Christlicher Umgang mit Juden - anno 1199

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Mit der Urkunde "Sicut Iudeis" regelte Papst Innozenz III. 1199 das jüdische Leben. Der mittelalterliche Umgang mit den Juden beeinflußt auch die Gegenwart.

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Mit der Urkunde "Sicut Iudeis" regelte Papst Innozenz III. 1199 das jüdische Leben. Der mittelalterliche Umgang mit den Juden beeinflußt auch die Gegenwart.

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Innozenz III. (1198-1216) gilt nicht nur politisch als der mächtigste und einflußreichste Papst des Mittelalters, ja vielleicht sogar der gesamten Geschichte des Papsttums, sondern auch aufgrund seiner Schriften, die teilweise Bestandteil des Kirchenrechts wurden, als wesentlicher Gestalter kirchlicher Lehre und Dogmatik. Diese prinzipielle Gestaltung kirchlicher Rechtsauffassung betraf auch die Juden. Dabei ist zu unterscheiden zwischen einer theologischen Bearbeitung der Fragen und einer polemisch-propagandistischen, die aus den zahlreichen Briefen des Papstes zu entnehmen ist.

Am 15. September 1199, also vor 800 Jahren, stellte der ein Jahr zuvor zum Papst gewählte Innozenz III. eine Urkunde aus, die mit den Worten "Sicut Iudeis" eingeleitet wurde. Er berief sich dabei auf gleichlautende Urkunden einiger Vorgänger, deren ältester, Kalixt II., zu Beginn des 11. Jahrhunderts Papst war und mit dem Abschluß des Wormser Konkordats Berühmtheit erlangt hat. Es handelt sich bei dieser Urkunde um die Festlegung der Rahmenbedingungen jüdischen Lebens im Wirkungsbereich des Papstes, ein Text, der Schutzbestimmungen und Verbote enthält, die auf älteren Traditionen des Verhaltens der Kirche gegenüber den Juden fußen. Im Gegensatz zum übrigen Text stammt die Einleitung der Urkunde von Innozenz III. selbst, und sie bildet gewissermaßen den Auftakt zu einer intensiven Beschäftigung des Papstes mit den Juden. Den Höhepunkt bildete schließlich 1215 das 4. Laterankonzil unter dem Vorsitz des Papstes, als die Bestimmungen über die Juden breit zusammengefaßt veröffentlicht wurden.

Die Einleitung der Urkunde von 1199 wurde bisher durch eine einseitige Übersetzung falsch beurteilt. Der Papst formulierte: "Obwohl die Verstocktheit der Juden in jeder Weise verdammungswürdig ist, sollen sie von den Gläubigen nicht hart bedrückt werden, weil sie ja die Wahrheit unseres Glaubens beweisen, denn der Prophet sagt: Bringe sie nicht um, daß es mein Volk nicht vergesse. Das bedeutet deutlicher ausgedrückt: Ihr sollt die Juden gar nicht umbringen, damit die Christen nicht bei Gelegenheit imstande sind, ihr Gesetz zu vergessen, das die Juden selbst zwar nicht verstehen, jenen aber, die es verstehen, vergegenwärtigen." Salomon Grayzel hat 1933 diese Urkunde ins Englische übersetzt und an entscheidender Stelle offenbar einen Schnitzer gemacht. Er übersetzte: "Man soll die Juden nicht völlig ausrotten", was mit dem zu Beginn postulierten Schutz vor Bedrückung nicht in Einklang zu bringen ist. Innozenz griff mit diesen Gedanken auf die Lehre des Augustinus zurück und gab damit die für das spätere Mittelalter landläufige Erklärung, warum Juden unter Christen leben durften.

Moralische Keule Diese Ehrenrettung für Innozenz III. ist aber nur eine Seite der Frage, wie er die Rolle der Juden im christlichen Abendland beurteilte. Die meisten seiner Äußerungen auf diesem Gebiet sind polemisch und durchwegs judenfeindlich. Deutlich wurde er 1205 in einem Brief an den König von Frankreich. Er beschuldigte den König in allgemeiner Weise, daß er die Nachkommen derer, die Jesus gekreuzigt hatten, gegenüber den Christen bevorzuge. Diese moralisch erpresserische Vorrede ebnete den Weg zu der Angelegenheit, um die es eigentlich ging. Es sei ihm, so fuhr der Papst fort, zu Ohren gekommen, daß die Juden in Frankreich so frech geworden seien, daß sie nicht nur Zinsen, sondern auch Zinseszinsen verrechnen und damit Kirche und Christen um ihren Besitz bringen.

