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"Narrative Dogmatik": henning klingen hat die Bücher über Benedikts XVI. "Jesus von Nazareth" gelesen.

In katholischen Kreisen ist man sich einig: es war "das" Buchereignis des Jahres 2007: das Buch "Jesus von Nazareth", vorgelegt von keinem Geringeren als Papst Benedikt XVI./Joseph Ratzinger. Innerhalb kürzester Zeit avancierte es zum Bestseller. Bislang wurde es nahezu zwei Millionen Mal verkauft. Weltweit kümmern sich 42 Verleger um die Verbreitung des Buches in über 30 Sprachen. Eine gewaltige Medienmaschine ist angelaufen und das zuletzt durch den breiten Markt an Esoterik- und Lebenshilfeliteratur angeschlagene Segment christlicher Literatur hofft auf einen Absatz- und Umsatzfrühling. Im Kielwasser dieses Erfolges werfen Verlage daher auch wie entfesselt Kommentare, Stellungnahmen und Gegenpositionen auf den Markt, die allerdings nur selten dem Vorwurf standhalten, mit allzu heißer Nadel gestrickt zu sein und eher dem schnellen publizistischen Erfolg als der theologischen Debatte dienen.

Der Herderverlag, der die exklusiven Verlagsrechte für das Buch im deutschsprachigen Raum innehat, überlässt in Sachen Papst nichts dem Zufall und schickt gleich drei Kommentarbändchen ins Rennen, ein weiterer ist angekündigt. Dem biblisch versierten Leser bietet der Verlag in seiner Reihe "Theologie kontrovers" den Band "Die Antwort der Neutestamentler", dem theologisch-philosophisch orientierten Leser den Band "Systematische Reflexionen zum Jesus-Buch des Papstes". Dem theologischen Laien soll der Band Thomas Södings, "Schlüssel zu einem tieferen Verständnis", weiterhelfen.

Meist bloß kommentiert …

Lesenswert und von informativer Klarheit zeigen sich dabei leider nur die Stellungnahmen der Neutestamentler. Insbesondere die Zunft der historisch-kritisch arbeitenden Professorenschaft stellt sich dabei der Provokation des Papstbuches. Die anstößigen Punkte lassen sich wie folgt zusammenfassen: Zum einen will der Papst nicht ein Jesus-Buch unter vielen schreiben, sondern den historischen Jesus plausibler machen, als er dem Leser vieler anderer Jesus-Bücher der letzten Jahre entgegengetreten ist. Dies ist der gewaltige Anspruch, den Joseph Ratzinger gleich zu Beginn an sich stellt. Nicht genug, geht Benedikt XVI. dazu nicht etwa den gewohnten exegetischen Weg einer Rekonstruktion tatsächlicher historischer Jesus-Worte und -Überlieferungen und einer Abscheidung nachträglicher, auf die nachapostolische Gemeindewirklichkeit zurückgehende "Jesus-Dichtung", auch wählt er nicht den als wissenschaftlichen Common sense geltenden Weg einer gesonderten Behandlung des späten und auffallend anders gestalteten Johannesevangeliums - im Gegenteil: die provokante These lautet: gerade im Johannesevangelium, in dem Jesus als "logos", als Wort Gottes begriffen wird, tritt einem der historische Jesus entgegen.

Weiterhin wählt der Papst mit der Methode der "kanonischen Exegese" einen Weg der Zusammenschau der biblischen Schriften, der auf heftige Kritik stößt, wagt diese Lesart doch textliche Brückenschläge, die auf mitunter abenteuerliche Art und Weise Altes und Neues Testament verknüpfen, wie es sonst nur aus der Predigtpraxis bekannt ist. Der Papst wagt damit einen umfassenden Gesamtentwurf, um einer fachwissenschaftlichen Zerfaserung des Jesusbildes entgegenzutreten. Was nach einem "theologischen Coup" aussieht, stellt sich der Exegetenzunft jedoch als Überforderung dar. Der Papst überspannt den Bogen des theologisch Möglichen, da er noch dazu eine Darstellungsform wählt, die so gar nicht in den Rahmen klassischer Jesus-Bücher passt: mal spricht der Papst als Exeget, zumeist als Dogmatiker, immer als Christ und Zeitgenosse. Das macht die Stärke des Buches aus - aber eben auch seine Schwäche: denn es ist nicht "der" Jesus, der zwischen den Zeilen dieser "narrativen Dogmatik" (A. Franz) entsteht, sondern vielmehr der aus zahlreichen biografischen Kämpfen und persönlichen theologischen Gefechten hervorgegangene Jesus des Theologen Joseph Ratzinger.

