Buddhismus trägt im Westen ein eigenes Gesicht

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Mehrmals in der Woche versammeln sie sich abends in einem Raum mit asiatischem Interieur. Die meiste Zeit verbringen sie schweigend, nebeneinander auf Kissen am Boden hockend. Manchmal rezitieren sie fremd klingende Texte in Pali, Chinesisch, Japanisch oder Tibetisch - doch sie sind keine Asiaten, sondern gehören zu einer der vielen kleineren oder größeren Gruppen europäischer Buddhisten, die man in allen europäischen Großstädten findet. Manche legen mehr Wert auf Vorträge oder rezitieren die alten buddhistischen Texte auf deutsch, andere wieder legen großen Wert auf japanische Mönchsroben - doch das sind genau genommen nur Nuancen. Der Buddhismus hat in Europa Fuß gefasst, darüber kann kein Zweifel bestehen.

Nicht nur, weil es viele verschiedene buddhistische Gruppierungen gibt, sondern auch, weil mittlerweile auch Europäer buddhistische Meditationslehrer in zweiter Generation sind, das heißt, sie haben den Buddhismus bereits durch einen Europäer und nicht durch einen asiatischen Meditationslehrer kennengelernt. Auch der Buchmarkt spiegelt die Akzeptanz des Buddhismus wieder: es gibt fast keinen Verlag, der nicht buddhistische Titel im Programm hat - selbst ein Verlag wie Rowohlt, der religiöse Themen im besten Fall gesellschaftskritisch behandelt, aber auch traditionell katholische Verlage. Buddhistische Literatur segelt meistens unter dem Label Lebenshilfe; das lässt sich an den Titeln ablesen. Und Lebenshilfe ist es auch, was die meisten beim Buddhismus suchen.

Und die finden sie auch. Da schreibt etwa ein tibetischer Lama über das Sterben und den Tod, oder eine amerikanische Zen-Meisterin geht der Frage nach, was man ganz alltäglich tut, wenn einen die Wut überfällt. "Es ist einfacher, als du denkst", hat eine amerikanische Theravada-Lehrerin ihr Buch über Buddhismus genannt. Und das stimmt auch, denn in den meisten Büchern ist wenig von buddhistischer Philosophie die Rede und viel von den Hilfen, die eine genuine Meditationspraxis für den Alltag und seine Untiefen geben kann.

Nur Atem-Übung?

Der vietnamesische Zen-Meister Thich Nhat Hanh zum Beispiel hat zwar an amerikanischen Elite-Universitäten studiert und Buddhismus unterrichtet und in Vietnam eine buddhistische Universität mitbegründet, doch seine Schriften sind oberflächlich betrachtet sehr einfach. Es geht um alltägliche Dinge wie zum Beispiel Essen, Geschirrabwaschen, Gehen oder Atmen - nichts spezifisch Buddhistisches. Zum Beispiel der Atem: man kann schlecht sagen, dass Atmen eine Domäne der Buddhisten sei, da alle Menschen natürlicherweise atmen, um zu leben. Thich Nhat Hanh lehrt, wie man achtsam atmen kann und durch die Achtsamkeit auf den Atem das Geheimnis des Lebens ergründen kann - zu leben, Augenblick für Augenblick. Das klingt trivial; doch die Achtsamkeit auf den Atem ist eine grundlegende Praxis in allen buddhistischen Schulen, die auf den Buddha selbst zurückgeht - und vermutlich noch viel älter ist.

Achtsamkeit auf den Atem hat noch lange nichts mit Buddhismus als Religion mit Dogmen und Riten, Institutionen und Traditionen zu tun. Doch da den meisten Zeitgenossen im hochindustrialisierten, reichen Westen heute im mehr oder weniger wörtlichen Sinn die Luft wegbleibt, ist es kein Wunder, wenn viele aus dieser scheinbar einfachen Übung, die gute zweieinhalbtausend Jahre alt ist, neue Tiefe und Inspiration für ihr Leben gewinnen.

Die christlichen Kirchen haben in den letzten Jahrhunderten diese Dimension sehr vernachlässigt. Wenn heute Christen zum Beispiel Zen oder andere aus dem Buddhismus kommenden Meditationswege praktizieren, so steht die Übung der Achtsamkeit im Vordergrund. Wie sich die philosophische Interpretation der buddhistischen Tradition für diese Übung mit den Interpretationen der christlichen Theologie verbinden lässt, ist für die allermeisten eine sekundäre Frage. Wichtig ist, dass die Übung hilft.

