"Buddha hilft Jesus, sein Geheimnis zu erklären"

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Er beurteilt das vatikanische Dokument Dominus Iesus nach den chinesischen Prinzipien Yin und Yang. Im furche-Gespräch erzählt der in Taipeh lehrende Jesuitentheologe Luis Gutheinz, wie in ihm zwei Welten zusammenfließen: Er weiß sich in der östlichen Kultur ebenso zu Hause wie in der westlichen. Dialog der Religionen wie Dialog der Kulturen sind gerade für einen Christen im Osten wesentlich.

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Er beurteilt das vatikanische Dokument Dominus Iesus nach den chinesischen Prinzipien Yin und Yang. Im furche-Gespräch erzählt der in Taipeh lehrende Jesuitentheologe Luis Gutheinz, wie in ihm zwei Welten zusammenfließen: Er weiß sich in der östlichen Kultur ebenso zu Hause wie in der westlichen. Dialog der Religionen wie Dialog der Kulturen sind gerade für einen Christen im Osten wesentlich.

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die furche: Sie sind in Taiwan als Christ wie als Europäer Angehöriger einer Minderheit, die mit anderen Religionen in Austausch und Dialog steht.

Pater Luis Gutheinz: Der Dialog vollzieht sich in drei Phasen: Die erste ist das Lernen und Aufnehmen. Ich selber habe das 1961-70 vollzogen: zuerst die Sprache, dann sich ein Gespür für den Grundrhythmus chinesischer Geschichte anerziehen. Das geht nur durch monatelanges Studium und durch eine Bemühung des Gedächtnisses, sich diesen Rahmen einzuprägen. Jetzt, so meine ich, sitzt er bei mir. Wenn ich etwa an die Tang-Dynastie, jene Blüte chinesischer Kultur im siebenten bis zehnten Jahrhundert, denke, dann kommt mir die richtige Zeit in den Sinn - auch dem Gefühl nach. Wer das nicht macht, wird in China nie zu Hause sein. Dazu gehört auch das Studium der klassischen Bücher von Konfuzius: All das zusammen ist der erste Schritt. Schon allein das dauert Jahre. Danach ging ich für vier Jahre nach Rom, um Theologie zu studieren.

Als ich 1974 in Taiwan zurück war, saß ich zwischen zwei Stühlen, denn der Dialog der Kulturen und der Religionen geschieht auch in einem selbst! 1980, bei Exerzitien, da rückten diese zwei Welten in mir - die westliche und die östliche - zu einem einzigen Heimatgefühl zusammen. So weiß ich seit damals, dass meine Heimat ein westliches Antlitz hat, wie ich es jetzt hier in Wien erlebe, aber dieses gleiche Heimatgefühl habe ich, wenn ich in Taiwan bin. Ich bin dort nicht mehr im Ausland, aber ich bin auch hier nicht im Ausland. Das Sitzen zwischen zwei Stühlen ist die zweite Phase des Dialogs. Und dann gibt es - eine große Gnade Gottes! - diesen Zusammenfluss beider Welten: Das ist dann Kultur- und Religionsbegegnung! Seit dieser Erfahrung verstehe ich besser, dass wir Christen - seit dem Konzil von Chalzedon 451 - sagen: Im Geheimnis Jesu fließen in einer Person zwei Welten zusammen - die göttliche und die menschliche. Ganz analog ist meine Erfahrung mit den beiden Kulturen, in denen ich zu Hause bin!

Eine Grunderfahrung hatte ich auch, als ich 1976 in einem buddhistischen Zentrum mit Meistern diskutierte: Dort sprach der bekannteste buddhistische Professor Taiwans von seiner Überzeugung, dass es im Letzten, in der absolut einen Wirklichkeit keine Grenzen und Verschiedenheiten mehr gibt, die wir jetzt im Vorübergehen erfahren. Da gibt es dann nicht mehr zwei, drei Personen, da wird alles absolut eins. Bei solchen Gedanken läuft es einem Christen kalt über den Rücken. Und wir antworten mit der gleichen Überzeugung: In Jesus Christus ist Gott Mensch geworden. Damit ist die endgültige Offenbarung Gottes in der Wirklichkeit geschehen. Das wiederum ist für Asiaten schwer zu verstehen. Aber indem wir so voneinander lernen, erleben wir eine wachsende Gemeinschaft, indem in uns Raum für andere Formulierungen wächst, ein Raum, in dem unsere Begriffe - nicht geleugnet! - aber etwas aufgelockert werden, sodass sie flexibler werden.

die furche: Dieser Dialog ist zur Zeit von Rom sehr stark kritisiert worden - etwa im Dokument Dominus Iesus.

