"Dann werden wir bösartig"

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In seiner Heimat Zypern hat er die Komplexität politischer Konflikte verinnerlicht. Bis heute versucht der - nunmehr in Virginia lebende - Vamik Volkan, sie mit Hilfe der Psychoanalyse zu entschärfen. Ein Gespräch über Freuds Pessimismus, die "Regression" der USA und die Kunst der Diplomatie.

DIE FURCHE: Sigmund Freud hat die Möglichkeit, durch Psychoanalyse politische Konflikte oder gar Krieg verhindern zu können, stets bezweifelt. Sie, Herr Professor Volkan, sind als Psychoanalytiker und Psychiater mit diesem Zugang berühmt geworden. Woher nehmen Sie Ihren Optimismus?

VAMIK VOLKAN: Ich muss Sie enttäuschen: Nach 30 Jahren Forschung bin ich fast pessimistischer als Freud geworden, was die Idee betrifft, dass Menschen eines Tages in Frieden und Harmonie leben werden. Was ich aber glaube, ist, dass wir Psychoanalytiker - gemeinsam mit Diplomaten und Historikerin - in bestimmten Situationen einen Beitrag dazu leisten können, Aggression zu zähmen und eine bessere Gesprächsatmosphäre zwischen gegnerischen Parteien zu erreichen. Ich bin also nur optimistisch, was spezielle Einsatzgebiete betrifft.

DIE FURCHE: Zum Beispiel?

VOLKAN: Zum Beispiel nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, als unser 'Center for the Study of Mind and Human Interaction", das ich 1987 an der Universität von Virginia gegründet habe, sieben Jahre lang mitgearbeitet hat, dass der Ablösungsprozess der baltischen Staaten von der russischen Föderation friedlich vor sich geht.

DIE FURCHE: Im Fokus Ihrer Arbeit ist der Begriff 'Identität" - wobei Sie in Ihrem aktuellen Buch 'Killing in the name of identity" darauf hinweisen, dass dieser Begriff in Freuds Schriften nur fünf Mal vorkommt...

VOLKAN: 'Identität" wurde erst von Erik Erikson in die Psychoanalyse eingeführt (Vertreter der psychoanalytischen Ichpsychologie, Anm. d. Red.). Identität ist ja nichts, was der Psychoanalytiker von außen wahrnimmt - sondern was der Einzelne selbst empfindet. Es ist die subjektive Wahrnehmung, wer man ist. Wie stark das ist, habe ich 1979 gemerkt, als ich zufällig ins Zentrum internationaler Konflikte geworfen wurde. Ich war damals Mitglied eines Komitees, das einflussreiche Araber und Israelis in einer Reihe von Treffen zusammenbringen sollte - was wir sechs Jahre lang gemacht haben. Damals habe ich realisiert, dass irgend etwas immer wieder hochkommt - und das war das Gefühl der Identität. Aber nicht die persönliche Identität eines Mohammed oder Moshe , sondern das Gefühl: Wir sind Araber! Wir sind Israelis! Ich habe realisiert, dass wir von Kindheit an in einer Kleidung mit zwei Schichten stecken.

DIE FURCHE: Inwiefern?

VOLKAN: Da ist zunächst das eigene Shirt, das meine Haut bedeckt. Es ist sagt aus: Ich bin Georg, ich bin Maria. Aber Georg und Maria leben auch an einem bestimmten Ort mit Millionen anderen Leute, mit denen sie ähnliche Gefühle teilen - wie wenn sie gemeinsam unter einem riesigen Zelt leben würden. Dieses Zelt wird schließlich zu einer zweiten Haut. Wenn man Vertreter gegnerischer Parteien - nicht im Rahmen der offiziellen Diplomatie, sondern inoffiziell - zusammenführt und sie zu sprechen beginnen, verweisen sie ständig auf ihr 'Zelt": Sie würden sadistisch wie der Teufel sein, sie würden masochistisch sein - aber diese Identität muss bestehen bleiben. Auch Freud war an diesen Phänomenen interessiert (vgl. 'Massenpsychologie und Ich-Analyse", 1921, 'Das Unbehagen in der Kultur" 1939, Anm. d. Red.) - aber eher in der Hinsicht, was eine Großgruppe für den Einzelnen bedeutet. Seit 1979 habe ich aber realisiert, dass wir diese Großgruppenpsychologie weiterentwickeln müssen.

DIE FURCHE: Was alle Großgruppen Ihrer Ansicht nach eint, ist die Einteilung der Außenwelt in Alliierte und Feinde...

VOLKAN: Ja. Von Kindheit an gibt es bestimmte Prozesse, die uns darauf vorbereiten, dass wir soziale Freunde und Feinde haben. Das ist noch keine Katastrophe. Aber unter bestimmten Umständen werden Abgrenzungen gegenüber anderen unglaublich wichtig. Und irgendwann werden wir dann bösartig.

