Christen und Hamas

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Wie in den 70er Jahren die PLO wird die islamistische Hamas hierzulande vor allem als Terror-Organisation wahrgenommen. Doch längst ist bei der Hamas eine Transformation im Gange - nicht unähnlich jener der PLO nach 1988.

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Wie in den 70er Jahren die PLO wird die islamistische Hamas hierzulande vor allem als Terror-Organisation wahrgenommen. Doch längst ist bei der Hamas eine Transformation im Gange - nicht unähnlich jener der PLO nach 1988.

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Im Heiligen Land haben die meisten Christen das Fest Epiphanie eben erst am 18. Jänner gefeiert: Am Jordan und in Bethlehem mit dem orthodoxen Patriarchen Theophilos III., der von Israel noch immer nicht anerkannt wird, und mit einem christlichen Bürgermeister, der nur mit Hilfe der Muslime gewählt ist. Immer mehr herrscht bei den palästinensischen Christen die paradoxe Situation, dass sie sogar eine islamische Herrschaft dem Fortdauern der israelischen Besatzung in Ostjerusalem und weiten Teilen des Westjordanlandes vorziehen - wie inzwischen auch für immer mehr Israelis der einst radikale Außenseiter Ariel Sharon zum Symbol eines Friedens in Sicherheit wird, seit er bewusstlos auf der Intensivstation des Hadassah-Spitals in Jerusalem liegt. Vergessen ist seine brutale Vergangenheit als "Schlächter" von Sabra und Schatila in Libanon.

Die Stärke der Hamas

Eine ähnliche Entwicklung nahm im Vorfeld dieser Palästinenserwahlen die 1987 von palästinensischen Moslembrüdern gegründete "Islamische Widerstandsorganisation" (Hamas). Sie hatte sich bereits bei den Gemeindewahlen von Ende 2005 politisch überraschend stark durchgesetzt; das nicht nur in ihren Hochburgen im Gazastreifen: Gerade im Westjordanland, wo bisher die national-weltliche Fatah dominierte, sind der Hamas empfindliche Einbrüche gelungen, in Nablus sogar mit einer starken Zweidrittelmehrheit von 80 Prozent. Darauf folgte dann die zweite Überraschung: Die Islamisten verbündeten sich mit Gemeinderäten von der palästinensischen Linken und sogar mit Christen. So wurde Bethlehems christlicher Bürgermeister, der Arzt Victor Batarseh, nur dank Unterstützung der Hamas in seinem Amt bestätigt. In Ramallah, der provisorischen "Hauptstadt" von Präsident Abbas, war hingegen dessen Fatah die relativ stärkste Fraktion geblieben. Sie brachte ihren Bürgermeister Ghazi Hanania aber nicht mehr durch: Die drei Stadträte von Hamas wählten zusammen mit der Volksfront für die Befreiung Palästinas die Christin Jeanette Khouri.

Lang hatte die Hamas mit ihrer ebenso sozialen wie militanten Ausrichtung neben radikalen Moslems hauptsächlich Protestwähler angezogen: Die Fatah-Administration machte sich wegen ihrer Gewaltherrschaft und Korruption schon unter Arafat in Arabisch-Palästina zunehmend Feinde. Das geht auch unter Mahmud Abbas weiter. Dazu kommt jetzt die Entwicklung der lang als Terroristen-Bande abgetanen Hamas zu einer konstruktiveren, am 25. Januar für breite Kreise und auch für palästinensische Christen wählbaren Kraft. Gerade diese haben von der Herrschaft der Fatah unter Arafat und Abbas meist bittere Erinnerungen, besonders in Bethlehem: Noch 1990 machten dort orientalische und römische Katholiken mit Orthodoxen, Lutheranern und anderen evangelischen Christen noch zwei Drittel der Bevölkerung aus.

