Über das brisante Verhältnis von Religion und Staat diskutierten Wissenschafter und Religionsvertreter bei der vierten ökumenischen Sommerakademie in Kremsmünster.
Darf sie oder nicht? Nein, befand Anfang Juli das deutsche Bundesverwaltungsgericht und verwehrte der muslimischen Lehramtskandidatin Fereshta Ludin die Aufnahme in den Beamtendienst des Landes Baden-Württemberg. Sie hatte darauf bestanden, während des Unterrichts ein Kopftuch zu tragen. Doch dieses, so das Gericht, sei ein deutlich wahrnehmbares Symbol einer bestimmten Religion und verletze somit die Pflicht zu strikter Neutralität in der staatlichen Schule.
Das Urteil sorgte beim Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) für Unverständnis, ortete man doch ein "faktisches Berufsverbot für Muslimas mit Kopftuch." Die Enttäuschung war umso größer, als die Vereinigung, die rund 800.000 der 3,2 Millionen Muslime in Deutschland vertritt, erst im Februar mit der "Islamischen Charta" einen Pionierweg zur Klärung des Verhältnisses zum säkularen Rechtsstaat beschritten hatte (siehe www.islam.de und untenstehendes Interview).
"Wir definieren uns als Teil dieser Gesellschaft", stellte der Vorsitzende des Zentralrats, Nadeem Elyas, auch vergangene Woche bei der vierten ökumenischen Sommerakademie im oberösterreichischen Stift Kremsmünster fest. Thema der Tagung, die unter anderem vom Ökumenischen Rat der Kirchen Österreichs und der Hauptabteilung Religion im ORF-Radio veranstaltet wurde, war das Spannungsfeld zwischen "Gottesstaat oder Staat ohne Gott" in den drei abrahamitischen Religionen. Deren jüngste, der Islam, sei eine "universale Lehre", so Elyas. "Schon von daher kann man die politische Struktur der Gesellschaft nicht außer Acht lassen."
Wie aber die gängige Formel "Der Islam ist Religion und Staat" interpretiert werden soll, wird nach Meinung der Berliner Islamwissenschafterin Gudrun Krämer auch innerhalb der Muslime heftig diskutiert. Tatsächlich handle es sich dabei um einen "Kampfbegriff", der eine "klare Absage an den Säkularismus" beinhalte. Vertreten werde diese These - zumindest im Mittleren Osten - von weiten Kreisen der politischen Öffentlichkeit.
Recht auf Kommentar
Und wie gestaltet sich das Verhältnis der rund 350.000 Muslime in Österreich zum säkularen Rechtsstaat? Anas Schakfeh, Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft, findet in Kremsmünster deutliche Worte: "Wir möchten diesen Staat nicht okkupieren, aber wir wollen uns zu gesellschaftspolitischen Fragen melden."
Ähnlich sieht der oberösterreichische Diözesanbischof Maximilian Aichern das Verhältnis der katholischen Kirche zu politischen Belangen: Zwar definiere man sich seit dem "Mariazeller Manifest" von 1952 als "freie Kirche in einem freien Staat", nehme sich aber weiterhin das Recht, "die Stimme zu erheben, wenn es um Grundwerte geht." Als Beispiel nennt Aichern das Eintreten für einen arbeitsfreien Sonntag.
Während sich europäische Politiker und Kirchenvertreter eher in Zurückhaltung üben oder, wie im laizistischen Frankreich, eine völlige Trennung von Religion und Staat vorgesehen ist, sieht die Situation in den USA anders aus. "Die amerikanische Politik hat die Idee, am Reich Gottes mitzubauen", weiß Rolf Schieder, Professor für Religionspädagogik am Institut für Evangelische Theologie der Universität Koblenz-Landau. Aus diesem Verständnis heraus erhalte auch der Segenswunsch "God bless America" von US-Präsident George W. Bush seine Legitimation.
Wieder anders steht es schließlich um die politische Theologie im Judentum. Eine zentrale Stellung nimmt hierbei die strittige Frage nach den Grenzen des Heiligen Landes und der Wohnstatt Gottes ein, erklärt Daniel R. Schwartz, Althistoriker an der Hebrew University of Jerusalem. "Man könnte behaupten, dass Gott im Land selbst wohnt, also den Staat Israel als Gottesstaat betrachten. Die zweite Möglichkeit wäre, Gott aus dem Spiel zu lassen, was jedoch die jüdische Religion in Frage stellt. Drittens könnte man Israel als einen Staat wie jeden anderen sehen. So glauben auch Juden in der Diaspora, dass Gott überall zugänglich ist." Schwartz selbst favorisiert die dritte Variante. Die Staaten dieser Welt sollten religiös neutral sein, "damit jeder Mensch nach seiner Façon leben kann."
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