Jesus Barabbas - © Foto: Mary Evans / picturedesk.com

Christlicher Antijudaismus: Jahrtausende lange Verfluchung

19451960198020002020

Die vergiftete Beziehung der katholischen Kirche zum Judentum wurde vor 55 Jahren beim II. Vatikanum auf neue Beine gestellt. Ein Prozess, der die Geschichte des christlichen Antijudaismus nicht ungeschehen macht. Gerade in der Karwoche sollte man sich dieser stellen.

19451960198020002020

Die vergiftete Beziehung der katholischen Kirche zum Judentum wurde vor 55 Jahren beim II. Vatikanum auf neue Beine gestellt. Ein Prozess, der die Geschichte des christlichen Antijudaismus nicht ungeschehen macht. Gerade in der Karwoche sollte man sich dieser stellen.

Werbung
Werbung
Werbung

Unter die vergiftete Beziehung der katholischen Kirche zum jüdischen Volk setzt „Nostra aetate“ , die vatikanische „Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen“, im Jahr 1965 einen Schlussstrich. Unter Punkt 4 dieser Erklärung geht es um die Beziehung zu den Juden. Einleitend „gedenkt die Heilige Synode des Bandes, wodurch das Volk des Neuen Bundes mit dem Stamme Abrahams geistlich verbunden ist.“

Von einem Eingeständnis christlicher Schuld oder der Bitte um Vergebung ist in dieser Erklärung nicht die Rede, allerdings „beklagt die Kirche, die alle Verfolgungen gegen irgendwelche Menschen verwirft, nicht aus politischen Gründen, sondern auf Antrieb der religiösen Liebe des Evangeliums alle Hassausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu irgendeiner Zeit und von irgend jemandem gegen die Juden gerichtet haben.“

„Zu irgendeiner Zeit und von irgend jemandem gegen die Juden“: klingt recht neutral. Der Text war offensichtlich ein Kompromiss und man ahnt, welche innerkirchlichen Auseinandersetzungen es darum gegeben hat und wie viel innerkirchlicher Widerstand sich gegen dieses Beklagen des jüdischen Schicksals gerichtet haben mag. Das findet seinen klarsten Ausdruck in einem skurrilen Satz: „Obgleich die jüdischen Obrigkeiten mit ihren Anhängern auf den Tod Christi gedrungen haben, kann man dennoch die Ereignisse seines Leidens weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied noch den heutigen Juden zur Last legen.“

Eine seltsame Argumentation

Hier wird in einem amtlichen Dokument der katholischen Kirche expressis verbis mitgeteilt, dass die heute – 1965! – lebenden Juden nicht schuld seien am Tod von Jesus Christus mehr als 1900 Jahre früher. Sehr merkwürdig. Man könnte den Geisteszustand der Verfasser dieser Erklärung hinterfragen, wäre da nicht Matthäus 27,26. Dort heißt es: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!“

„Und unsere Kinder!“ Dieser Zusatz ist es, der in christlicher Interpretation die Selbstverfluchung des jüdischen Volkes für alle Zeiten bedeutet hat. Für die katholische Kirche bis 1965. Um diese Jahrtausende lange Verfluchung und die damit begründeten Verfolgungen endgültig zu beenden, bezieht sich „Nostra aetate“ auf diesen Satz. Die Vorgeschichte ist bekannt: der angeklagte Jesus vor Pilatus. Der weiß nicht recht, was er mit Jesus machen soll und sucht einen Ausweg. Es sei der Brauch, erklärt Pilatus, jeweils zum bevorstehenden Passahfest einen Gefangenen freizulassen. Und er stellt die jüdische Menge, die sich im Hof versammelt hat, vor die Alternative: Jesus oder Barabbas?

Dieser Barabbas kommt in allen vier Evangelien vor. Bei Matthäus wird er als „berüchtigt“ bezeichnet ohne weitere Begründung. Bei Markus heißt es, er befinde sich im Gefängnis „zusammen mit anderen Aufrührern, die bei einem Aufstand einen Mord begangen hatten.“ Bei Lukas sinngemäß dasselbe. Bei Johannes hingegen ist Barabbas ein „Straßenräuber“. Der Unterschied ist interessant: Falls Barabbas am bewaffneten Widerstand von Juden gegen die römische Besatzung teilgenommen hat – und so kann man Markus und Lukas verstehen –, ist er für die im Hof versammelte jüdische Menge ein Held.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung