Christenverfolgung: Wie mit einem fragwürdigen Ranking Politik gemacht wird
Jedes Jahr präsentiert das Hilfswerk Open Doors ein Ranking mit 50 Ländern, in denen Christen am stärksten verfolgt werden. Während Medien und Politik die Zahlen gerne aufgreifen, ist die dem Ranking zugrunde liegende Datengrundlage nicht nachvollziehbar.
Jedes Jahr präsentiert das Hilfswerk Open Doors ein Ranking mit 50 Ländern, in denen Christen am stärksten verfolgt werden. Während Medien und Politik die Zahlen gerne aufgreifen, ist die dem Ranking zugrunde liegende Datengrundlage nicht nachvollziehbar.
Mehr als 365 Millionen Christinnen und Christen sind weltweit von Verfolgung und Diskriminierung betroffen: Mit Nachrichten wie diesen thematisiert die NGO Open Doors regelmäßig die schwierige Situation von christlichen Gläubigen in vielen Weltregionen. Erst Ende August, anlässlich des jährlichen UN-Gedenktags für Opfer religiöser Gewalt, hatte das laut Eigenbezeichnung „internationale überkonfessionelle christliche Hilfswerk“, das auch in Wien eine Zweigstelle unterhält, auf seinen „Weltverfolgungsindex“ aufmerksam gemacht. Dieser reiht jedes Jahr die 50 Länder, in denen Christen am stärksten von Verfolgung und Gewalt betroffen sind, in einem übersichtlichen Ranking. 2024 führte Nordkorea die Negativ-Rangliste der stärksten Unterdrückung erneut, gefolgt von Somalia, Libyen, Eritrea, Jemen, Nigeria, Pakistan, Sudan, Iran und Afghanistan.
Der Index wird von Medien gerne aufgegriffen, Rankings sind eine dankbare Quelle. Mit Superlativen und dramatischen Zuspitzungen geizt die Organisation, die 1955 in den Niederlanden vom evangelikalen Missionar Anne van der Bijl gegründet worden war, in ihren Aussendungen zudem nicht. Gerne wird von einer „Explosion der Gewalt“ in verschiedenen Weltregionen gesprochen, als Auslöser für die Verfolgung werden meistens islamistische Gruppierungen genannt.
Unklare Definition
Der Haken an der Sache: Das Zustandekommen der Daten für die Reihung ist keinesfalls nachvollziehbar. So gibt das Hilfswerk an, für seine Erhebungen auf Daten dokumentierter Angriffe zurückzugreifen, ebenso würden staatliche „Schikanen“ und diskriminierende Gesetzgebungen herangezogen. Dafür unterhält das Open Doors extra ein „internationales Analyseteam“, welches in den betroffenen Ländern aktiv ist, wie es auf der Webseite der Organisation heißt. Das mache den Index zu einem „einzigartigen Expertengutachten, um Öffentlichkeit, Medien und Politik darauf aufmerksam zu machen, was über 365 Millionen Christen in unserer Zeit erleiden müssen“. Was aber tatsächlich alles unter „Verfolgung“ subsummiert wird, erwähnt der Bericht nicht. Letztendlich existiert auch keine soziologische oder juristische Definition für den Terminus, wie das Hilfswerk selbst kürzlich gegenüber der deutschen katholischen Nachrichtenagentur KNA einräumte. Experten zweifeln schon länger an der Seriosität der Daten.
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