Gutheinz: Um es mit dem chinesischen Begriff auszudrücken: Dominus Iesus spricht die Sprache des Yang - des Bestimmenden, Definierenden, des Ausschließenden. Die Sprache des Yin - des ehrfürchtigen Hinhörens - findet sich viel weniger. Es ist auch schade, dass Dominus Iesus kaum darauf eingeht, was seit dem II. Vatikanum an theologischer Mühe aufgewendet wurde, um das Problem "Jesus Christus und die Religionen" begrifflich differenzierter zu sehen. Es wäre schön gewesen, wäre mit Ehrfurcht gesagt worden: "Wir danken den Theologen für ihre Mühe. Wir wissen, wie viele Nachtstunden und Aufregungen das bedeutet hat. Wir möchten auf dieser Basis einige Punkte anmelden, wo wir in der Glaubenskongregation nicht durchsehen, und Fragen haben." So müsste man heute sprechen.

die furche: Wie gehen Sie selbst an diese Fragen heran?

Gutheinz: Es gibt verschiedene Positionen zur Frage: Wie ist Jesus Christus mit den anderen Religionen zu verbinden? Das eine Extrem ist die traditionelle, aber vom kirchlichen Lehramt nie bestätigte Idee "Außerhalb der Kirche kein Heil". Man sagte das gemeinhin, um sich als katholische Glaubensgemeinschaft zu identifizieren. Schon in der Bibel ist diese Tendenz des "Exklusivismus" zu spüren, in dem Sinn, dass sich Israel von anderen Nationen abhob. Das hat das II. Vatikanum überwunden. Am anderen Ende des Spektrums steht die "relativistische" Position, wo alle Religionen nivelliert werden. Diese Position vertritt etwa Lessings Ringparabel. Dominus Iesus gehört weder zum Exklusivismus, noch - natürlich! - zum Relativismus; es denkt im "Mittelfeld".

In diesem Mittelfeld gibt es zur Zeit zwei Grundmodelle: Nach dem Konzil dominierte das "Erfüllungsmodell", nach dem Religionen immer schon von Gott getragen und mit Jesus verbunden sind, aber auch als Religionen im Christentum ihre Erfüllung finden. Dominus Iesus vertritt dieses Modell. Die Theologie der letzten Jahre arbeitet hingegen verstärkt mit dem "Ergänzungsmodell": Dieses sagt gleichfalls, dass Jesus die wirkliche Offenbarung Gottes ist, geht aber weiter und sagt: Die Wirklichkeit Jesu hat schon immer alle Religionen beeinflusst - im Heiligen Geist, wie wir theologisch sagen. Die Religionen helfen nun Jesus Christus, in menschlichen Worten, in begrenzten Bildern und Begriffen auszusagen, zu vermitteln, zu erklären, was in Jesus Wirklichkeit ist.

Das heißt etwa: Buddha hilft Jesus, sein Geheimnis zu erklären. Und Buddha hat vieles zu beizutragen zur Kultivierung der Gefühle, des Strebens, der Gier, der Verblendung, des Hasses. So sagt Jesus im Kreis dieser großen religiösen Genies: "Ich bin euch dankbar, dass ihr mir helft, meine Wirklichkeit an die verschiedenen Kulturen weiterzugeben - dass ich verständlicher sprechen kann: Ihr kennt die Sprache eurer Völker, eurer Religionen, und ihr helft mir, das Heil, die unendliche Liebe Gottes schöner zu erklären, als ich es in meinem kulturellen Hintergrund vielleicht kann. Ich bin begrenzt in meiner menschlichen Gegenwart, ich habe nur Aramäisch und Hebräisch. Ich kann nur so sprechen, wie es mich meine Mutter lehrte, und wie ich in der Synagoge geredet habe. Aber damit spreche ich einiges aus chinesischer oder indischer Erfahrung eigentlich nicht entsprechend an." So sagt das Ergänzungsmodell: Die Religionen helfen Jesus, adäquater zu sprechen.

die furche: Ist es möglich, Jesus in diese Kulturen zu bringen, die mit Jesus ja an sich nichts am Hut haben?

