Bosnien: Der Staat, den keiner will

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Fünfzehn Jahre nach dem Bosnienkrieg ist das Staatsgebilde von Bosnien-Herzegowina noch immer eine Ruine. Schuld daran ist der Bauplan der bosnischen Staatlichkeit, schreibt Vedran Dzihic, Politikwissenschafter an der Universität Wien, in seinem Buch „Ethnopolitik in Bosnien-Herzegowina: Staat und Gesellschaft in der Krise“. Der Plan, mit dem Bosnien nach dem Krieg (1992 bis 1995) neu aufgestellt werden sollte, ist das Abkommen von Dayton. Gerade aber mit diesem Vertrag, so Dzihic, und der „ethno-politisch forcierten Entfernung der einzelnen Völker Bosniens voneinander wurde das Fundament einer gemeinsamen bosnischen Staatlichkeit stetig weggerissen“.

Der Dayton-Vertrag wurde unter Vermittlung der USA mit EU-Beteiligung in Dayton (Ohio) paraphiert und am 14. Dezember 1995 in Paris unterzeichnet. Die Unterzeichner waren der serbische Präsident Slobodan Milosevic, der kroatische Präsident Franjo Tudman und der bosnisch-herzegowinische Präsident Alija Izetbegovic.

Serben, Kroaten, Bosniaken gegeneinander

Mit ihren Unterschriften besiegelten sie die nach wie vor andauernde ethnische Teilung Bosnien-Herzegowinas. Für Dzihic, der selbst in Bosnien geboren ist, das grundlegende Entwicklungshindernis dieses Staates: „Und hier liegt der Kern des heutigen Problems in Bosnien und Herzegowina: „Die drei exklusiven ethnonationalen Konzepte der Serben, Kroaten und Bosniaken schließen einander aus, die drei Völker sind aber gleichzeitig gezwungen, zumindest formal im Rahmen eines gemeinsamen und von der internationalen Gemeinschaft beaufsichtigten Staates zu leben.“

Dzihics Buch ist eine detaillierte Analyse dieser Ethnopolitik, gibt darüber hinaus aber auch reichlich Anschauungsunterricht, wie ein internationaler Friedensplan zur Implementierung eines Dauerkonflikts beitragen kann.

Die Studie zeigt ebenfalls, dass Bosnien mit seiner aufgeblähten Verwaltungsstruktur (13 Ministerpräsidenten, neun gesamtstaatliche und 32 Entitätsministerien sowie 130 Ministerien auf Kantonalebene) nicht finanzierbar ist. Der Stillstand bei den Reformprozessen, die für die EU-Annäherung notwendig wären, führt zudem zum starken Anstieg der Armuts- und Arbeitslosenquote.

Eine Lösung für das Dilemma in Bosnien-Herzegowina bleibt Dzihic schuldig. Bei der Buchpräsentation vergangene Woche sagte er: „Wenn ich eine Lösung hätte, dann würde ich eine Art Nobelpreis in Bosnien-Herzegowina erhalten.“ Wer auch immer einmal diesen Preis gewinnt, seine oder ihre Forderung wird lauten: Bosniaken, Serben Kroaten müssen sich vor allem und zuerst als Bürger ihres Staates und dann erst als Teil ihrer Volksgruppe begreifen. (wm)

Ethnopolitik in Bosnien-Herzegowina

Staat und Gesellschaft in der Krise.

Von Vedran Dzihic. Nomos 2010.

439 Seiten, kart., e 79,–

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