Bruder Patriarch und seine Kirche
Vor 100 Jahren wurde die Tschechoslowakische Hussitische Kirche gegründet. Ein Versuch, synodale und hierarchische Elemente zu verbinden.
Vor 100 Jahren wurde die Tschechoslowakische Hussitische Kirche gegründet. Ein Versuch, synodale und hierarchische Elemente zu verbinden.
Die Zentrale der Cirkev česko-slovenská husitská liegt im Prager Vorort Dejvice im Schatten des Hradschins und wird daher von Fremden kaum je erspäht. Links und rechts von der schmalen, gotisierenden Fassade sind in das Gebäude Wohnungen integriert, deren Vermietung der Finanzierung der Kirche dient. An einen langen Gang schließt der Kirchenraum an, in dem als Besonderheit zunächst die geschwungenen Gewölberippen auffallen, die den Wladislaw’schen Saal auf der Burg zitieren, und dann die Orgel, deren Pfeifen wie Sonnenstrahlen angeordnet sind – die Sonne ist ein hussitisches Symbol wie der Kelch, der viele Kirchtürme ziert und der in roter Farbe auf dem schwarzen Talar der hussitischen Geistlichen prangt. Rechts am Altar erinnert ein Relief an den ersten Patriarchen der Kirche, Karel Farský, der den Pfarrer (farář) sogar im Namen trug.
Farskýs siebenter Nachfolger Tomáš Butta empfängt den Fragensteller in einem Büro ohne Pomp. Der runde Tisch ist überhäuft von Papieren, das Jubiläum hat hier schon seine Spuren hinterlassen. Am 8. Jänner 1919 ist die Kirchengründung beschlossen, am 11. Jänner in der Kirche Sankt Niklas am Altstädter Ring verkündet worden. In der hochbarocken, ursprünglich benediktinischen Kirche, wird am Samstag mit einem Gottesdienst des Ereignisses gedacht werden. Und zwar im ökumenischen Geist: Der Pilsner Diözesanbischof Tomáš Holub sowie der Prager Weihbischof Václav Malý werden die katholische Kirche vertreten, die protestantische Seite repräsentiert der Synodalsenior der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder und Vorsitzende des Ökumenischen Rates der Kirchen, Daniel Ženatý, und von orthodoxer Seite kommt der Prager Erzbischof Michal (Dandár).
Stürmische Zeiten
Vor allem Letzteres ist keine Selbstverständlichkeit, denn die ersten vier Jahre der Hussitischen Kirche waren von einem heftigen Streit überschattet. Karel Farský und seine Anhänger im niederen Klerus bekannten sich ausdrücklich als Modernisten, zu deren Abwehr Papst Pius X. den Antimodernisteneid eingeführt hatte, Matěj Pavlík hingegen wollte die neue Kirche an die östliche Orthodoxie anbinden. Den Sieg trugen eindeutig die Leute Farskýs davon, die Orthodoxen mussten das Feld räumen. Doch Matěj Pavlík, der sich 1921 von der serbisch-orthodoxen Kirche zum Bischof hatte weihen lassen und den Namen Gorazd angenommen hatte, sollte in die tschechoslowakische Geschichte eingehen, als er im Protektorat Böhmen und Mähren den Attentätern auf den Stellvertretenden Reichsprotektor Reinhard Heydrich Unterschlupf gewährte und dafür hingerichtet wurde. Die Mitglieder der Tschechoslowakischen Hussitischen Kirche standen den Orthodoxen freilich in nichts nach: Rund 10.000 engagierten sich im Widerstand gegen Hitler und ein Viertel davon bezahlte dies mit dem Leben.
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