Christ im "Zwielicht" der Welt

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"Die Kirche war stumm, wo sie hätte schreien müssen, weil das Blut der Unschuldigen zum Himmel schrie": Dietrich Bonhoeffers Ethik bringt nicht nur für seine Kirche unangenehme, aber lebenswichtige Einsichten.

Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen! Mit diesem provokanten Wort bringt Dietrich Bonhoeffer sein Leben und seine Theologie mit aller Schärfe auf den Punkt: Christentum bedeutet nicht Flucht aus der Welt, sondern Einsatz für die Welt - ein Thema, das nichts an Aktualität verloren hat. Daher ist Bonhoeffer ein so herausragendes Beispiel dafür, wie Leben und Theologie, Denken und Glauben zu innerer Einheit finden, dass die Frage nach seiner Bedeutung für heute in eben dieser Einheit ansetzen muss.

Sünde und Erlösung

Ein Schlüsselereignis für das Verständnis der Theologie Bonhoeffers ist zweifellos der Sommer 1939, als er sich entschließt, nicht in den usa zu bleiben, sondern nach Deutschland zurückzukehren und sich dem Widerstand gegen Hitler anzuschließen. Bonhoeffer sieht in diesem Entschluss nicht mehr und nicht weniger als seine Verantwortung für Deutschland und das christliche Europa.

Dieser Ruf in die Verantwortung erwächst aus der Grunderfahrung, dass jeder Mensch und damit auch jede menschliche Struktur, Welt und Geschichte in der Spannung von Sünde und Rechtfertigung steht: "simul iustus et peccator - gerecht und ein Sünder zugleich", lautet die lutherische Formel.

Das heißt zum einen, dass in der Welt die Macht der Sünde nicht zu leugnen ist, dass Gott und Welt, Gottes Wille und menschliches Handeln niemals einfachhin identifiziert werden können. Nichts, was in der Welt geschieht, entspricht zur Gänze dem Willen Gottes. Damit wendet sich Bonhoeffer gegen den liberalprotestantischen Optimismus in Bezug auf eine fortschreitende Humanisierung der Welt, aber auch gegen eine Naturrechtsethik, die sich an einer ungebrochenen Schöpfungsordnung orientieren möchte.

Andererseits besteht aber zwischen Gott und Welt auch kein absoluter Widerspruch, weil die Welt immer auch Gottes Welt ist und weil Gott durch Christus in der Welt präsent ist. Damit verbietet sich für Bonhoeffer der pietistische Rückzug aus der Welt, der die Welt zum Teufel gehen lässt und meint, welt-fremd zu Gott zu gelangen.

"Hinterweltlerisch"

Diese Haltung nennt Bonhoeffer "hinterweltlerisch" (sic!): Hinterweltlerisch sind wir, seit wir den bösen Kniff herausbekamen, religiös, ja sogar ,christlich' zu sein auf Kosten der Erde. Im Hinterweltlertum läßt es sich prächtig leben. Man springt immer dort, wo das Leben peinlich und zudringlich zu werden beginnt, mit kühnem Abstoß in die Luft und schwingt sich erleichtert und unbekümmert in sogenannte ewige Gefilde. Man überspringt die Gegenwart, man verachtet die Erde, man ist besser als sie ...

Solche Haltung ist aber weder schöpfungstheologisch noch christologisch gerechtfertigt: Die Wirklichkeit Gottes erschließt sich nicht anders als indem sie mich ganz in die Weltwirklichkeit hineinstellt, die Weltwirklichkeit aber finde ich immer schon getragen, angenommen, versöhnt in der Wirklichkeit Gottes vor, schreibt Bonhoeffer 1940 in seiner "Ethik". Also sieht er die Aufgabe der Christen darin, in der Welt und für die Welt zu wirken, im Bewusstsein, dass man sich dabei immer auch die Hände schmutzig macht, weil die Welt eben nicht "rein" ist.

Verantwortung in der Welt zu übernehmen heißt, Christus nachzufolgen, der ganz in die Welt eingegangen ist, der den Kontakt mit Sünderinnen und Sündern nicht gescheut hat und gerade darin das Reich Gottes erfahrbar gemacht hat. Es gibt daher keine zwei "Reiche", keine Trennung zwischen sakral und profan, zwischen göttlicher und weltlicher Sphäre, sondern Gott und die Welt bestehen unvermischt und ungetrennt, so wie der Mensch immer Sünder und Erlöster zugleich ist.

"Welthaftigkeit"

Christlicher Glaube ist also welthaft oder er ist nicht christlich. Welthaftigkeit bedeutet aber weder die Herstellung einer idealen Welt noch opportunistische Anpassung an den Status quo.

Bonhoeffer illustriert diese beiden Extrempositionen mit den Bildern von Don Quijote und Sancho Pansa. Don Quijote der Idealist, der seine ideale Welt konstruiert und dabei zwangsläufig an den Windmühlen scheitert, und daher die Welt ganz hinter sich lässt, um sich in ein Traumland zu flüchten. Ihm steht sein Knecht Sancho gegenüber, der illusionslos die Realität als das nimmt, was sie ist.

Das Notwendige tun

Christlich leben heißt für Bonhoeffer im Unterschied zu beiden, sich weder dem Ideal noch der Realität zu verschreiben, sondern konkret, heute und hier verantwortlich zu handeln, d.h. das Notwendige zu tun. Was das aber ist, bleibt immer im Zwielicht, denn die Realität ist niemals nur gut oder nur böse. Wer das Zwielicht der Wirklichkeit scheut, der müsste sich auf eine Prinzipienethik zurückziehen, aber die würde konkret gar nichts bewirken.

