Bunt zusammengewürfelter Teamgeist

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Sie haben belastende Erinnerungen und bringen ganz unterschiedliche Sprachen, Kulturen und Religionen mit. Der Fußball aber schafft es schnell, Menschen und Orte zu verbinden. Geschichten aus einem Wohnheim für junge Flüchtlinge in Wien-Ottakring.

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Sie haben belastende Erinnerungen und bringen ganz unterschiedliche Sprachen, Kulturen und Religionen mit. Der Fußball aber schafft es schnell, Menschen und Orte zu verbinden. Geschichten aus einem Wohnheim für junge Flüchtlinge in Wien-Ottakring.

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Es war einer der letzten Tage vergangenen September, als sich im Haus Liebhartstal in Wien-Ottakring ein Gerücht wie ein Lauffeuer verbreitete, mitten im Aufbau dieses Wohnheims. Zunächst unter den Betreuern und Betreuerinnen, bald aber auch unter den Bewohnern und Bewohnerinnen, die erst seit wenigen Wochen oder Tagen hier ein neues Zuhause gefunden haben. Der Samariterbund betreut in diesem Haus seit August 2015 rund 30 unbegleitete minderjährige Mädchen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren, etwa ebenso viele unbegleitete minderjährige Burschen, 20 Frauen und einige Familien. Mit der eifrig weitergereichten Information konnten die Flüchtlinge, die vor allem aus Afghanistan, Syrien, Somalia und einigen anderen afrikanischen Ländern stammen, vorerst noch gar nichts anfangen.

Plötzlich aber bestätigte sich das Gerücht: Zwei schwarze Limousinen bogen auf die Feuerwehreinfahrt Richtung Haus Liebhartstal ein und tatsächlich, David Alaba stieg aus einer der Limousinen. Der Bayern München-Spieler und Star der österreichischen Nationalmannschaft war voll bepackt mit Sportschuhen für die Jugendlichen. In der Zwischenzeit hatte sich auch bei den jüngst angekommenen Bewohnern herumgesprochen, von wem sie da gerade besucht wurden. Alle tummelten sich um den Fußballstar, um ein Autogramm und ein Foto mit ihm zu ergattern.

Fußball-begeisterte Mädchen

Jetzt, gute acht Monate später, ist im Haus Liebhartstal schon ein wenig mehr Ruhe und Alltag eingekehrt. Es wurden zwei getrennte Wohnbereiche für Familien und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) geschaffen. Ein strukturierter Tagesablauf mit gemeinsamen Mahlzeiten, Deutschstunden und sinnvoller Freizeitbeschäftigung ist für die jungen Geflüchteten, die teils sehr belastende Situationen erlebt haben, essenziell. Neben der Schule und dem Deutschkurs gehen die Jugendlichen den unterschiedlichsten Hobbys nach. Dazu zählen Theater, Tanzen, Musizieren, Singen, Zeichnen, Film- und Fotoworkshops, und natürlich diverse Sportarten. Die Vielfalt der Tätigkeiten richtet sich nach der Nachfrage der Jugendlichen sowie nach den Angeboten, die immer wieder von engagierten Initiativen ausgearbeitet werden. Gerade auch die Freizeitaktivitäten, die im Haus Liebhartstal von Beginn an einen wichtigen Platz einnehmen, sollen helfen, einen geregelten Alltag zu schaffen. Und sie sollen das lange Warten auf eine Entscheidung der Asylbehörden kurzweiliger und erträglicher machen.

Eine besonders gefragte Sportart ist Fußball. Das Interesse unter den Burschen ist hier zwar erwartungsgemäß größer als unter den Mädchen. Dennoch, auch das Interesse der Mädchen nimmt zu. Eines der Mädchen im Haus spielt regelmäßig in einem Frauenteam, insgesamt sechs Mädchen haben bei einer Befragung angegeben, ebenfalls Fußball spielen zu wollen. Auch wenn der Wiener Sportklub wieder einmal ein Match im nahe gelegenen Hernals spielt, ist die anreisende Fan-Gruppe aus dem Haus Liebhartstal gemischt. Wiewohl man auf der Friedhofstribüne zur Zeit nicht gerade Spitzenfußball sehen kann, genießen die Jugendlichen die Atmosphäre. Einer der jungen Afghanen wurde im Herbst sogar zu einem Training beim Wiener Sportklub eingeladen. So richtig glücklich wurde der 17-Jährige dort aber nicht. Er kam mit der wiederholten Bitte, ihn für ein Probetraining bei einem Spitzenverein wie Rapid oder Austria Wien, zur Not auch bei Red Bull Salzburg, anzumelden. Nachdem ihm erklärt wurde, dass das so leicht nicht möglich ist, suchte er sich kurzerhand selbst einen Verein. Er landete bei "Kicken ohne Grenzen" (s. Kasten), wo er jetzt schon Kapitän ist.