DIE FURCHE: Inwiefern zeigt sich dieses Phänomen derzeit auf internationaler Ebene?

VOLKAN: Ich glaube, dass die internationale Politik gerade 'regrediert" - ähnlich der Freudschen 'Regression" von Individuen, also ihrem Rückfall in frühere, kindliche Entwicklungsstufen. Freud hat auch schon dieses Massen-Phänomen beschrieben, aber insofern, als es eigentlich normal wäre, wenn man sich in bedrohlichen Situation plötzlich hinter einem Führer schart. Tatsächlich sind etwa nach dem 11. September, als die USA unglaublich erniedrigt wurden, die Vertrauenswerte für George W. Bush auf 90 Prozent gestiegen. Meiner Ansicht nach ist das aber Regression und keine normale Situation. Jeder schützt den Anführer, damit die eigene Großgruppenidentität - also das eigene 'Zelt" - erhalten bleibt. Wenn der Anführer diese Ängste aber nicht beseitigen kann, dann führt das zur Spaltung der Gesellschaft, wie man es derzeit in den USA beobachten kann - oder auch dazu, dass man am Ende wird wie der Feind und die eigenen, demokratischen Werte aufgibt: Du tötest mich, ich töte dich - ohne Ende. Ein guter Präsident hätte auch versucht, die psychische Realität des Gegners herauszufinden, um entsprechende Strategien zu entwickeln. Doch stattdessen gibt es nur Regression und Paranoia.

DIE FURCHE: Sie haben demgegenüber ein 'Baum-Modell" entwickelt, wie man internationale Konflikte - abseits der offiziellen Diplomatie - entschärfen könnte...

VOLKAN: Wir haben dieses Modell entwickelt, als wir mit den Israelis und Arabern zusammengearbeitet haben. Die Wurzeln in diesem 'Baum-Modell" bestehen in einer Diagnose - nicht nur der realen Politik, sondern auch aller unbewussten Prozesse innerhalb einer Großgruppe. Dazu gehört etwa der Verlust von Territorium, dem man nachtrauert. Während dieser Diagnose findet man auch heraus, wer die wichtigen Vertreter dieser Gruppe sind - das sind nicht die Präsidenten oder Premierminister, die sich in ihrer Position schwer bewegen können, sondern unabhängige Opinion-Leader. Die bringt man alle paar Monate zusammen. Diese 30, 40 Leute sind eigentlich Feinde, aber ich versuche, sie dazu zu bringen, die je andere Realität zu verstehen, Mitleid zu zeigen. Wie jeder Psychoanalytiker gebe ich dabei keine Ratschläge, sondern helfe nur, selbst Verantwortung zu übernehmen und Widerstände abzubauen. Dieser Prozess ist in meinem Modell als Stamm dargestellt und dauert oft Jahre. Erst danach, wenn diese Leute in ihrer Großgruppe versuchen, ihre Ideen einzubringen und sie zu institutionalisieren, kommt es zur Verästelung.

DIE FURCHE: Wo war dieses Modell bisher erfolgreich?

VOLKAN: Etwa in Estland, wo sich nach der Unabhängigkeitserklärung oft Angst statt Freude breit gemacht hat. Der heutige estnische Präsident, Arnold R#ue ütel, war übrigens Teilnehmer an diesem Prozess.

DIE FURCHE: Was würde der Friedensnobelpreis-Kandidat Vamik Volkan raten, um einen 'Clash of Civilizations" zu verhindern?

VOLKAN: Es ehrt mich natürlich, dass ich offiziell nominiert bin - aber was den islamistischen Terror betrifft, wissen wir noch nicht einmal, wo wir anfangen sollen. Doch es gibt viele Möglichkeiten: Haben Sie etwa jemals gesehen, dass westliche Spitzenpolitiker und muslimische Führer sich längere Zeit getroffen und diskutiert hätten? Das wird nicht passieren. Aber wir können das auf der zweiten oder dritten Ebene versuchen - ohne Medien. In einer Welt, die sich in Regression befindet, brauchen wir vernünftige Stimmen - und Mittel, um sie zu stärken. Geben Sie mir das Geld, das eine einzige Bombe kostet, und wir könnten viele Türen öffnen.

Das Gespräch führte

Doris Helmberger.

VERANSTALTUNGSTIPP:

PSYCHOANALYSIS. Violence,

Aggression, Regression.

Internationale Konferenz der Sigmund-Freud-Privatstiftung und des Bruno Kreisky Forums. Leitung: Vamik Volkan.

Samstag, 13. Mai, 14 bis 19 Uhr. Bruno Kreisky Forum, Armbrustergasse 15, 1190 Wien. Infos: www.kreisky.org

BUCHTIPP:

KILLING IN THE NAME OF IDENTITY. A Study of Bloody Conflicts. Vamik Volkan. Pitchstone Publishing, Charlottesville (Virginia) 2006. 308 S., geb., e 24,20

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