Wie alle Schriftreligionen kommt auch der Buddhismus aus feudalen, durch Agrikultur bestimmten Gesellschaften. Die soziale Struktur dieser Gesellschaften beruhte weitgehend auf wechselseitiger Hilfe und nachhaltigem Wirtschaften. Die von westlichen Interessen dominierte ökonomische Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat diese Ordnungen zerstört. Darauf reagierte zunächst in Asien, dann auch in Europa und den USA der engagierte Buddhismus, der Meditationspraxis mit sozialem Engagement, Einsatz für Menschenrechte und demokratische Werte verbindet. Die traditionellen buddhistischen Werte verbinden sich dabei nahtlos mit avancierten westlichen alternativen Wirtschafts- und Lebensentwürfen.

Aufgeklärtes Denken?

Die Faszination des Buddhismus ist ein Ergebnis der Bodenlosigkeit der gegenwärtigen Situation - der Entfremdung des Menschen von den Quellen seines Lebens. "Ich konsumiere, also bin ich", auf diese Formel hat es der thailändische Soziologe und buddhistische Friedensaktivist Sulak Sivaraksa gebracht. Die buddhistische Praxis dagegen lehrt: "Ich atme, also bin ich". Nicht, dass diese einfache Formel von Buddhismus-Aspiranten immer verstanden und verwirklicht würde. Doch für die Angehörigen der gebildeten - und oft, aber nicht immer auch vermögenden - Mittelschicht, aus der die meisten am Buddhismus Interessierten kommen, ist die Frage nach dem Sinn des Lebens virulent.

Auffällig viele Computerspezialisten, Techniker und Naturwissenschafter sind darunter, aber auch viele Ärzte und Psychotherapeuten. Der Buddhismus, der hier im Westen rezipiert wird, hat - im Unterschied zur katholischen Kirche - kaum ein Problem mit der Aufklärung. Denn dieser Buddhismus hat mit dem Volksbuddhismus, in dem sich archaische Riten und magische Vorstellungen mischen, wenig zu tun; und die buddhistischen Lehrer, die aus Asien in den Westen kommen, gehören zur Elite. Sozusagen "einfache Dorfpfarrer" sind nicht darunter.

Dazu kommt noch etwas: sowohl in Japan als auch in Südostasien entstanden an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert unter dem Druck der - vom westlichen Imperialismus erzwungenen - Begegnung mit der Moderne Neuformulierungen des Buddhismus. Dabei orientierten sich die asiatischen Buddhisten an Vorstellungen der westlichen Moderne, und vor allem an dem Bedürfnis der Europäer nach einer aufgeklärten Religion.

Die Buddhisten interpretierten ihre Religion mit den Mitteln der modernen Philosophie und Wissenschaft (dem Positivismus, der Evolutionstheorie, aber auch dem deutschen Idealismus ...) sodass sich der Buddhismus deutlich und für aufgeklärte Westler wohltuend von ihrer eigenen christlichen Religion, also der Religion der Kolonialherren, unterschied. Formulierungen wie die, dass der Buddhismus eine Religion der Selbsterlösung, sei oder gar keine Religion, sondern eine Weltanschauung, sind Ergebnisse dieser gegen den westlichen Kolonialismus gerichteten Entwicklung, die bis heute die Selbstdarstellung des Buddhismus durch asiatische Lehrer und dann natürlich auch durch deren westliche Schüler bestimmen.

Die Frage nach dem "originalen Buddhismus" wird von dieser postmodernen Rezeption außer Kraft gesetzt, da für die meisten europäischen Buddhismus-Interessenten hermeneutische Fragestellungen irrelevant sind. Faktum ist: der Buddhismus im Westen trägt von Anfang an ein anderes Gesicht als in Asien.

Die Autorin ist Religionsphilosophinund Religionsjournalistin beim ORF.

Zum Dossier Buddhismus boomt: Im Gegensatz zum Islam, den viele Europäer mit ängstlichen Augen betrachten, gilt der Heilsweg aus dem Osten als "moderne" Religion. Das furche-Dossier spürt den Gründen dafür nach und benennt die buddhistischen Schulen, die auch in Österreich vertreten sind; ein buntes Bild, das zeigt: Den Buddhismus gibt es nicht. Und obwohl buddhistische Praxis auch ins Christentum Eingang findet, ist das Verhältnis der beiden Religionen zu befragen.

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