Theologisch kämpft der Papst an vielen - vielleicht an zu vielen - Fronten. So will er die Person Jesu konsequent biblisch aus dem Alten Testament heraus rekonstruieren, ohne jedoch sie in den Prophezeiungen aufgehen zu lassen. Er will - was ihm hoch angerechnet wird - dem Ersten Testament alle Ehre zukommen lassen, zugleich jedoch die alttestamentlichen Prophezeiungen als "implizite Christologie" verstehen. Er will zeigen, dass Christus vor allem eines gebracht hat: Gott - und doch will er an einer konsequenten "Logos-Christologie" festhalten. Kurz: Joseph Ratzinger wagt eine Gratwanderung - auch hinsichtlich der Stil- und Argumentationsformen. Die Schwierigkeit, das Buch einem eindeutigen Genus zuzuordnen, macht zugleich freilich auch seinen Reiz aus: so streut Ratzinger in die geschlossen daherkommende Darlegung der Jesusgestalt immer wieder zeitdiagnostische und -kritische Anmerkungen ein, wie etwa eine herbe, fast verbitterte Kritik an der Befreiungstheologie. Auch seine Lieblingskritik, der "Relativismusvorwurf", darf freilich nicht fehlen.

Weniger konkret und fast unerträglich schwierig zu lesen fallen hingegen Herders "systematische Reflexionen" aus. Kapitel für Kapitel des Papst-Buches werden von unterschiedlichen Autoren besprochen, analysiert, allzu häufig auch nur referiert. Oftmals bleibt am Ende der für ergiebige Reflexionen allzu kurz geratenen Textfragmente das schale Gefühl, nicht klüger als zuvor zu sein. Ähnlich ergeht es dem Leser mit einem weiteren, von Thomas Söding herausgegebenen Band aus dem Hause Herder. Die versprochenen "Schlüssel zu einem tieferen Verständnis des Papstbuches" stellen sich als unstrukturierte Textsammlung dar. Ein Lichtblick: die ausführliche Replik des Rabbiners Jacob Neusner, dessen Buch "Ein Rabbi spricht mit Jesus" Joseph Ratzinger einen wichtigen Teil seines Buches gewidmet hat. Kurz gesagt: Herder hat seine Chance nicht zu nutzen gewusst, ein breites und repräsentatives Spektrum an Kommentaren und Stellungnahmen zu bieten. Hinzu kommt ein mittlerweile zum "Hausproblem" Herders avanciertes Phänomen: so sind es immer dieselben Autoren aus dem sehr spezifischen Freiburger "Theologen-Biotop", die zur Autorenschaft gebeten werden.

Erwartungsgemäß negativ fällt das Urteil des umstrittenen protestantischen Theologen Gerd Lüdemann aus. Hatte er im "Spiegel" das Papstbuch unmittelbar nach seinem Erscheinen als "peinliche Entgleisung" abqualifiziert, vollstreckt der selbst ernannte Retter der Theologie dieses Urteil nun auf rund 150 Seiten im Stil eines übereifrigen Professors. Im Stile einer Seminararbeit referiert er in seinem Buch "Das Jesusbild des Papstes" zunächst die einzelnen Kapitel, um sie dann Seite für Seite einer Kritik zu unterziehen. Und für jeden, der sein Anliegen am Ende eines jeweiligen Kapitels noch immer nicht begriffen hat, folgt eine Zusammenfassung nach dem Muster: "Haupteinwand: Ratzingers Ausgangspunkt, dass man den Evangelien historisch trauen kann, ist ein Holzweg."

