"Dann sind wir eben ausländische Agenten, meinetwegen!"

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Menschenrechtlerin swetlana Gannuschkina spricht im Interview über fehlende kopeken, seminare mit Behördenvertretern und den imaginären "lachs-staat". | Das Gespräch führte Simone Brunner

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Menschenrechtlerin swetlana Gannuschkina spricht im Interview über fehlende kopeken, seminare mit Behördenvertretern und den imaginären "lachs-staat". | Das Gespräch führte Simone Brunner

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Im Interview spricht die bekannte russische Menschenrechtlerin Swetlana Gannuschkina, die zuletzt mit dem Alternativen Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, über das "Agenten-Gesetz" und die Zusammenarbeit mit den russischen Behörden.

DIE FURCHE: Im April 2015 wurde die von Ihnen gegründete Flüchtlingshilfe "Bürgerunterstützung" beim russischen Justizministerium als "ausländischer Agent" registriert. Wie hat sich das bisher ausgewirkt?

Swetlana Gannuschkina: Nach dem Gesetz sind wir jetzt verpflichtet, jede Information, die wir veröffentlichen, mit dem Verweis zu versehen, dass wir ein "ausländischer Agent" sind. Aber sollen wir uns deswegen etwa schämen? Weil uns die staatlichen Stellen in Russland keine Kopeke geben, sind wir nun mal gezwungen, ausschließlich mit westlichen Geldgebern zusammenzuarbeiten. Wir gehen offen damit um. Es ist ja auch so, dass wir Bürger aus anderen Staaten unterstützen. Schauen Sie mal auf unsere Homepage, da sehen Sie Fotos von ukrainischen, afghanischen oder afrikanischen Kindern. Dann sind wir eben Agenten dieser Länder, meinetwegen! Dabei haben wir ja eigentlich noch Glück, da wir - im Gegensatz zu vielen anderen Organisationen - keine Geldstrafe zahlen müssen.

DIE FURCHE: Wie sieht es bei der Zusammenarbeit mit den russischen Behörden aus?

Gannuschkina: Das ist natürlich die andere Seite: Die Beziehungen zu den Beamten haben stark gelitten. Wir organisieren halbjährlich ein Seminar mit Mitarbeitern der russischen Migrationsbehörde (FMS). In diesem Jahr hat keiner der FMS-Beamten daran teilgenommen, zum ersten Mal überhaupt. Auf meine Nachfragen hin wurde mir gesagt, dass es ihnen von anderer Stelle "nicht empfohlen" worden sei, mit uns weiterhin zusammenzuarbeiten.

DIE FURCHE: Was bedeutet das konkret für Ihre Arbeit?

Gannuschkina: Dass wir viele Probleme schlichtweg nicht mehr so lösen könnenwie bisher. Das geht natürlich zu Lasten der Flüchtlinge. Die guten Kontakte mit den Behörden waren sehr wichtig für uns. Bei den gemeinsamen Seminaren hatten wir oft hitzige, aber konstruktive Diskussionen. Ich erinnere mich, dass einmal bei einem Seminar ein Beamter einen Telefonanruf getätigt hat, und sofort konnten sechs Flüchtlinge freigelassen werden, die zuvor von den Behörden festgehalten worden waren.

DIE FURCHE: Was wurde bei der Organisation offiziell als "politische Tätigkeit" eingestuft?

Gannuschkina: Erstens, dass wir einen Anti-Korruptions-Bericht erstellt haben. Zweitens, dass ich Mitglied der "Kommission für Migrationspolitik" bin. Aber das betrifft doch mich persönlich und nicht die Organisation! Und drittens, dass wir vor Jahren gegen die Zustände in einem Flüchtlingslager demonstriert haben. Wegen dieser "politischen Tätigkeiten" wurden wir zum "ausländischen Agenten" erklärt. Wir haben dagegen berufen, aber es wurde abgelehnt. Es gibt aber noch viel absurdere Geschichten als unsere: Im Register wurde auch eine Organisation aufgenommen, die sich für die Umwelt, wie etwa den Schutz des nördlichen Lachses, einsetzt. Welche Politik soll da bitteschön dahinterstehen? Im Interesse welchen ausländischen Staates? Des Lachs-Staates? Das ist ein absurdes, aber leider auch tragisches Theater.

DIE FURCHE: Wie erklären Sie sich den Druck gegen die Zivilgesellschaft?

Gannuschkina: Der Kreml möchte einfach die gesamte Macht in seinen Händen konzentrieren. Er will nicht, dass es unabhängige Institutionen oder eine starke Zivilgesellschaft gibt, die auch etwas zu sagen hat. Alle einflussreichen Organisationen sind auf die Liste gekommen.

DIE FURCHE: Wie wirkt sich das Gesetz auf die russische Zivilgesellschaft insgesamt aus?

Gannuschkina: Das ist beispiellos in der Geschichte der Russischen Föderation. So einen Druck hat es seit dem Zerfall der Sowjetunion nicht gegeben! Ich befürchte, dass diese Schikanen weitergehen werden. De facto kann das natürlich dazu führen, dass die Zivilgesellschaft in Russland überhaupt zerstört wird.

DIE FURCHE: Zugleich hat es in Russland zuletzt eine regelrechte Protestwelle gegeben, wie mit den Anti-Korruptions-Protesten unter dem Oppositionellen Alexej Nawalny. Im Frühling sind in Moskau zudem Tausende gegen die Pläne des Moskauer Bürgermeisters, alte Wohnhäuser abzureißen, auf die Straße gegangen. Haben Sie die Hoffnung, dass sich die Lage in Russland verändert?

Gannuschkina: Ich habe leider keine großen Hoffnungen mehr. Dem Kreml ist es gelungen, das politische Feld vollständig zu säubern. Nawalny macht mir aber große Angst. Er ist ein Nationalist und ein gefährlicher Politiker, weil er die Protestbewegung in Russland monopolisiert hat. Wenn ich mich morgen zwischen Nawalny oder Putin entscheiden müsste, dann würde ich Putin wählen. Die einzige Opposition, die es derzeit in Russland gibt, ist die Zivilgesellschaft. Das ist der einzige Sektor, der sich wirklich darum kümmert, wie es den Menschen geht.

DIE FURCHE: Vor einem Jahr wurden Sie mit dem "Right Livelihood Award", dem Alternativen Friedensnobelpreis, ausgezeichnet. Welche Reaktionen hat es in Russland darauf gegeben?

Gannuschkina: Überhaupt keine! Es hat sehr viele Artikel in westlichen Medien gegeben, aber bei uns herrschte das absolute Schweigen. Aber mittlerweile versuche ich, das mit Humor zu nehmen.

ZUR PERSON

NGO-Gründerin und Buchautorin

Swetlana Gannuschkina (*1942) ist eine russische Menschenrechtlerin. 1990 gründete sie die NGO "Bürgerunterstützung", um Vertriebenen und Flüchtlingen in der Sowjetunion, später in Russland, zu helfen. Seit 2002 Mitglied der "Kommission der Menschenrechte des Präsidenten der Russischen Föderation", legte sie ihre Mitgliedschaft aber 2012 - aus Protest gegen die dritte Amtszeit Wladimir Putins - zurück. Gannuschkina hat sich auch insbesondere für Menschenrechte in Tschetschenien eingesetzt und galt als langjährige Freundin der 2006 ermordeten russischen Journalistin Anna Politkowskaja. 2015 ist ihr Buch "Auch wir sind Russland" auf Deutsch erschienen. (bru)

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