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Christentum und Medizin

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Die Problematik unserer Zeit hat das Verhältnis von Christentum'zur Medizin iri ein besonders grelles Licht gerückt. Der Fortschritt der Wissenschaften und der sich entwickelnde Rationalismus bedingten zwischen beiden Sphären eine Spaltung, deren Behebung heute so notwendig erscheint. Eine begriffliche Scheidewand wurde zwischen beide geschoben. Hie die Sorge um die „Vita spiritualis“, das geistige Leben, für dessen Befriedung und E'ha'.tung sich der Priester, und da . die Sorge um das „Vita temporalis“, das Irdische, das Leben des Leibes, für dessen Erhaltung sich der. Arzt — ganz allein — einzusetzen habe.

Der Spruch an der medizinischen Fakultät der Universität Berlin „Gesundheit ist das höchste Gut“, womit schlechthin die körperliche- Gesundheit gemeint sein sollte, hatte im Lichte christlicher Betrachtungsweise nicht die Berechtigung, mit der *er leuchtete. Nur im Geiste dieser Zeit, da sich die profanen Wissenschaften immer mehr zu säkularisieren begannen, wurde entschieden, daß Religion und Medizin nichts Besseres tun könnten, als sich voneinander zu trennen. Es war nicht weit von dieser Entscheidung bis zur verflossenen Ära, die das Bild der ethischen Krise 'abrundete, in der sich die abendländische Welt heute befindet. Die Ursachen hiezu. sind in einer systematischen Absetzbewe- ' gung vom Glauben zu suchen. Ihren besonderen Ausdruck fand diese Zeit im Mißbrauch des Arzttums mit der wissenschaftlichen Entschuldigung, der kranke Mensch 'sei für die gesunde Gemeinschaft untragbar. Es war dies gleichbedeutend mit der Verleugnung des von Gott gegebenen Rechts zu leben, ja, der Pflicht zu leben. Das waren die Leitsätze aus dem Evangelium einer Ärzteschaft, die sich zum bewußten Herrscher über Leben und Tod gemacht hatte, die nicht mehr nach christlichen Grundsätzen ihre Dienste den Bedürftigen zur Verfügung stellte. Im Gegenteil. Diese Ärzteschaft war der Interpret des Nietzsche-Wortes: „Was fällt, soll man noch stoßen.“ ^Hier stand die Gefahr vor der Tür. Sollte dem Kranken zur Genesung verholfen oder ihm Linderung zuteil werden, dann mußte dieses Werk rflit der Liebe zum Nächsten durchdrungen sein. Wie aber, wenn dieses Werk nicht mehr in Händen eines Gläubigen lag? Nur ein guter Mensch kann ein guter Arzt sein. Diese Garantie* war aber nicht mehr gegeben.

Nirgend anderswo haben diese Ver irrungen ihre Wurzeln als in der Trennung von Christentum und Medizin. Niemals hätten solche Verfehlungen stattfinden können, wären die Vertreter der^ Heilkunde im christlichen Glauben verankert gewesen.

Gesundheit ist das höchste Gut, so sagte man. Ist die körperliche Gesundheit wirk lieh der letzte, höchste Wert? Ist es niclr vielmehr der Wert der geistig-seelische'-Gesundheit, der das irdische Leben über ragt? Trotz dieser Auffassung vernach lässigte die christliche Medizin die Pflege des Körpers nicht Auch nicht der Grundsatz, daß nur in einem gesunden Körper ein gesunder Geist wohnen könne, konnte Verwirung in die wohlbedachte • Ordnung zweifacher Pflege bringen. Daraus resultierte ja die christliche Anschauung über die Notwendigkeit der Erhaltung eines gesunden Körpers, 'damit darin ein gesunder Geist wohnen könne.