Gutheinz: Der Buddhismus kann die Person Jesu nicht annehmen; er hat dafür keinen Raum. Wir Christen können aber dem buddhistischen Freund zeigen, dass wir bereit sind, von Buddhas Weisheit zu lernen und unsere Spiritualität davon bereichern zu lassen. Dann wird der Buddhist sagen: "Diese Christen lernen. Dass sie diesen Jesus als Gegenwart Gottes sehen, das ist nicht unser Glaube. Aber die Christen bringen etwas mit, was wir im Buddhismus nicht haben: Diese unerhörte Hinwendung zum Menschen in seiner Not und seiner sozialen Gefährdung."

Ob in Indien, ob in China: Es sind immer die Christen, die bei an den Rand Gedrängten zu finden sind. Der Buddhist fragt: "Was ist da los, dass ich die Christen bei diesen Menschen finde." Der Christ sagt dann: "Lieber Freund, es ist unsere Überzeugung, dass der lebendige Gott für jeden Menschen ganz besondere Liebe gezeigt hat - wir sehen es bei Jesus." Diese Hinwendung zum Menschen fehlt dem Buddhismus, weil er ja glaubt, dass der Mensch eine vorübergehende Ballung von Funktionen im Gesetz von Ursache und Wirkung ist. Und diese Ballung löst sich im Tod wieder und verbindet sich mit etwas anderem. In der Begegnung mit Christen kann auch der Buddhist mit seinen Begriffen etwas lockerer werden und Dinge neu sehen.

Ein Beispiel: Eine bekannte buddhistische Nonne in Taiwan war Einsiedlerin im Osten, viele Menschen fragten sie um Rat. Eines Tages kamen auch zwei katholische Ordensfrauen. Die Nonne dachte: "Die wollen mich bekehren". Keine Rede davon, sondern sie fragten sie: "Meisterin, was tun Sie für die an den Rand Gedrängten - es gibt Millionen davon in Taiwan?" Die Nonne erzählte mir: "Das fuhr wie ein Schwert durch mein Herz." Seit diesem Moment war sie überzeugt: "Ich muss Hilfe für diese Menschen organisieren. Ich muss die Taiwanesen ansprechen, dass sie mich für die Sozialarbeit unterstützen." Und es entstand eine landesweite Bewegung. So geschieht das im interreligiösen Dialog, wenn Menschen sich gegenseitig respektieren: Zwei Ordensfrauen geben dieser Buddhistin einen "Gnadenschuss".

Solcher Dialog - und tiefer Respekt vor der Einmaligkeit des anderen, der auch seinen Absolutheitsanspruch hat, führt zu einer tieferen Gemeinsamkeit im Dienst am armen Menschen. Und das will Gott. Das kann ja gar nicht außerhalb von Gott sein!

Das Gespräch führte Otto Friedrich Zur Person: Ein Tiroler in China Luis Gutheinz wurde 1933 im Tiroler Außerfern geboren. Mit 20 Eintritt in den Jesuitenorden, 1961 erste Tätigkeit in Taiwan, 1970-74 theologische Studien in Rom. Seit 1974 ist Gutheinz Professor für Systematische Theologie an der Katholischen Universität Fujen in Taipeh. Gu Hansong - so der chinesische Name von Luis Gutheinz - leistete Pionierarbeit in der "Übersetzung" westlich-christlicher Theologie für den chinesischen Kulturkreis. Er veröffentlichte 1996 das chinesische theologische Wörterbuch "Shenxue cidian". Seine gemeinsam mit Mitarbeitern verfasste Trilogie "Tian - Di - Ren" (Himmel - Erde - Mensch/Theologische Anthropologie - Gotteslehre - christliche ökologische Theologie) ist seit 1990 bereits in mehreren Auflagen erschienen. Zusätzlich engagiert sich Gutheinz seit 1975 für die Behandlung von Leprakranken. In den letzten Jahren konnte Gutheinz auch Vorlesungen in den Priesterseminarien von Shanghai und Xi'an in der Volksrepublik China halten. (Lesen Sie in der nächsten furche-Ausgabe den zweiten Teil des Interviews mit Luis Gutheinz, wo er sich zur Lage der Christen in der Volksrepublik China äußert.)

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