So umschreibt Bonhoeffer die Aufgabe christlicher Ethik als verantwortliches Handeln im Konkreten: Weil es nicht um die Durchführung irgendeines geistlosen Prinzips geht, darum muß in der gegebenen Situation beobachtet, abgewogen, gewertet, entschieden werden, alles in der Begrenzung menschlicher Erkenntnis überhaupt. Es muß der Blick in die nächste Zukunft gewagt, es müssen die Folgen des Handelns ernstlich bedacht werden, ebenso wie eine Prüfung der eigenen Motive, des eigenen Herzens versucht werden muß. Nicht die Welt aus den Angeln zu heben, sondern am gegebenen Ort das im Blick auf die Wirklichkeit Notwendige zu tun, kann die Aufgabe sein.

Pazifizist und Widerständler

Dieser Satz aus Bonhoeffers "Ethik" ist wohl die beste Begründung dafür, warum er sich aktiv am militärischen Widerstand gegen Hitler beteiligt, und das obwohl er seit spätestens 1933 überzeugter Pazifist ist und Gewalt eindeutig als sündhaft bewertet.

Die Notwendigkeit der Zeit lässt es einfach nicht zu, sich auf einen idealistischen Standpunkt zurückzuziehen, sie verlangt verantwortliches Handeln - in der Bereitschaft, die Konsequenzen zu tragen.

Kirche inmitten der Welt

Die Verpflichtung auf die Welt schreibt Bonhoeffer nicht nur den Christen ins Stammbuch, sondern auch der Kirche, die für ihn nicht bloß Institution aber auch nicht einfach eine Idee ist, sondern die konkrete Gemeinschaft derer, die in der Welt Christus nachfolgen, indem sie dem Reich Gottes den Weg bereiten. Wegbereitung meint nicht Herstellung, hier ist Bonhoeffer sehr bescheiden, wohl aber, sich verantwortlich in den Dienst der Welt zu stellen.

Kirche also mitten in der Welt, abseits von jedem Reinheitsideal, geschweige denn von jeder Selbstüberhebung, die Kirche sei schon das Reich Gottes. Wie der Einzelne, so steht auch die Kirche mit einem Bein in der Sünde der Welt, mit dem anderen im Reich Gottes - und diesen Spagat muss sie auch durchhalten: Kirche ist ein Stück Welt, verlorene, gottlose, unter den Fluch getane, eitle, böse Welt.

Zugleich betont Bonhoeffer aber auch: Kirche ist die Gegenwart Gottes in der Welt. Kirche "ist" immer beides zugleich. Wer nur eines von beiden sieht, sieht nicht die "Kirche".

Kirche ist keine Sekte

Der Gegensatz von Sünde und Gerechtigkeit lässt sich also nicht auf den Gegensatz von Kirche und Welt reduzieren, denn so wie es in der Kirche Sünder und Gerechte gibt, so stehen auch in der Welt Gottlose neben unbewussten Christen.

Damit verbietet sich aber für die Kirche jedes sektenhafte Reinheitsideal: Jedes Ausleseprinzip und jede damit verbunden Absonderung, ist für eine christliche Gemeinschaft von größter Gefahr. Der Ausschluß des Schwachen und Unansehnlichen, des scheinbar Unbrauchbaren aus einer christlichen Lebensgemeinschaft kann geradezu den Ausschluß Christi bedeuten.

Zugleich kann sich die Kirche aber auch nicht mit dem Status der Unvollkommenheit zufrieden geben - das wäre bloß billige Gnade, die Bonhoeffer vehement ablehnt. Vielmehr geht es darum, dass die Kirche in Solidarität mit der sündigen Welt das ihre dazu beiträgt, die Sünde und ihre Folgen zu bekämpfen; und da es hier nicht zuletzt um ihre eigene Schuld geht, bleibt der Kirche kein anderer Weg, als ihre Schuld einzubekennen und um Vergebung zu bitten.

Schuldbekenntnis der Kirche

Das ist der einzige Weg, die eigene Sünde zu überwinden. So formuliert Bonhoeffer 1941 in aller Offenherzigkeit ein "Schuldbekenntnis der Kirche", ein Bekenntnis, das er nicht anderen oktroyiert, sondern in das er sich durchaus auch selbst mit einschließt.

Er spricht von allen 10 Geboten, insbesondere aber von Feigheit, Anpassung und Kollaboration: Sie [die Kirche] war stumm, wo sie hätte schreien müssen, weil das Blut der Unschuldigen zum Himmel schrie.

Angesichts des bis heute immer wieder beobachtbaren Unvermögens kirchlicher Würdenträger, unzweideutig und ohne Relativierungen zur Schuldgeschichte der Kirche Stellung zu nehmen, ist dieses Bekenntnis eine bleibende Herausforderung - eine der vielen, die Bonhoeffer in seiner Kompromisslosigkeit damals wie heute darstellt.

Der Autor ist Professor für Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.

Bücher zum thema:

Befreit zur Verantwortung

Sünde und Versöhnung in der Ethik Dietrich Bonhoeffers

Von Gunter M. Prüller-Jagenteufel

LIT-Verlag, Münster 2004, 608 Seiten, brosch., e 51,30

Freiheit zur Mitmenschlichkeit

Dietrich Bonhoeffers Theologie der Sozialität

Von Clifford J.Green

Gütersloher Verlagshaus , Gütersloh 2004, 372 Seiten, kt., e 46,30

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