Leidenschaft für den Fußball zeigt auch Ramin (Name von der Redaktion geändert), der aus Afghanistan kommt und im Iran aufgewachsen ist, bis er auch von dort fliehen musste. Mit neun Jahren hat er begonnen, sich mit dem runden Leder anzufreunden.

Mentale und körperliche Stärke

Seitdem spielt dieser Sport eine große Rolle in seinem Leben. Denn Fußball ist eines der wenigen Dinge, die hier wie dort gleich sind. "Naja, nicht ganz", meint Ramin, wenn er darauf hinweist, dass er hier nun das Gefühl hat, es richtig hoch hinauf schaffen zu können. Im Iran, wo er auch in einem Fußballteam gespielt hat, wäre aufgrund seiner Herkunft irgendwann stopp gewesen. Dort hat er in einem selbstorganisierten afghanischen Team trainiert, in ein offizielles iranisches Team wäre er nicht aufgenommen worden.

In Österreich schätzt er es besonders, dass er in seinem U15-Team des Wiener Erstligisten aus Penzing viele Teamkollegen aus den verschiedensten Ländern hat. Denn davon könne man viel lernen, was das fußballerische Können, aber auch das Verhalten und den Umgang miteinander betrifft. Das gemeinsame Ziel, an dem gearbeitet wird - die Solidarität am Rasen und das dadurch gewonnene Zusammengehörigkeitsgefühl - ist neben der körperlichen und mentalen Stärke, die hier trainiert werden, Grund dafür, warum "Fußball einfach der beste Sport ist", wie Ramin sagt. Bei all den Sorgen, die den knapp 15-Jährigen begleiten, hilft ihm der Ballsport, sich zu entspannen, positive Energie und so etwas wie innerliche Ruhe zu tanken.

Berufswunsch: Fußballer

Besonders stolz berichtet Ramin über seine Tor- und Kartenstatistik: Zehn Tore hat er in zehn Spielen gescort, und das obwohl er in der Verteidigung und im Mittelfeld spielt. Eine blaue, gelbe oder rote Karte hat er dabei noch nie gesehen. Sein großes Ziel ist es einmal, professionell Fußball zu spielen. Dann möchte der junge Afghane seine Berühmtheit dazu nutzen, sich für Menschen einzusetzen, die es nicht so gut haben wie er. Der Weg in den Profi-Fußball ist hart und steinig. Ob Ramin einmal die Möglichkeit haben wird, sich zu revanchieren, steht noch in den Sternen. Eine der Voraussetzungen, nämlich unabhängig von seiner Herkunft in einem Wiener Verein mit Aufstiegschancen zu spielen, ist zumindest gesichert.

Am Talent mangelt es ihm jedenfalls nicht. Bei seinem Trainer und seinem Verein hat er die volle Unterstützung. Kunstrasenschuhe, Rasenschuhe, Schienbeinschoner und Vereinsbekleidung sind kostenaufwändige Ausgaben, die unerlässlich für den Teamsport sind, aber nicht immer ohne finanzielle Hilfe durch Andere gestemmt werden können. Nicht zuletzt dadurch zeigt sich, wie wichtig Solidarität ist. Das ist auch Ramin bewusst. Vielleicht ein wichtiges Detail, das wir uns als Gesellschaft vom Fußball abschauen sollten: gemeinsam an einem Strang zu ziehen für die Vision einer solidarischen Welt ohne Kriege und ohne Rassismus - egal auf welchem Rasen.

Die Autorin ist Sozialarbeiterin im Haus Liebhartstal des Samariterbunds in Wien

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