Um nun aber den Verlust, den diese Trennung bedingte, voll ermessen zu können, ist es nötig, einen Rückblick darauf zu halten, was das Christentum für die Medizin geleistet hat. Schon der Apostel Paulus bezeichnete in seinem Kolosserbrief den Evangelisten Lukas als ein%n Gelehrten und kundigen Arzt. Aus dem antiken Griechenland vernehmen wir, daß der werdende Mensch nur seinen Vermögensansprüchen nach galt. Als Individuum und Seele war er eins mit dem Mutterleib, ein Teil der Eingeweide. Erst das Christentum konnte dieser heidnischen Ansicht Einhalt gebieten. Der heilige Hieronymus, der in seinen Predigten gegen Trunksucht, Ausschweifung und Liederlichkeit aufrief, stellte seine Verbundenheit mit dem Menschen und der Natur damit unter Beweis, daß er nicht nur sittliche Reinheit, sondern auch körperliche Gesundheit forderte. Ter-tullian (150 bis 230) sagte wörtlich: „Wir müssen Ehrfurcht vor def Natur haben, aber nicht vor ihr erröten.“

All diese Äußerungen spiegeln die wahre, reine Achtung vor dem Körper, die die Kirche jederzeit — am deutlichsten in den zehn Geboten — zum Ausdruck brachte. Es waren dies die geistigen Fundamente, aus denen die Absichten erwuchsen, die ersten Kr^nkenpflegeanstalten zu errichten. Krankenheime der Klöster wurden Spitäler,

Klostergärten zu ' Erholungsheimen. Viele Ordensregeln beinhalten eine Vorschrift für die Behandlung von Kranken Die Franziskaner errichteten sogar eine medizinische Schule in Palermo. Ebensosehr widmete •man sich der Errichtung von Findelhäusern, um dem Kindesmord vorzubeugen.

Zwei der bekanntesten medizinischen Größen jener Zeit waren die Äbtissin Hildegard von Bingen und der Dominikaner-bischofAlbertus Magnus. Audi die Ritterorden wollten diesem karitativen Werk nicht nachstehen und bald hatten die Templer und Joh.uwter, wie auch der Deutsche Ritterorden. ihren Ruf auch auf diesem Gebiet erweitert. Die Barmherzigen Brüder gründeten ihren Orden unter der Devise, die sie den Worten Christi nachbildeten: „Was. ihr den Kranken getan, das habt ihr mir und meinem Vater getan.“

Mit dem Ausklang des Mittelalters fand die Trennung der beiden Komponenten ihren Anfang. Zwei große geistige Bruch-linicn spalteten die -wertvolle Einheit: die Wiedererweckung des heidnischen Geistes in der Renaissance und der aufkeimende Rationalismus. Die Folgezeit brachte ls mahnendes Übel einen fühlbnren Arztmangel. Die Dorfpriester übten an ihrer Statt diese heikle Tätigkeit aus. Zu .ihrer Unterrichtung wurden sogenannte Doktor-büdier verfaßt. Jedoch muß zugegeben werden, daß .diese Zeit nicht die glücklichste . war.

In der Romantik machte sich deutlich das Bestreben bemerkbar, den Weg zur Einigung wieder zu beschreiten Namen wi# Freiherr von Feuchtersieben, Pasteur, Hyrtl mit seiner hohen Berufsetliik von der Chirurgie, und Eiseisberg waren Pioniere auf diesem Wege. Materialismus, Naturalismus “und utilitaristische Medizin standen wie ein ßollwerk gegen dies Bestrebungen. Mit dem Verbot der Kranken-seelsorge und dtm Verweis der Psychotherapie aus der Medizin wurde eine weitere Möglidikeit genommen, die auf sicheren Erfolg der Krankenpflege hoffen ließ. Viktor Frankl setzte jedoch —* mit Hinweis auf die Einmaligkeit des menschlichen Lebens — durch, die reale und geistige Krankenpflege gleichzusetzen. („Ärztlidie Seelsorge“.)

Wohl gibt es Grenzgebiete in den Wissenschaften, doch sind diese nur dann zu beschreiten, wenn es sich um die Verständigung mit dem Nadibarn bandelt. Ein Grenzübertritt, von welcher Seite er immer erfolgen würde, stellt eine Gefahr für den Nachbarn dar.

Nach wir vor ist es der Standpunkt des Christentums, die gottgegebenen Fähigkeiten, -das Leben des Menschen zu verlängern, nach besten Kräften einzusetzen. Für die Zukunft hegt man ^len Wunsch, das Band, das einst alle Wissenschaften umschlungen und das durch die ungeheure Vielfalt von Spezialgebieten zerrissen worden ist, wieder zu knüpfen, zum Segen der Mensdiheit. _

Frei nach dem Manuskript eines am 19. Februar 1947 im Rahmen der von der öster-reidiisdien Kulturvcreinigung veranstalteten Vortragsreihe „Das Christentum und wir“ gehaltenen Vortrages.

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