Anmerkungen zu Kardinal Schönborns Kampf gegen den "Neodarwinismus".
Kardinal Schönborn lässt nicht locker. Vor einem Jahr hat der Wiener Kardinal Schönborn mit einem Aufsehen erregenden Artikel eine neue Diskussion über die Evolutionstheorie entfacht. Zuletzt hat er seine Kritik am "Neodarwinismus" beim Europäischen Forum in Alpbach erneuert. Neues in der Sache hat er zwar nicht zu sagen. Doch kann der Schüler Joseph Ratzingers als weiteren Erfolg verbuchen, dass der nunmehrige Papst Benedikt XVI. das Thema der Evolutionstheorie am kommenden Wochenende in der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo mit seinem Schülerkreis diskutieren will.
Seine eigene Sicht des Verhältnisses von christlichem Schöpfungsglauben und Evolutionstheorie hat Schönborn auch in neun Katechesen im Stephansdom dargelegt.
Das Bild von den zwei Leitern
Im letzten dieser Vorträge gebraucht der Kardinal das Bild von der "Darwinsleiter" - gemeint ist die DNA-Doppelhelix - und der Jakobsleiter, jener Himmelsleiter die dem alttestamentlichen Erzvater im Traum erschien (1. Mose 28,10-22). Die Alternative zur darwinistischen Weltanschauung und ihrem Materialismus sei nicht der Kreationismus des nordamerikanischen Fundamentalismus', sondern das Miteinander von "Darwinsleiter" und "Jakobsleiter".
Abgesehen davon, dass die DNA-Strukur nicht von Darwin, sondern erst von James D. Watson und Francis Crick 1953 entschlüsselt wurde, bietet das Bild von den zwei Leitern freilich keine befriedigende theoretische Lösung. Es wirft mehr Fragen auf als es beantwortet.
Bereits mit seinem umstrittenen Artikel vor einem Jahr in der New York Times hat sich Kardinal Schönborn zum Vorreiter einer Debatte gemacht, die zwar wissenschaftlich unfruchtbar, religionssoziologisch und politisch freilich höchst aufschlussreich ist. Sein Kreuzzug gegen den "Neodarwinismus" und eine "biologistische Ethik" ist Teil jener katholischen Restauration, die sich seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts vollzieht und Parallelen im protestantischen Fundamentalismus nordamerikanischer Provenienz, im islamischen Fundamentalismus, aber auch in fundamentalistischen Bewegungen des heutigen Judentums hat.
Unbehagen an der Moderne
Der französische Soziologie Gilles Kepel hat die Wiederkehr der Religion als revanche de Dieu bezeichnet und Gemeinsamkeiten und Unterschiede der religiösen Aufbruchsbewegungen gründlich untersucht. Gemeinsam ist ihnen die Forderung nach Überwindung einer vermeintlich gescheiterten Moderne.
Nach dem Ende der großen Ideologien des 20. Jahrhunderts und als Reaktion auf die geschichtlichen Umbrüche nach 1989 erleben wir weltweit ein Wiedererstarken der Religionen und eine Re-Theologisierung der Politik.
In der katholischen Kirche wurden Bestrebungen zur Neuevangelisierung Europas bereits Mitte der 70er Jahre durch eine pessimistische Einschätzung der säkularisierten Welt und ihrer Zukunft ausgelöst. Die Wahl eines polnischen Papstes war für diese Entwicklung von kaum zu überschätzender Bedeutung. Vordenker waren aber auch Kardinal Ratzinger, der spätere Präfekt der Glaubenskongregation, und der seit 2005 emeritierte Erzbischof von Paris, Kardinal Lustiger. In dieses geistige und theologische Milieu gehört auch Kardinal Schönborn.
Beherrschendes Thema der 80er Jahre war die Postmoderne. Der Begriff stand für radikalen Pluralismus, für ein eigentümliches Gemisch aus Kritik an der bisherigen Moderne und am Erbe der Aufklärung und gleichzeitigem Aufbruch in eine "andere Moderne" (Ulrich Beck).
Inzwischen ist es um den Begriff der Postmoderne recht still geworden. Globalisierung und Neoliberalismus sind die neuen Schlagworte der politischen und kulturwissenschaftlichen Debatten.
In Italien wird das Programm einer restaurativen Rechristianisierung von der Bewegung "Comunione e liberazione" getragen. Sie hat zu dem "Meeting für die Freundschaft der Völker" in Rimini eingeladen, auf dem Kardinal Schönborn in der vergangene Woche einmal seine Kritik am Darwinismus geäußert hat. Die Bewegung hat auch in Österreich einen Ableger, die vom Wiener Erzbischof gefördert wird.
In diese fügt sich nun Schönborns Kampagne nahtlos ein. Indem er den "Neodarwinismus" zum eigentlichen Feind erklärt, gegen den die katholische Kirche als Gralshüter der wahren Vernunft zu Felde zieht, transformiert er den ökonomischen und politischen Diskurs in einen weltanschaulich-religiösen Konflikt. Dieser tritt an die Stelle der Auseinandersetzung mit dem Marxismus, der inzwischen ziemlich bedeutungslos geworden ist.
Typische "Ideologie"
Schönborns Warnung vor dem "Evolutionismus" ist in Wortwahl und Gedankenführung freilich selbst ein typisches Beispiel für das, was man Ideologie nennt. Ideologien lieben es bekanntlich, sich als Aufklärung des "falschen Bewusstseins" zu präsentieren und die wahre Vernunft für sich zu reklamieren.
Geschickt stellt Schönborn eine Verbindung zwischen Darwin'scher Evolutionstheorie, Neoliberalismus und einer "biologistisch-eugenischen Ethik" her, welche hinter all den Entwicklungen auf dem Gebiet der Biomedizin und Reproduktionsmedizin stehe, die der katholischen Kirche ein Gräuel sind. Dem wird die Vorstellung von einer "sittlich verbindlichen Schöpfungsordnung" gegenübergestellt, die nicht nur aus Sicht einer säkularen Ethik, sondern auch theologisch höchst problematisch ist. Der evangelische Theologe Paul Tillich (1886-1965) hat diese Idee schon vor Jahrzehnten mit Recht als "Ursprungsmythos" kritisiert.
Schöpfungstheologie verengt
Zwar wird heute von verschiedener Seite auch an der Idee einer "evolutionären Ethik" berechtigte Kritik geübt. Mit einem biologischen Begriff der Natur, des Lebens oder der Evolution lassen sich keine Ethik und keine moralischen Normen begründen. Eine Naturrechtsethik, die aus der Vorstellung einer unwandelbaren Schöpfungsordnung abgeleitet wird, ist jedoch ebenfalls ein ideologisches Konstrukt und daher schon seit langem Gegenstand wissenschaftlich-theologischer Kritik.
Die katholische Morallehre und Bioethik, wie Schönborn sie propagiert, sind keineswegs "prophetisch", wie er glaubt, sondern fügen sich in das Bild vom "katholischen Bruch" mit der säkularen Moderne, den Gilles Kepel beschrieben hat. Auch wenn er sich von den protestantisch-fundamentalistischen Kreationisten abgrenzt, verbreitet auch Schönborn eine ideologisch verengte Form christlicher Schöpfungstheologie mit einer bestimmten gesellschaftspolitischen Stoßrichtung. Mit Darwin und den wirklichen Theorieproblemen modernen Evolutionsbiologie hat das alles herzlich wenig zu tun.
Der Autor ist Vorstand des Instituts für Systematische Theologie der Evang.-Theol. Fakultät Wien.
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