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Weit über die Grenzen hinaus wird die Tradition des alten Mexikos getragen. Die Gruppe "Teoilhuikatl" versucht durch Tanzveranstaltungen und Ausstellungen ein Bewusstsein für die Natur und ein harmonisches Miteinander der Kulturen zu schaffen.

Ballspiel einmal anders: Auf einem Sandplatz, etwas größer als ein Volleyballfeld, spielen sich zwei Mannschaften zu je drei Spielern gegenseitig einen zwei Kilo schweren Kautschukball nur durch Anwendung ihrer Ellbogen zu. Ziel ist es, den Ball durch ein steinernes rundes Tor zu bekommen, das in etwa zwei Metern Höhe angebracht ist. Wie die Sonne ohne Stillstand ihren Lauf vollzieht, darf auch der Flug des Balles nicht unterbrochen werden. So ungewöhnlich wie das Spiel sind auch seine Spieler: Sie tragen bunt verzierte Lendenschurze und sind im Gesicht sowie am bronzefarbenen Körper bemalt. Ihre langen schwarzen Haare sind zu einem Knoten zusammengebunden und mit Federn besteckt. Die sechs Männer sind Indios und stammen aus Mexiko, die Sprache ihres Landes ist Spanisch, doch ihre eigentliche Muttersprache ist Náhuatl. Einer von ihnen spricht deutsch. Ixtok ist der Organisator der Erlebnisausstellung "Erwachen des alten Mexiko", in deren Rahmen "Ullama", das traditionelle Ballspiel der Ureinwohner Mexikos, zum ersten Mal in Europa präsentiert wird.

Wissen verstehen lernen

Die Ausstellung, die bis 21. September in Trieben (Steiermark) stattfindet, bietet den Besuchern die Möglichkeit, einen Einblick in die Kultur der "Náhuatlaktos" zu erhalten. Diese eher unbekannte Bezeichnung kommt, so Ixtok, von der Sprache Náhuatl, die einmal vom Süden der heutigen USA bis nach Nicaragua gesprochen wurde, in einem Gebiet, wo Kulturen wie die Mayas, die Azteken, die Tolteken oder die Teotihuakanos beheimatet waren. Die verschiedenen Ausstellungsräume sind alle selbst aus Holz gezimmert und der traditionellen Bauweise nachempfunden. Beispielsweise gibt es eine Schwitzhütte, eine Schule, ein Rathaus und ein Haus des Tanzes, der Hauptraum aber, der die Form einer Spirale hat, soll an die Milchstraße erinnern. Dort erklärt Ixtok den Besuchern - fachmännisch und humorvoll zugleich - anhand von Bildern, Kleidung, Werkzeug und Waffen, Schmuck (siehe Obsidianmaske unten), Musikinstrumenten und anderem, auch selbstgefertigtem Kunsthandwerk die Lebensweise seiner Vorfahren sowie das indianische Verständnis der Welt und des Kosmos. Er wird nicht müde zu betonen, dass sich dieses Wissen in seinen Grundzügen auch heute nicht sehr von gängigen wissenschaftlichen Prinzipien unterscheidet. Das betrifft vor allem die Bereiche der Medizin und der Astronomie. Leider sind diese Erkenntnisse von den spanischen Eroberern ignoriert worden. Auch später hat die falsche Deutung von Schriftzeichen zu Missverständnissen geführt, denn das gesamte Wissen wurde in Form von Piktogrammen festgehalten, was die Übersetzung erheblich erschwert. Anhand der zehn aztekischen und zwei aus der Kultur der Mayas stammenden und einzigen nicht zerstörten präkolumbischen "Kodices", von denen die Aussteller in Trieben Kopien angefertigt haben, wird den Besuchern deutlich gemacht, wieso eine genaue Interpretation nicht möglich ist: "Um die Symbole einer Kultur verstehen zu können", so Ixtok, "muss man zuerst ihre Philosophie kennen". Auch er sei geschockt gewesen, als er zum ersten Mal den gekreuzigten Leib Christi in einer katholischen Kirche gesehen habe. Erst später sei es ihm möglich gewesen, die Bedeutung der christlichen Symbole zu erahnen . Die originalen "Kodices" können in den Museen von Paris, London, dem Vatikan und im Museum für Völkerkunde in Wien bewundert werden.

