"Christsein: unsere Hautfarbe“

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Katholikos Karekin II., Oberhaupt der armenischen Kirche, über die Rückkehr zum Glauben, die Krise der Ökumene - und Kardinal König. Das Gespräch führte Heinz Nußbaumer

Seit 1999 ist Karekin II. das Oberhaupt der armenisch-apostolischen Kirche. Als "Katholikos“ steht er etwa zehn Millionen armenischen Christen weltweit vor. Jetzt empfing er die FURCHE zum Gespräch.

DIE FURCHE: Völkermord, Landverlust, Sowjet-Kommunismus, Isolation durch Nachbarn - die Armenier, das älteste christliche Volk der Erde, ist in den vergangenen hundert Jahren durch furchtbare Katastrophen gegangen. Und doch ist hier im Land so etwas wie "Auferstehung“ spürbar ...

Katholikos Karekin II.: Das stimmt - und diese Auferstehung als junge Nation ist untrennbar mit unserem Glauben und unserer armenisch-apostolischen Kirche verbunden. Was die Armenier durchlitten haben, ist ganz unbeschreibbar. Und noch immer liegt ein weiter Weg vor uns. Aber wir haben einen festen Halt und eine unverwechselbare Identität: Unser Christentum ist so etwas wie die "Hautfarbe“ unseres Volkes. Endlich leben beide - Volk und Kirche - wieder frei und offen.

DIE FURCHE: Eine Auferstehung aus Ruinen, auch geistig ...

Katholikos Karekin II.: Überall ist noch Mangel: Wir haben zu wenig Priester, zu wenige Gotteshäuser, zu wenig Geld für soziale Dienste. Auch unsere Kirche braucht noch manche Reform. Und doch sind die Errungenschaften enorm: Es gibt wieder das Unterrichtsfach "Geschichte der armenischen Kirche“ in unseren Schulen, es gibt theologischen Nachwuchs in Ausbildung, auch der Betreuungsdienste in Spitälern, in der Armee, in Gefängnissen - überall ist Aufbruch.

DIE FURCHE: Also ist der "Konsumismus“ unserer Zeit weniger Bedrohung, als es der Kommunismus war ...

Katholikos Karekin II.: Beide können den Glauben bedrohen und verwüsten. Aber die geistigen Widerstände sind heute doch geringer als früher. Wir können in diesem Land wieder frei über den engen Zusammenhang von Leben und Glauben sprechen; unsere Kirche ist nicht mehr isoliert. Bis an die Spitze der Regierung haben wir gläubige Menschen. Und schauen Sie, wie jung die Menschen sind, die in unsere Kirchen kommen. Vor zwanzig Jahren wusste dieselbe Altersgruppe nichts von einem Kreuzzeichen, von einem Vaterunser.

DIE FURCHE: In vielen früheren Sowjet-Republiken haben westliche Sekten nach der großen Wende versucht, die religiösen Sehnsüchte aufzufangen - trifft das auch auf Armenien zu?

Katholikos Karekin II.: Auch hier wollten solche Gruppen auf dem noch kargen Boden Fuß fassen - und sie haben zunächst viel Verwirrung ausgelöst. Unser Volk ist gastfreundlich - und wenn jemand von Christus spricht, öffnet es jede Tür. Aber langsam haben sich die Armenier hier doch Fragen gestellt: Wieso versuchen diese Gruppen, die schwierige soziale Lage vieler Menschen mit finanziellen Verlockungen auszunützen, um Mitglieder zu werben? Und: Geht es diesen "Missionaren“ wirklich um die Rettung der "leeren Seelen“ - oder ist ihr Angriffsziel die 1700 Jahre alte armenische Kirche? All das hat uns sehr beschäftigt, als wir selbst noch sehr schwach waren. Heute ist das Gott sei Dank anders: Das armenische Volk kennt seine Geschichte, seinen Glauben und seine Identität - und lebt sie neu.

DIE FURCHE: Die armenische Kirche gehört - gemeinsam mit Kopten, Äthiopiern u.a. - zu den "altorientalischen“ Kirchen, die seit eineinhalb Jahrtausenden von der römischen und auch der byzantinischen Kirche getrennt ist. Unter Kardinal König war gerade Wien ein wichtiger Ort der Annäherung. Heute hat der einfache Christ aber eher den Eindruck, dass der ökumenische Motor ins Stocken geraten ist ...

Katholikos Karekin II: Zunächst einmal: Kardinal König trage ich tief in meinem Herzen - mit großer Wärme. Seinem Denken und Wirken verdanke ich wunderbare Studienjahre in Wien; ihm verdanken wir alle, dass viele Widersprüche zwischen unseren Kirchen überwunden werden konnten. Sein geschwisterlicher Geist lebt in uns weiter. Durch ihn ist unser Miteinander enger und stabiler geworden. Das spüre ich auch bei Kardinal Schönborn, dem ich zuletzt bei der Amtseinführung von Franziskus in Rom begegnen konnte.

DIE FURCHE: Aber wo sind die Fortschritte seither?

Katholikos Karekin II: Es stimmt, im Blick auf die Ökumene scheint derzeit manches wie eine Atempause, ja wie ein Rückschritt zu sein. Aber das ist - davon bin ich fest überzeugt - nur ein zeitliches Phänomen, vielleicht sogar die unvermeidbare Folge der großen Fortschritte vorher. Im Grunde wissen doch alle unsere Kirchen, dass die Fragen, vor denen die Menschheit heute steht, nur von allen Christen gemeinsam beantwortet werden können. Und dass die Liebe das tragende Fundament der christlichen Einheit ist und sein muss. Sie aber ist - über alle theologischen Diskussionen - unbestreitbar größer geworden.

DIE FURCHE: Wo aber bleibt diese gemeinsame Stimme der Christenheit etwa im Syrienkonflikt, wo heute immerhin rund 2 Millionen Christen leben, davon 150.000 Armenier?

Katholikos Karekin II: Es gibt eine gemeinsame christliche Verzweiflung. Es gibt auch viele Kontakte und Appelle. Es gibt eine enorme Solidarität für Syrien - bei uns selbst unter sehr armen Armeniern. Aber ja, unser gemeinsamer Ruf zum Frieden - Frieden für Christen und Muslime -, der müsste noch viel stärker hörbar sein.

DIE FURCHE: Die Grenzen zu Ihren muslimischen Nachbarn Türkei und Aserbeidschan sind gesperrt, nur zum islamischen Iran sind sie offen. Wie groß ist aus dieser Erfahrung die Sorge über die aktuelle Lage der Christen in der islamischen Welt?

Katholikos Karekin II: Wir Armenier haben über Jahrhunderte in Harmonie mit Muslimen gelebt. Umso erschreckender sind jetzt für uns die Verwüstungen durch islamische Extremisten. Aber aus unserer Erfahrung weiß ich: Die große Mehrzahl der muslimischen Schwestern und Brüder will das alles nicht, sie will Harmonie und Frieden. Völker, Kulturen, Religionen sind einander für solche Spiele mit dem Feuer längst zu nahe gerückt. Manchmal wissen das kleine Völker - dazu gehören Armenien und Österreich - noch besser als die großen.

Übrigens: Grüßen Sie mein liebes Österreich!

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