Brauchen wir noch Bürgerliche?

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War früher das Bekenntnis, sich als Bürgerlicher zu fühlen, durchaus Anlass für gesundes Selbstbewusstsein, so klingt heute dieselbe Ansage eher verstaubt und politisch nicht mehr ganz korrekt. - Ein Einwurf wider die Gleichheit als Dogma der Massendemokratie.

Im Zeitalter der Gleichheit ist das "Bürgerliche“ zwar noch immer existent, aus der politischen Debatte ist es aber fast schon verschwunden. Es wird nämlich verdächtigt, elitäre Attitüden zu befördern. Wer heute explizit bürgerlich sein will, hat also Rechtfertigungsbedarf. Die klassischen Bürgerlichen werden deswegen gerne im diffus definierten Mittelstand verortet, dort ist es am unverfänglichsten.

Dieser soziologisch recht bunt zusammengesetzte Mittelstand ist zum Zugpferd der Gleichheit geworden, zwei Drittel der Bevölkerung fühlen sich dort heimisch. Die Auflösung der Klassendistinktionen und das Hinschwinden des Bürgerstandes wird allerdings unterschiedlich bewertet: Von den einen im Sinne der Gleichheit als Erfolg, von den anderen aber als eine kontraproduktive Nivellierung der Gesellschaft. Staatlich verordnete Gleichheit bringt jedenfalls den Verlust von Freiheit und Identität, und sie hemmt die für den Fortschritt notwendige soziale Elitenbildung. Dadurch fehlen auch die realen Vorbilder. Diese werden jedoch flugs durch die Stars aus dem Dschungelcamp oder aus dem Model-Wettbewerb ersetzt. Jede und jeder kann heute ganz einfach und über Nacht erfolgreich werden.

Die Gleichheit ist das Dogma der Massendemokratie, sie hat Vorrang vor allen anderen Werten. War früher das politische Bekenntnis, sich als Bürgerlicher zu fühlen, durchaus Anlass für gesundes Selbstbewusstsein, so klingt heute dieselbe Ansage eher verstaubt und politisch nicht mehr ganz korrekt.

Kaum eine der früher die Anschauungen der Bürgerlichen vertretenden politischen Gruppierungen bekennt sich daher noch zu den bürgerlichen Werten namens Wirtschaftsliberalität, Freiheit des Einzelnen, Leistungswille, Selbstverantwortung, Pflichtbewusstsein, Intellektualität, Familiensinn, Anstand und kulturelle Orientierung im christlich-abendländischen Sinne.

Bürgerlich sein heißt zunächst, selber auf sein Fortkommen in der Gesellschaft zu achten und sich anzustrengen, Ziele zu erreichen. Bürgerlich sein bedeutete einmal auch, soziale Strukturen, Solidarität und soziales Engagement persönlich und individuell zu pflegen und den Staat nur als einen Rahmen zu betrachten, der die Gesetze erlässt, die Einhaltung derselben überwacht und für die innere und äußere Sicherheit sorgt.

More of the same gegen Armut

Kollektivismus, Umverteilung und eine ausufernde staatliche Obsorge haben das auf dem Individuum aufbauende Wertegebäude des Bürgertums ersetzt. Die kollektive Gesellschaft ist nun der alleinige Verantwortungsträger. Der Einzelne ist nicht mehr Bürger, sondern nur mehr Staatsbürger und als solcher vom Staate abhängig. Wo einst Eigenverantwortung und Individualität waren, soll nun die staatliche Fürsorge walten.

Mit Killer-Phrasen wie etwa jener von der "Sozialen Gerechtigkeit“ werden alle Neuerungen im Sozialstaat gerechtfertigt. Die Armut, die natürlich immer noch da ist und die unter den Bedingungen der wachsenden staatlichen Wohlfahrt laut Aussage vieler Sozialexperten sogar zunimmt, wird mit more of the same bekämpft. Funktionieren die vorhandenen Sozialstaatsstrukturen nicht, baut man eben noch mehr soziale Strukturen. Und gleichzeitig mit seiner ständigen Erweiterung degeneriert der Sozialstaat zusehends.

Degenerierter Wohlfahrtsstaat

Trotzdem oder gerade deswegen stellen die Werte und die Leistungen des Bürgertums nach wie vor jene Essenzen dar, die für den Bestand des Staates und die Entwicklung von Gesellschaft und Demokratie die Grundlage bilden. Wenn Haltungen wie Leistungswille und Selbstverantwortung vom Staat konterkariert werden, droht unweigerlich der gesellschaftliche Zerfall.

Der egalitäre Wohlfahrtsstaat führt somit zu einem soziologischen Paradoxon: Zukünftig werden nicht mehr die Proletarier um ihre Rechte kämpfen müssen, denn diese sind längst wohlerworben. Es wird ab nun vielmehr darum gehen, dass die noch vorhandenen Bürgerlichen der totalen Degeneration des anonymisierten Sozialstaates mit klaren Haltungen überzeugend entgegentreten. Denn nur durch das bürgertypische Engagement des Individuums kann das Soziale sich überhaupt erst entwickeln.

Der Autor ist Internist und Nationalratsabgeordneter des Team Stronach

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