"Da geht es um Kurden, nicht um Energie"

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In die beiden Großstädte Diyarbakir und Batman würde der Großteil der aus der Region um den Ilisu-Staudamm Zwangsevakuierten übersiedelt - die betroffenen Bürgermeister warnen vor einem sozialen Desaster.

Die Furche: Frau Bürgermeister, mehr als zwei Drittel der Bewohner in Ihrem Stadtteil Diyarbakir-Baglar sind bereits Zwangsevakuierte früherer Kraftwerksbauten oder Vertriebene aus den Kurdengebieten - wie gut konnten diese Menschen bisher integriert werden?

Yurdusev Özsökmenler: Fast überhaupt nicht. Diese Menschen lebten früher von der Landwirtschaft, haben keine andere Ausbildung und sind in der Stadt jetzt großteils arbeitslos. Knapp die Hälfte der Familien lebt unter der Armutsgrenze. Die Lage der Frauen ist besonders schlimm: Die meisten sprechen nur Kurdisch und können damit am sozialen Leben nicht teilnehmen - sie sind mehr oder weniger in ihren Wohnungen eingesperrt.

Die Furche: Und bei den Kindern - gelingt da die Umstellung auf den neuen Lebensraum?

Özsökmenler: Wir haben Grundschulklassen mit 90 und 100 Kindern - da ist kein vernünftiger Unterricht möglich; viele Kinder kommen gar nicht mehr in diese Schulen, landen in Straßengangs.

Die Furche: Den Zwangsevakuierten früherer Kraftwerksbauten sind Entschädigungen versprochen worden...

Hüseyin Kalkan: ... und bei den Versprechen ist es großteils geblieben. Warum sollte das dieses Mal anders sein?

Özsökmenler: Das Problem ist, dass die von diesen Bauern bewirtschafteten Grundstücke nicht ihnen, sondern Großgrundbesitzern gehören...

Kalkan: ... die von den Entschädigungen profitieren. Das ist ja auch mit der Grund, warum die Bewohner der 119 betroffenen Dörfer fast geschlossen gegen das Projekt eingestellt sind. Dieser Staudamm wäre ein Verbrechen an der Menschheit, und Deutschland, die Schweiz und Österreich sollten sich nicht daran beteiligen.

Die Furche: Die Staudamm-Befürworter argumentieren, dass mit dem Bau Arbeitsplätze geschaffen und die wirtschaftliche Entwicklung in der Region gefördert werde.

Kalkan: Es mag schon stimmen, dass während der Bauzeit einige tausend Menschen beschäftigt werden - und danach?

Özsökmenler: Vom wirtschaftlichen Segen war auch schon bei den früheren Staudammbauten viel die Rede - Tatsache jedoch ist: Die wirtschaftliche Situation hat sich verschlechtert, die Region hat von der bei uns gewonnenen Energie überhaupt nicht profitiert, sondern sowohl die Elektrizität als auch die Gewinne sind in den Westen der Türkei geflossen. Die Energiesicherheit könnte außerdem auch mit Sonnen-, Wind-und biothermischer Energie gewährleistet werden.

Kalkan: Bei diesem Projekt geht es doch nicht um Energie, vielmehr geht es um sicherheitspolitische Aspekte: In der Region um Hasankeyf leben sehr viele Kurden, und mit dieser Umsiedelungspolitik schafft man menschenleere Gebiete.

Özsökmenler: Von der Evakuierung wären aber auch Minderheiten betroffen, die sich nirgendwo anders mehr in der Türkei ansiedeln können und wollen. Ein jesidisches Dorf hat bereits verlangt, geschlossen nach Deutschland auswandern zu dürfen, sollte ihre Gemeinde dem Dammbau zum Opfer fallen.

Die Furche: Was schlagen Sie als Alternativen zum Ilisu-Projekt vor, wie könnte der Region nachhaltig geholfen werden?

Kalkan: Anstatt in dieses unrentable und von der Bevölkerung abgelehnte Kraftwerksprojekt Milliarden Dollar zu pulvern, sollte das Geld zur Ankurbelung des Tourismus und zur Förderung der Landwirtschaft investiert werden. Hasankeyf besitzt ein kulturelles Erbe von welthistorischer Bedeutung - mit wenig Aufwand könnte man hier ein kulturelles Tourismusziel erster Wahl schaffen; davon würde die gesamte Bevölkerung profitieren, im Gegensatz zu dem Dammprojekt, bei dem nur einige Unternehmen große Gewinne herausschlagen.

Özsökmenler: Auf der ganzen Welt hat man schlechte Erfahrungen mit riesigen Staudämmen gemacht - mir ist unverständlich, dass man dennoch auf dieses Konzept setzt. Dieser Dammbau ist in jeder Hinsicht unvernünftig: kulturell, wirtschaftlich, sozial. Würde man das Geld in den Aufbau des Tourismus investieren, könnte man hingegen das kulturelle Erbe bewahren und daraus wirklichen wirtschaftlichen Nutzen ziehen.

Das Gespräch fasste Wolfgang Machreich zusammen.

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