Damit schlug er ein zentrales Thema an, das ab diesem Zeitpunkt wesentlich intensiver als in der Vergangenheit diskutiert wurde. Auch viele Jahre später bildetet dieses Thema die Eröffnung der Bestimmungen über die Juden, die auf dem 4. Laterankonzil erlassen wurden. Die Bedeutung der Frage des Zinsennehmens und der Rückerstattung solcher Gewinne, die auf Wucher beruhten - Wucher im Sinne eines ungerechtfertigten Gewinns - bestand natürlich nicht nur im Zusammenhang mit Juden, sondern wurde bereits in den Jahrzehnten vorher offenbar erfolgreich gegenüber Christen thematisiert. Im Text des Laterankonzils hieß es nämlich: "Umso mehr sich der christliche Glaube des Wuchers enthält, desto mehr gewöhnt sich die jüdische Verstocktheit an diese Praxis." Der Kampf gegen unmäßige Zinsen trat in eine heiße Phase. Im Zuge der Argumentation traf die Juden immer häufiger der Vorwurf des unmoralischen Wirtschaftens, also der Anwendung von Methoden, die den Armen zum Nachteil gereichten. So schildert der Papst 1208 in einem mahnenden Schreiben an den Grafen Heriveus von Nevers, daß manche Fürsten von Juden wucherische Steuern einsammeln lassen und Leute, die den Juden die angeblich exorbitanten Zinsen nicht bezahlen konnten, ins Gefängnis setzen ließen. Auf diese Weise, so meinte der Papst, würden Witwen und Waisen ihres Erbes beraubt.

Im Lichte solcher Anspielungen wird eine ausgeklügelte Propaganda sichtbar, mit der die Juden zu Feinden jener gestempelt wurden, die das Erbarmen und die Unterstützung der Gesellschaft nötig haben. Es ist dem Papst durchaus zugute zu halten, daß er sich um eine Lösung der sozialen Probleme der Zeit kümmerte, doch war er bei der Suche von Sündenböcken zeitgemäß einseitig und witterte eine unheilige Allianz von Fürsten und Juden.

Deutlicher wird der polemische Charakter der Papstbriefe, wenn man ihre verhetzende Sprache und die Themenwahl betrachtet, die sich an die Wucherangelegenheit anschließen. Im Brief an Heriveus verschärfte der Papst den Ton, indem er fortfuhr: ein anderer, nicht geringer Skandal wurde von den Juden gegen die Kirche losgetreten, indem sie jenes Fleisch, das sie für unrein halten, den Christen sozusagen als Rest verkaufen, wofür sie sogar die Erlaubnis der Fürsten haben. Durch diese Praxis wird das Christentum beleidigt. Innozenz trifft im Argument immer beide Seiten: die Juden und die Fürsten, die ihnen so unglaubliche Exzesse gestatten. Ebenso mußte König Philipp Kritik einstecken, wenn der Papst unter Berufung auf das 3. Laterankonzil darauf hinwies, daß in jüdischen Haushalten keine christlichen Dienstboten tätig sein durften. Weiters polemisierte er in diesem Schreiben scharf gegen eine neue Synagoge in Sens, die höher als die Kirche erbaut war. Ferner störten die Juden durch ihr lautes Geschrei in der Synagoge den christlichen Gottesdienst. Ferner stießen sie öffentliche Schmähungen gegen Gott aus und nannten Jesus einen Bauern, der vom jüdischen Volk gehenkt worden war.

Unziemlicher Lärm ...

Diese Sprache zusammen mit der thematischen Ballung von Vorwürfen gegen die Juden, in denen sie als Gottesmörder, Wucherer, unziemliche Lärmerzeuger (man denke an die Rolle der angeblichen oder tatsächlichen Lärmbelästigung im Rahmen der heutigen Fremdenfeindlichkeit!) und grausame Feinde der Christen dargestellt werden, läßt Zweifel daran aufkommen, ob im Lichte dieser Propaganda eine Auseinandersetzung mit der Theologie des Papstes gegenüber den Juden das Wesentliche trifft. Denn diese Propaganda, ihre Inhalte aber auch die Radikalität ihrer Sprache hatte tragischen Erfolg. Manche Passagen in den Reden des Wiener Bürgermeisters Karl Lueger könnten direkt aus den Innozenz-Briefen stammen. So gesehen verliert die theologisch begründete Duldung der Juden unter Christen ihren ohnehin schon eingeschränkten, positiven Sinn, wenn man sich die vom Papst rabbiat eingeforderten Bedingungen jüdischen Lebens im Abendland vergegenwärtigt.

Der Autor, Historiker, leitet in St. Pölten das Institut für Geschichte der Juden in Österreich.

FURCHE-DISKUSSION "... so werden Witwen und Waisen des Erbes beraubt ..."

Papst Innozenz III. und die Juden Vortrag: Univ.Doz. Dr. Klaus Lohrmann Podiumsdiskussion: Univ. Prof. Dr. Erika Weinzierl und Univ. Prof. Dr. Kurt Schubert Moderation: Dr. Otto Friedrich Donnerstag, 9. Dezember, 19 Uhr 1010 Wien, Stephansplatz 3, (Dompfarre, "Stephanisaal") Freundschaftsgesellschaft des Instituts für Geschichte der Juden in Österreich - in Zusammenarbeit mit: die Furche, Aktion gegen den Antisemitismus, Liga der Freunde des Judentums, Gesellschaft für politische Aufklärung

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