Schon vor dem gerade für Bethlehem katastrophalen Jahr des zweiten Intifadah-Aufstands der Palästinenser 2002 waren sie nur mehr ein Fünftel, inzwischen ist ihre Zahl weiter gesunken. Die Gesamtzahl von Christen verschiedener Konfession unter den drei Millionen Arabern von Gaza, dem Westjordanland und Ost-Jerusalem beträgt heute nicht einmal mehr zwei Prozent. Das hängt in erster Linie mit der christenfeindlichen Politik im bisher von der Fatah kontrollierten Apparat der palästinensischen Selbstverwaltung zusammen: Christen werden am Arbeitsmarkt diskriminiert und gezielt aus öffentlichen Ämtern entfernt, gerade in Bethlehem. Darüber hinaus breiten sich der Boykott christlicher Geschäfte und Schutzgelderpressungen durch Fatah-Funktionäre aus. Schon Arafat hat Christen den Erwerb neuer Grundstücke und den Weiterverkauf ihrer alten Immobilien an Nichtmuslime verboten.

Die Sprecherin der christlichen Frauen von Bethlehem, Faten Mukarker, schreibt in ihrem jetzt auch auf Deutsch erschienenen Buch "Leben zwischen Grenzen": "Die Hamas gewinnt nicht, weil die Menschen extrem sind, die sie wählen, sondern weil die regierende Partei die Menschen enttäuscht hat. Auch der Übergang von Arafat zu Abbas hat Menschen nichts gebracht. Abbas hat nicht die bisherigen Fatah-Politiker mit ihren Phrasen abgesetzt, und er bekämpft auch nicht die Korruption. Und da kommt die Hamas mit ihrem sozialen Netz: Sie haben Krankenhäuser, sie haben Kindergärten, all das, was die Autonomiebehörde den Menschen nicht bieten kann!"

Abkehr vom Radikalismus?

Am 25. Jänner kann die Hamas daher auf Anhieb mit gut einem Drittel der palästinensischen Stimmen rechnen. Wenn es ihr noch gelingt, die Zusammenarbeit mit der Linken und den Christen von der kommunalen Ebene ins Parlament zu übertragen, ergäbe das eine durchaus regierungsfähige Koalition. Dabei ist vor allem an die progressive "Alternative" oder an die Waad-Partei für Recht und Demokratie zu denken. Mit beiden sind christliche Kandidatinnen und Kandidaten als Unabhängige liiert. Ihnen haben die vom Weltkirchenrat organisierten Ökumenischen Friedensdienste im Heiligen Land und die jüngste Solidaritätsreise von Vertretern der katholischen Bischofskonferenzen aus Europa und Amerika nach Jerusalem, Ramallah und Amman rechtzeitig den Rücken gestärkt.

Keine Schulterschlüsse mit den Islamisten, wenn auch mit der palästinensischen Linken, gibt es bei den arabischen Christen im Staat Israel. Sie haben nicht vergessen, dass es in erster Linie Leute von der Hamas waren, die ab 1997 der Verkündigungsbasilika in Nazareth eine Moschee vor die Tür zu setzen versuchten.

Die Hamas-Charta fordert weiter Israels Vernichtung und leugnet den Holocaust. Sie unterschiedet sich darin nicht von dem, was Fatah und plo bis 1988 vertreten hatten. Eine praktische Abkehr vom Heiligen Krieg gegen alles Jüdische hat die Hamas aber schon letztes Jahr mit dem von ihr akzeptierten und auch eingehaltenen Waffenstillstand bewiesen. Ebenso ließ sie ihre ursprüngliche Forderung nach einem Jerusalem und Palästina nur für Muslime - also auch ohne Christen - fallen.

Sogar israelische Analytiker schließen daher nicht mehr aus, dass sich die "Islamische Widerstandsbewegung" neben der Fatah zu einer respektablen parlamentarischen Kraft entwickelt und früher oder später sogar an die Spitze rückt.

Der Autor ist langjähriger Nahostkorrespondent.

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