaft, und noch schmerzlicher als der niedrige Prozentsatz war der Rückgang um 12 Prozent gegenüber der Volkszählung von 1991. Der Anteil der Kirchen an der unblutigen Wende von 1989 ist nicht honoriert worden, und die anderen christlichen Kirchen hat es noch weit ärger getroffen als die katholische, der die Forderung nach Rückgabe ihrer Güter übelgenommen wurde.
Das Schicksal der christlichen Kirchen in Tschechien ist eng miteinander verknüpft, wobei Zahlen nur von relativer Bedeutung sind. Denn während das Verhältnis der Katholiken zu den anderen Konfessionen etwa fünf zu eins lautet, sehen viele Tschechen das Christentum eher in den kleineren Kirchen repräsentiert, insbesondere in der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder und der Tschechoslowakischen Hussitischen Kirche.
Nach wie vor sieht sich die katholische Kirche mit dem Vorwurf konfrontiert, im Bündnis mit den Habsburgern die Nationswerdung behindert zu haben, während sich die meisten anderen Kirchen auf das Erbe des Reformators Jan Hus berufen, der als nationaler Held gilt und noch von den Kommunisten für ihre Ziele eingespannt wurde.
Doch die konfessionellen Kämpfe der Vergangenheit haben allen Kirchen geschadet. Heute erscheint den meisten Tschechen kirchliches Christentum als ebenso anachronistisch wie die ideologischen Systeme des 20. Jahrhunderts. Im wiederbelebten Weihnachtsbrauchtum äußert sich die Skepsis dergestalt, dass etwa in einem Jazzklub DJ JeÇzíÇsek die Platten auflegt oder Weihnachten im Badeanzug gefeiert wird, mit "Travestieshow, Barbecue, lebender Krippe und anderen Überraschungen".
Zusammenrücken
Angesichts der massiven Marginalisierung rücken die Kirchen verständlicherweise zusammen, und in der Tat hat die Ökumene in Tschechien eine Herzlichkeit und Effizienz erreicht, die ihr in den meisten anderen postkommunistischen Staaten abgeht.
Beispielsweise hat man eine gemeinsame Militärseelsorge aufgebaut in der Hoffnung, damit auch einen Präzedenzfall für die umfassende Regelung der Kirche-Staat-Beziehungen zu schaffen. Doch auch im 15. Jahr nach der Samtenen Revolution ist nicht abzusehen, wann dies gelingen wird. So wurde ein bereits paraphierter Grundvertrag mit dem Heiligen Stuhl im Frühjahr 2003 von ausscherenden Abgeordneten in der sozialdemokratisch dominierten Regierungskoalition zu Fall gebracht.
Zu schwach ist in der Koalition das Gewicht der Christdemokraten, die in Kirchenfragen bereits mit der wirtschaftsliberalen Demokratischen Bürgerpartei Schiff-bruch erlitten haben.
Zusammen rückt man auch innerhalb der katholischen Kirche, was kein leichtes Unterfangen ist. In der Zeit der Unterdrückung war im Untergrund eine Parallelkirche entstanden, die einerseits das Engagement von Laien förderte, andererseits durch die Weihe von Bischöfen nach 1989 auch strukturelle Probleme schuf. Ein Teil des verheirateten Untergrundklerus konnte in die griechisch-katholische Kirche integriert werden, viele Aktivisten engagieren sich heute in den wiederbelebten Pfarren, doch ein intellektuell nicht unbedeutender Rest blieb außerhalb der offiziellen Strukturen.
Landessynode
Die "Plenarversammlung der katholischen Kirche", die im Juli 2003 eröffnet wurde, versucht Bilanz zu ziehen und einen Weg in die Zukunft zu weisen. Die Eröffnungsansprache vom Prager Kardinal Miloslav Vlks beim Gottesdienst in Velehrad, eine einzige Beschwörung der Einheit der Kirche, wurde von den Mitfeiernden mit angehaltenem Atem angehört und mit schütterem Applaus bedacht. Bei den anschließenden einwöchigen Verhandlungen hingegen kam es zu lebhaften Debatten; die zweite Session der Landessynode soll erst 2005 zusammentreten.
Auf der Habenseite der Kirche stehen Erfolge in der Caritasarbeit, insbesondere nach den verheerenden Überschwemmungen; das Ansehen, das sich die kirchlichen Schulen erworben haben; das Engagement für die wenig beliebte Volksgruppe der Roma; neue Initiativen wie der Aufbau von Sterbehospizen. Offen sind Fragen der Kirchenfinanzierung (nach wie vor werden die Geistlichen vom Staat bezahlt), der Rolle der Laien in der Kirche, des Priesternachwuchses und der Pfarrorganisation, vor allem aber der spirituellen Dimension, die in der bis heute josefinisch geprägten Kirche zu kurz kommt.
Friedenslicht
"In Österreich selbst ist der Schatten Österreich-Ungarns bereits verblasst, bei uns jedoch besteht er fort und ist der Missionselan - bis auf Ausnahmen - verstummt", urteilt der Jesuit Petr KoláÇr, der 20 Jahre im Exil verbracht hat und eine Einigelung der Kirche befürchtet. Es wäre Aufgabe der katholischen Kirche, einen Beitrag zum Aufbau der Zivilgesellschaft zu leisten, doch gerade dazu sei sie auf Grund ihrer inneren Verfasstheit nicht imstande. Anderen Beobachtern wie dem slowakischen Bischof Rudolf BaláÇz imponiert an den tschechischen Kollegen gerade ihr kämpferischer Geist unter widrigen Umständen.
Das Friedenslicht aus Betlehem, eine Idee aus Österreich, die nach und nach ganz Mitteleuropa erfasst, ist für die kirchenfernen, aber latent religiösen und stets nach Spektakeln lechzenden Tschechen wie maßgeschneidert und wurde in Prag zu diesen Weihnachten erstmals auf dem Altstädter Ring von Kardinal Vlk und Bürgermeister Bém neben dem Hus-Denkmal in Empfang genommen. Umgekehrt zeichnet sich ab, dass viele Tschechen der Einladung Kardinal Schönborns zum Abschluss des Mitteleuropäischen Katholikentags nach Mariazell folgen werden - der Einladung eines "Landsmanns", wie bei Schönborns Auftritten in Tschechien immer wieder unter Applaus versichert wird. Zumindest symbolisch rücken die beiden Länder einander näher, und der Beitrag der Kirchen zur Versöhnung nach all den Verwerfungen der Vergangenheit kann sich sehen lassen.
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