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Eine kleine Geschichte des (katholischen) Kirchenraums.

Christen kämpfen in Zeiten wie diesen des Öfteren mit dem Vorurteil, auf die Welt etwas antiquiert zu wirken. Da mögen Seligsprechungsprozesse und der Führungsstil des einen oder anderen Bischofs genauso eine Rolle spielen wie eine falsche Unzeitgemäßheit von kirchlichen Verlautbarungen. Ein Blick auf die Bauten, in denen sich Christen versammeln, und auf die Ansprüche, die sie an diese stellen, geben mitunter Gelegenheit, Einkehr zu halten. Welche Rolle kann ein Kirchenbau in einer urbanen Häuseransammlung heutzutage einnehmen? Soll er die Konkurrenz mit den Wolkenkratzern aufnehmen?

Schon vor 40 Jahren konterte Frédéric Debuyst, belgischer Benediktiner und ausgewiesener Fachmann, gegen eine derartige Tendenz. "Das Äußere der Kirche als Zeichen oder Symbol des Christentums in der modernen Stadt durch Fassade und Turm zum Ausdruck zu bringen, ist eine mittelalterliche Idee, ist anachronistisch und als veräußerlichte Symbolik dazu verurteilt, heute eine tote Sprache zu sein." Und Herbert Muck, hierzulande Doyen in Fragen des Kirchenbaus, setzt noch eines drauf: Für ihn sind Kirchen schlicht Häuser. Häuser unter Häusern gegenüber der baulichen Inszenierung einer triumphierenden Kirche: wie kommt es zu dieser Opposition? Einige Bemerkungen zur Geschichte des Kirchenbaus können hier dienlich sein.

Liturgie im "Wohnzimmer"

Es ist wohl anzunehmen, dass die meisten gottesdienstlichen Versammlungen der ganz frühen Kirche in Privathäusern stattgefunden haben. Sowohl von der Größe der Gruppe in den kleinen Gemeinden, von den finanziellen Möglichkeiten und auch vom besseren Schutz in Zeiten der Verfolgung her, liegt dies nahe. Zudem lässt sich der heute rein auf Kirchen bezogene Ausdruck der Basilika sowohl philologisch wie mit Einschränkungen auch architektonisch auf einen Wohnraum in einem typischen römischen Haus zurückverfolgen.

Im heutigen Sprachgebrauch ist es das "Wohnzimmer", das zu liturgischen Zwecken adaptiert wurde. Die später eigens errichteten Versammlungsräumen unterschieden sich von heidnischen Kultbauten, indem sie nicht durch die Anwesenheit einer Gottheit zu einem besonderen Raum erhoben wurde. Die Gläubigen selbst waren ja der Tempel Gottes, die Heiligkeit auch des Raumes war auf ihr Handeln bezogen. Obwohl die Ausgrabungsbefunde für die Zeit vor Konstantin mehrdeutig und spärlich sind, kann man für diese Räume von mobilen Einrichtungen ausgehen, die Liturgietexte der Frühzeit werden nur dann wirklich verständlich, wenn man von einer Versammlung der Gläubigen um den Altar ausgeht.

Schranken zum Volk

Es ist in der Folge kaum möglich, allgemein von Kirchenräumen zu sprechen, zu unterschiedlich sind die Funktionen, die etwa eine Bischofs-, eine Kommunitäts-, eine Memorial- oder eine Pfarrkirche architektonisch zu erfüllen haben. Dennoch kann man für die Zeit zwischen 300 und 600 n. Chr. festhalten, dass diese Bauten keine Einheitsräume für die eucharistische Feier darstellten, sondern ein Raumgefüge, das sehr spezifischen Anforderungen Genüge leistete. Eusebius berichtet in seiner Kirchengeschichte aus dem Beginn des vierten Jahrhunderts von einer Kirche aus dem heutigen Südlibanon. Er spricht dort von Thronen für die Vorsteher, von Bänken für "die Gesamtheit" - ob damit nur der Klerus oder alle Versammelten gemeint sind, bleibt offen -, von einem Altar, "als Allerheiligstes in der Mitte", und von einem um gebenden "hölzernen Gitterwerk, damit die Menge ihn nicht betrete".