Zumindest das Rennen um die schnellste Publikation hat der LIT-Verlag mit seinem Band "Jesus von Nazareth kontrovers" für sich entschieden. Bereits unmittelbar nach Erscheinen des Papstbuches versammelte es ein buntes Konzert an ausführlichen Kommentaren und Stellungnahmen u.a. von Klaus Berger, Hans Küng, Paul Weß und Kardinal Christoph Schönborn. Auch hier beschränkt sich ein theologischer Mehrwert leider auf nur wenige Texte, insbesondere auf jenen des Exegeten Klaus Berger. Irritierend wirkt die Aufnahme des für seine literarischen Störfeuer bekannten Enfant terrible der Theologenzunft, Adolf Holl.

… aber nur selten diskutiert

Am Ende ein vielleicht überraschender Tipp: der Schuldezernent Georg Bubolz hat ein kleines, unscheinbares Büchlein im Patmos-Verlag veröffentlicht, das bei der Lektüre ein wenig wie ein Schul- und Lehrbuch daherkommt, dadurch jedoch als einziges Buch tatsächlich hält, was es im Titel verspricht: Es gibt "Informationen, Hintergründe, Denkanstöße", indem es zunächst nicht beim Jesus-Buch des Papstes, sondern bei der theologischen Grundkonstitution seines Autors, Joseph Ratzinger, ansetzt. Stück für Stück arbeitet Bubholz die notwendigen Verständnisgrundlagen exakt jener Punkte heraus, die zu den Hauptknackpunkten des Papstbuches zählen: die Entwicklung und den Rang der historisch-kritischen Exegese, die Frage nach dem "historischen Jesus", die Methode einer "kanonischen Exegese" etc. Erst nach diesen anschaulich, wenn auch oft etwas schulmeisterlich daherkommend erörterten Grundlagen wagt sich Bubolz nach gut der Hälfte seines Buches an den eigentlichen Anlass seines Buches heran: das Werk "Jesus von Nazareth". Schließlich entlässt er den Leser mit einer in Thesen gegossenen kritischen Würdigung des Papstbuches.

Freilich, theologisch bleibt auch Bubolz hinter einem theologisch ebenbürtigen Kommentar zurück, dennoch erweist dieses Buch wohl als einziges den Dienst, dem Verständnis des Papstbuches zu dienen: es erklärt und erläutert. Bubolz ist in erster Linie Pädagoge - eine Eigenschaft und eine Fähigkeit, derer sich gerade Theologen in ihrem Autorendasein hin und wieder erinnern sollten.

Das Jesus-Buch des Papstes

Die Antwort der Neutestamentler

Hg. Thomas Söding, Verlag Herder, Freiburg 2007. 158 Seiten, kt. € 10,20

Jesus und der Papst

Systematische Reflexionen zum Jesus-Buch des Papstes. Hg. Helmut Hoping, Michael Schulz. Verlag Herder, Freiburg 2007. 125 Seiten, kt. € 10,20

Ein Weg zu Jesus. Schlüssel zu einem tieferen Verständnis des Papstbuches

Hg. Thomas Söding, Verlag Herder, Freiburg 2007. 110 Seiten, kt. € 8,20

Das Jesusbild des Papstes

Über Joseph Ratzingers kühnen Umgang mit den Quellen. Von Gerd Lüdemann, zu Klampen Verlag, Springe 2007. 157 Seiten, geb. € 10,30

"Jesus von Nazareth" kontrovers

Rückfragen an Joseph Ratzinger

Mit Beiträgen von Karl Kardinal Lehmann, Christoph Kardinal Schönborn, Adolf Holl, Klaus Berger, Hans Küng, Hans Albert u.a. LIT Verlag, Münster 2007. 162 Seiten, kt. € 17,90

Das Buch des Papstes: Jesus von Nazareth. Informationen - Hintergründe - Denkanstöße Von Georg Bubolz. Patmos Verlag, Düsseldorf 2007. 160 Seiten, kt. € 13,30

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