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Sie haben einander nicht persönlich gekannt. Als der große evangelische Kirchengeschichtler Adolf von Harnack vor 85 Jahren starb, schrieb Rabbiner Leo Baeck an dessen Witwe: "Auch wir dürfen ihn Lehrer und Meister nennen." Aus diesem Schreiben spricht Wertschätzung, aber wirklich begegnet sind sich die beiden nicht. Harnack sprengt den dogmatischen Panzer und zeichnet ein neues Bild des Christentums: individualistisch, undogmatisch, schöpferisch, reformerisch. Und damit sich dieses aufgeklärte Christentum leuchtend abhebt, benötigt Harnack das Bild eines erstarrten, pharisäischen Judentums, das ganz dem Gesetz verhaftet ist und nicht in die Moderne passt. Die jüdische Presse sprach offen von dem zersetzenden Einfluss Harnacks auf die vielfach "wehrlos dastehende jüdische Intelligenz".

Deshalb waren jüdische Gelehrte wie Leo Baeck gezwungen, gegen Harnacks Vorstellung vom Judentum als überholter Vorform des Christentums anzugehen. Es ging ihnen um die Existenzberechtigung eines modernen Judentums in christlich dominierter Kultur: "dass unserer Religion in einem jeden Kulturstaate mit den christlichen Konfessionen gleiches Recht, im Geistesleben der Kulturvölker Raum zugestanden werde". Ein neues Verhältnis zwischen Juden und Christen wurde möglich, weil viele Kirchen nach der Schoa ihren Absolutheitsanspruch aufgegeben haben und anerkennen, dass der Bund Gottes mit seinem Volk andauert.

2015 ist es 50 Jahre her, dass die katholische Kirche die Konzilserklärung "Nostra Aetate" abgegeben hat. Die Anerkennung bleibender Erwählung wurde zur Basis für ein neues Verhältnis zum Judentum: "von Gott geliebt um der Väter willen; sind doch seine Gnadengaben und seine Berufung unwiderruflich". Damit wird das Jubiläum von "Nostra Aetate" zu einem guten Vorzeichen für das gerade begonnene Jahr.

Der Autor, Rabbiner, ist Prof. f. Jüdische Religionsphilosophie der Neuzeit an der Uni Potsdam

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