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Schützenhilfe für Kardinal Schönborn von unerwarteter Seite: Ein Nachschlag zur Evolutionsdebatte Von KPÖ-Chef Walter Baier.

Oberflächlicher Diskurs

Dialogblockade kann auch aus - bisweilen bewusstem - Missverständnis entstehen. Im gegenständlichen Fall geschah dies, indem die Stellungnahme des Kardinals ohne näheres Ansehen mit fundamentalistischen Positionen in den usa assoziiert wurde, die in den Schulbüchern die wörtlich genommene Schöpfungsgeschichte der Genesis an die Stelle der Darwin'schen Evolutionslehre setzen möchten.

(Un)bestimmtes Ziel

Die Debatte dreht sich meiner Meinung nach gerade nicht um den natur- und sozialgeschichtlichen Aspekt der Evolution, sondern um deren Sinn und damit auch deren heutigen Stand - politisch bedeutet das: um die Verantwortung, welche die Menschheit für ihre Zukunft übernehmen muss.

"Dieses Ziel, das die Lebewesen in eine Richtung führt, für die sie nicht Verantwortung tragen, zwingt, einen Geist vorauszusetzen, der Schöpfer dieses Ziels ist", heißt es in dem von Schönborn zitierten Wojtyla-Text. Ich frage mich aber: Legt heute nicht die Dynamik der Wissenschaft (etwa bei der Gentechnologie) mit ihren Risken und vielfach desaströsen Anwendungen nahe, dass die weitere Richtung der Evolution auf unserem Planeten und sogar ihre Fortsetzung in die Verantwortung der Menschen gegeben ist? Tatsächlich ist die Frage einer globalen sozialen Verantwortung die wichtigste, die unter den Gläubigen und zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden diskutiert werden sollte. Lohnender als eine denunziatorische Polemik darüber, auf welchem Punkt der imaginären Skala zwischen Teilhard de Chardin und "Kreationisten" ein Text einzutragen sei, wäre es daher, sich der Auseinandersetzung um Sinn und Verantwortung zu stellen.

Die heutige Welt, in der das hegemoniale Verständnis der Wirtschaftswissenschaften das grenzenlose Kapitalwachstum zur ersten Ursache und zum letzten Zweck des Fortschritts erklärt, erfordert die Intensivierung des Dialoges zwischen und in jenen weltanschaulichen Gemeinschaften, welche die Gesellschaft nach anderen Maßstäben als denen des neoliberalen Wirtschaftsdogmas beurteilen.

Die meisten der in der Debatte um den Text in der New York Times vorgebrachten Argumente beziehen ihren moralischen Impetus nicht aus einem Bezug auf die heutige Welt und ihre schreienden Probleme, sondern aus einem autoritativ vorgetragenen Verweis auf "die Wissenschaft", was unausgesprochen Naturwissenschaft und das in ihr derzeit herrschende Paradigma meint.

Wohin des Wegs?

Verantwortung erkennen

Wollen wir uns also mit einer Welt abfinden, die am Rande der militärischen und ökologischen Selbstzerstörung balanciert, und in der durch Armut, Ausbeutung und Sexismus Millionen und Abermillionen Leben von Frauen und Männern abgewertet und zerstört werden? "Ist das der unvermeidliche Preis des Fortschritts?" fragen die einen. "Kann Gott die Welt so gewollt, so geplant haben?" fragen viele, die an ihn glauben.

Blick in die Ferne

Angesichts der täglichen und globalen Ungerechtigkeit, in die wir objektiv involviert sind, scheint nicht in erster Linie von Belang, ob die einen Krieg, Hunger, Ausbeutung, Sexismus sowie die ihnen zu Grunde liegenden weltwirtschaftlichen Strukturen und Machtverhältnisse "soziale Sünde" nennen und andere nicht, sondern, wie wir gemeinsam an ihrer Überwindung arbeiten. Nicht, ob wir Verantwortung für die Welt/die Schöpfung übernehmen, kann heute mehr die Frage sein, sondern lediglich, auf welche Weise sich Gläubige und Nichtgläubige dieser Verantwortung stellen wollen.

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