"Das Betriebssystem muss neu aufgesetzt werden“

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Der Politologe und Korruptions-Experte Hubert Sickinger im Interview über politischen Frust und den Druck, den die Zivilgesellschaft ausüben kann.

Man muss schon damit leben, sich unbeliebt zu machen“, sagt Hubert Sickinger am Rande dieses Gespräches. Der Politikwissenschafter ist Experte für Parteienfinanzierung und politische Korruption und prangert seit Jahren Missstände in Österreich an. Warum ihm die reine Analyse nicht reicht und wie er stattdessen politischen Druck ausüben will, erklärt der ehrenamtliche Vizepräsident des Beirates der NGO Transparency International im FURCHE-Interview.

Die Furche: Alt-Politiker starten Volksbegehren für Neuerungen im Parlamentarismus und Reformen beim Bildungssystem. Bürger sammeln Unterschriften für eine Verwaltungsreform und vernetzen sich bundesweit. Warum empören sich so viele Menschen?

Hubert Sickinger: Zur Zeit herrscht die weit verbreitete Stimmung, dass wir in einem blockierten politischen System leben. Die beiden großen, staatstragenden Parteien wirken altersschwach und visionslos. Sie können sich häufig nur zu halbherzigen Reformen entschließen. Sie sind zu sehr auf die eigene Machterhaltung konzentriert und nicht auf inhaltliche, längerfristige Arbeit. Die Reformagenda der Parteien scheint erschöpft, das politische Handeln von tagespolitischer Taktik dominiert. Dieser Eindruck hat sich in den letzten Jahren stark verfestigt.

Die Furche: Wie realistisch ist es, dass zivilgesellschaftliche Initiativen tatsächlich Einfluss nehmen auf die politische Tagesordnung?

Sickinger: Wenn sie wirklich relevante Probleme aufgreifen, und der Reformdruck auf die Politik sehr stark ist, können sie natürlich Erfolg haben. Ich beobachte das gerade am Beispiel Korruption: Ich habe jahrelang erfolglos darauf gepocht, dass Nebeneinkünfte von Abgeordneten offengelegt werden. Jetzt soll genau das im Rahmen des Transparenzpakets durchgesetzt werden. Lange wäre es undenkbar gewesen, ein Lobbyisten-Register vorzuschreiben. Doch jetzt kündigt die Justizministerin einen Gesetzesentwurf an. Für derartige Stimmungswandel braucht es aber Reformdruck, die aktuellen Korruptionsskandale haben da ihren Beitrag geleistet. Aber auch die beharrliche Thematisierung von Missständen, wie ich es seit Jahren mache.

Die Furche: Was war für Sie ausschlaggebend, dass Sie von einem analysierenden Experten zu jemand wurden, der konkrete Forderungen stellt?

Sickinger: Den letzten Anstoß haben mir die Skandale rund um den damaligen Finanzminister Karl-Heinz Grasser im Jahr 2003 gegeben. Damals hat sich gezeigt, dass die Öffentlichkeit hier nicht funktioniert: Der politische Wettbewerb war offensichtlich kein Garant dafür, dass ein Politiker, der augenscheinlich rücktrittsreif ist, diesen Schritt setzt. Ich habe bemerkt, dass es in Österreich schon fast als Zustimmung ausgelegt wird, wenn man nur die Rechtslage erklärt, aber Vorgänge nicht dezidiert kritisiert. Deshalb bin ich dazu übergegangen, Reformen zu fordern.

Die Furche: Und diese Forderungen blieben lange Zeit ungehört ...

Sickinger: Bis vor wenigen Jahren war ich ziemlich alleine damit. Aber das hat sich geändert. Seit etwa zwei Jahren können die Parteien meine Stimme nicht länger ignorieren, die Medien greifen die Korruptionsthemen aktiv auf und ich bin in ein größeres Netzwerk eingebunden. Und auch Berichte des Europarats und der OECD führen uns immer wieder vor Augen, wie weit Österreich beim Thema Korruption von internationalen Standards entfernt ist. Für die traditionellen Parteien ist es eine Überlebensfrage, ob sie es schaffen, für ordentliche Spielregeln zu sorgen und es sanktionieren, falls sie gebrochen werden. Wie erfolgreich sie dabei beim Thema Korruption sind, werden wir im Spätherbst sehen. Dann wissen wir, ob das Transparenz-Paket im Nationalrat beschlossen wird - und was es genau beinhaltet.

Die Furche: Für wie reformbedürftig halten Sie die österreichische Demokratie?

Sickinger: Das Betriebssystem gehört neu aufgesetzt. Wir brauchen einen Kulturwandel in der österreichischen Politik. Dazu gehören klare Regeln, transparente Finanzen von Parteien und Politikern, ein neuer Umgang mit Interessenskonflikten. Zur Zeit wird Politik von Tag zu Tag gemacht, langfristige Visionen und eine vitale Beteiligungskultur vermisst man. Das ist auch der Grund, warum die meisten Initiativen außerhalb von Par-teistrukturen stattfinden.

Die Furche: Wie lange kann die momentane Reform-Debatte am Laufen gehalten werden?

Sickinger: Ich wüsste nicht, warum sie verebben sollte, es gibt genug reformbedürftige Demokratiethemen in Österreich. Der langfristige Trend geht dahin, dass die bestehenden Parteien an sich und die Partizipation in ihren Strukturen schwächer werden. Aber vielleicht werden neue Parteien auftreten. Platz dafür gäbe es im österreichischen Parteienspektrum.

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