Tatsächlich zeigt eine Auflistung der Standorte von Altären eine hohe Variationsbreite von den Apsiden bis weit ins Mittelschiff hinein. Die Schrankenanlagen reichten häufig weit ins Mittelschiff, sie dienten für den Einzug der Kleriker, für die Gabenabgabe, für die Austeilung der Kommunion und als Zugang zum Ort der Wortverkündigung, der schon aus akustischen Gründen oftmals weit im Mittelschiff lag. Die Orte der Lesungen waren besonders hervorgehoben, um 1000 gibt es je einen für die Lesungen und einen für die Evangeliumsverkündigung. Der Predigtort war normalerweise eigens definiert und weder auf Altar noch auf Ambo bezogen.

Bereits in früher Zeit gibt es Schrankenbauten und Abtrennungen durch Vorhänge. Der Grund dafür liegt wohl in der üblichen Trennung von Katechumenen (Taufkandidaten), Büßern und Ungläubigen von der tatsächlichen Gottesdienstgemeinde. Erstere mussten nach dem Wortgottesdienst den Raum verlassen. Als man später die Gemeinde nicht mehr in diese Gruppen differenzierte, steigerte sich die Eingrenzung auf die eigentlichen Liturgieträger auf eine kleine Gruppe.

Polyfunktionaler Raum

Die Entwicklung zur Privatmesse, die ein Priester fast allein zelebrierte, führte zu einer Vielzahl von Altären, die wie auf dem Plan der Klosterkirche von St. Gallen aus dem 9. Jahrhundert über den gesamten Kirchenraum verteilt waren und sich nicht dem Hauptaltar unterordneten, sondern jeweils einen eigenen liturgischen Ort bildeten. Der Kirchenraum war ein vielfach gegliederter polyfunktionaler Raum, in dem an vielen Orten simultan oder sukzessiv Messe gefeiert wurde, ohne fest definierte Anfangs- und Endzeiten, unabhängig von einer großen Feiergemeinde, ein Antwortgeber reichte aus.

Erst mit dem Aufkommen der Predigerorden im Hochmittelalter war es notwendig, möglichst viele Menschen an einen Ort zur gleichen Zeit zu versammeln, es entstanden große Hallenkirchen, die vor allem um gute Sicht- und Hörbarkeit bemüht waren. In der Gegenreformation setzt sich in der katholischen Kirche eine Zentrierung des Geschehens auf die Altaranlage durch, die als Bühne eines "heiligen Theaters" fungierte und durch die Verlegung des Tabernakels in diesen Bereich noch überhöht wurde. Vielfach wurden die liturgischen Erfordernisse völlig der optischen Ausgestaltung geopfert, einzig die Sakramentenfrömmigkeit kann eine bauleitende Idee beanspruchen.

Die Bevölkerungsexplosion im 19. Jahrhundert führte zu vielen Bauten, die erstmals keine wirkliche Übereinstimmung zwischen zeitgemäßer Vorstellung von Liturgie und Architektur zustande brachte, sondern in Stilkopien und Repliken stecken blieb, ohne dabei allerdings die differenzierten Raumstrukturen und die Vielfalt der liturgischen Orte aus früheren Epochen mit zu übernehmen. Der barocke Einheitsraum wurde in alle anderen kopierten Formen hineingepresst.

Das 20. Jahrhundert

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begann die liturgische Bewegung sich wieder auf frühere Traditionen des Kirchenbaus zu besinnen. So war das Gotteshaus für Pius Parsch zunächst als Ort der Versammlung ein Gebrauchsgegenstand. Gleichzeitig war es aber auch die Verkörperung der Idee der Verbundenheit kirchlicher Gemeinschaft mit Christus. Die Kirche war somit Bild, indem sie diese Beziehung darstellt und der Gemeinde in ihrer kirchlichen Lebensentfaltung den Raum dafür bietet.

Viel davon hat das Zweite Vatikanische Konzil aufgegriffen und allgemein verbindlich gemacht. Die dortige Wiederentdeckung des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen, die damit zu Mitwirkenden an einem heiligen Geschehen werden und nicht mehr bloß Zuschauer einer Klerikerliturgie sind, bietet auch den architektonischen Anknüpfungspunkt, wie in Herbert Muck bereits zur Konzilszeit formuliert hat: "Nicht das Schiff, sondern der Chorraum mittelalterlicher Kirchen ist unserer heutigen Raumvorstellung verwandt."

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