Neben dem Ballspiel stellt der traditionelle indianische Tanz, der "Tletl" genannt wird, einen Höhepunkt der Erlebnisausstellung dar. Dabei tanzen im "Xitontekalli", dem Haus des Tanzes, drei Generationen zu Trommelrhythmen, begleitet von Muscheltrompeten, Flöten und an den Fußgelenken befestigten Rasseln aus Nussschalen. Die Instrumente sowie die bunte Kleidung und der traditionelle Federschmuck sind von überwältigender Schönheit und von jedem Tänzer und jeder Tänzerin selbst hergestelltes Kunsthandwerk. Bereits die Kleinsten zeigen durch die Gewissenhaftigkeit und Anmut ihrer Bewegungen, dass der Tanz nicht nur der Unterhaltung dient, sondern sowohl einen kulturellen als auch einen spirituellen Charakter besitzt. "Die Christen glauben, dass sie nach dem Tod in ein Paradies kommen werden; wir glauben, dass wir schon im Paradies sind, und deshalb dankt der Tänzer der Mutter Erde dafür, dass sie ihm ermöglicht zu leben", erklärt Ixtok den Hintergrund des Ritus.

Die "kosmischen Bewegungen" (Xitontekis) nehmen im Leben eines Indios, der sich seiner Wurzeln bewusst ist, eine zentrale Stellung ein. So wie seine Kinder heute, hat auch Ixtok - dessen Name in deutscher Übersetzung übrigens "Die letzte Knospe der Blume" bedeutet - bereits in seiner Kindheit mit dem Tanzen begonnen. Es war auch der Grund, warum der in der Nähe von Mexiko City geborene und aufgewachsene Indio mit 18 Jahren angefangen hat zu reisen. Denn der Tanz eignet sich für ihn und seine Freunde am besten dazu, die Tradition ihrer Vorfahren am Leben zu erhalten und den Indios, die heute im eigenen Land eine kleine Minderheit darstellen, eine Identität zu geben.

Die Eroberung des aztekischen Reiches durch Hernán Cortés im Jahre 1521 bedeutete für die Bevölkerung eine starke Einschränkung in ihrer traditionellen Lebensweise und ihren rituellen Handlungen. Die Vermischung von Katholizismus und indianischem Brauchtum gehört heute in vielen mexikanischen Dörfern zum Alltag. "Die Spanier haben uns das Trommeln verboten und uns Gitarren gegeben, also haben wir Musik auf der Gitarre gemacht. Sie haben auf unsere Pyramiden Kirchen gebaut, also haben wir in ihren Kirchen getanzt." So beschreibt Ixtok die Situation der Indios, die zwar gezwungen waren sich anzupassen, ihre Wurzeln aber bis heute nicht verloren haben. Auch wenn viele von ihnen in der heutigen Zeit Teile ihrer Tradition vernachlässigen würden, würden sie wieder zu ihr zurückfinden, denn ein kultureller Austausch ist zwar ein Fortschritt, doch "wenn man nicht weiß, woher man kommt, kann man auch nicht wissen, wohin man gehen soll". Dass in der Universität von Mexiko City vor einiger Zeit begonnen wurde, "Náhuatl", das heute neben anderen indianischen Sprachen noch verhältnismäßig viel gesprochen wird, zu unterrichten, kann dabei wohl als Schritt in die richtige Richtung angesehen werden.

Respekt und Harmonie

"Viele Leute erwarten sich ein Indianerdorf mit einem Winnetou, der das Kriegsbeil schwingt", erklärt Ixtok den Besuchern am Beginn der Führung. Dass dem nicht so ist, dürfte nach einem erlebnisreichen Tag jedem klar sein, denn es geht vor allem darum, eine Kultur so hautnah wie möglich vorzustellen und zugleich eine Botschaft zu vermitteln.

Die Erlebnisausstellung in Trieben ist nur eines der zahlreichen Projekte einer Gruppe mit dem Namen "Teoilhuikatl", die in vielen Orten Mexikos sowie in den USA (derzeit in Denver) die indianische Tradition vor allem durch Tanzen vermittelt und deren Leiter Ixtok selbst ist. Ziel ist es, einerseits ein positives Bewusstsein für die Natur zu fördern und andererseits den gegenseitigen Respekt zwischen Völkern und ein harmonisches Miteinander der Kulturen zu erreichen. Ixtok selbst führt ein Leben zwischen den Kulturen. Mit 20 Jahren kam er zum ersten Mal nach Europa um zu tanzen und ist heute mit einer Österreicherin verheiratet. Er ist immer wieder nach Mexiko zurückgekehrt, und auch wenn seine Söhne Ehekatl (das aztekische Symbol für Wind) und Tlalok (Regen) zwei gute Gründe sind, in Österreich zu bleiben, muss er immer dort sein "wo sich eine Möglichkeit ergibt, die indianische Kultur zu vertreten".

Wieso auch sollte ein friedliches kulturelles Zusammenleben nicht möglich sein? Vor allem wenn es sich um Kulturen handelt, die sich zwar in der äußeren Form, in ihren Inhalten aber nur wenig unterscheiden. Ixtoks Sohn Ehekatl symbolisiert mit seinen langen blonden Haaren diesen Brückenschlag jedenfalls par excellence.

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