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„Das Credo abschaffen?"

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Würden Sie das Credo abschaffen, wenn Sie es könnten?" Darauf antwortet der Göttinger evangelische „Theologe" Gerd Lüdemann: „Sofort" (Spiegel Nr. 8/1996, S. 60-69, bes. S. 66). In dem Interview macht er weiteste Kreise auf seine radikale Kritik an zentralen Themen christlichen Glaubens aufmerksam. Schon vor zwei Jahren erregte er Aufsehen und heftigen Widerspruch mit seiner Leugnung der leiblichen Auferstehung Jesu („Die Auferstehung Jesu. Historie, Erfahrung, Theologie", 1994).

In dem neuen Buch „Ketzer. Die andere Seite des frühen Christentums" (1995), das Anlaß zum Interview im „Spiegel" bot, erweitert Lüdemann seine Thesen. Mit scheinbarer Akribie legt der als Historiker ausgewiesene Autor die vielfältigen und seiner Ansicht nach miteinander nicht zu vereinbarenden Aussagen in den Schriften des frühen Christentums dar. Dabei geht er bewußt rein historisch vor und lehnt jede Selbstbekundung Gottes in dieser Welt ebenso wie Jesu Auferweckung als „supranatural" und in Widerspruch zum modernen Weltverständnis stehend ab. Die Bibel ist für ihn deshalb in keiner Weise „Wort Gottes", sondern reines Menschenwort. Die schon in den Evangelien und ältesten Glaubensformeln bezeugte Bezugnahme auf Israels Schriften hält Lüdemann für „Possenspiel".

Das im Dienste der Verteidigung des apostolischen Glaubens später formulierte Credo ist seiner Ansicht nach eine Aufzählung von Mirakeln (zum Beispiel wunderbare Empfängnis, Auferstehung und Erhöhung), die ein Mensch des 20. Jahrhunderts nicht mehr guten Gewissens glauben kann. Es ist daher aus seiner Sicht eine Zumutung für Gottesdienstteilnehmer, wenn die Kirchen solche Sätze „herunterleiern" lassen. Maßgeblich ist nach Lüdemann für den christlichen Glauben einzig das, was die moderne Forschung über Jesus sagen kann: ein Sünder wie alle Menschen, der sich in der Annahme eines baldigen Eintreffens der Gottesherrschaft geirrt habe. Als Jesu eigene Lehre könne im Grunde kaum mehr als das gelten, was in den Seligpreisungen und Gleichnissen überliefert ist. „Es genügt, um ein Gesamtbild Jesu zu gewinnen und seine Botschaft zu kennen. Das allein kann die Basis des Glaubens sein" (Spiegel, S. 67).

Pur den Kenner der theologischen Fachliteratur ist das, was Lüdemann vorträgt, nicht neu. Dafür genügt schon ein Blick in das Buch von A. Schweitzer, „Die Geschichte der Leben-Jesu-Forschung" (1906). Die Behauptungen von Lüdemann sind nämlich (abgesehen von der tiefen-psychologischen Erklärung der Oster-erfahrungen) nichts anderes als eine Neuauflage der im 19. Jahrhundert unter Berufung auf Schleiermacher (f 1834) vertretenen liberalen Theologie mit ihren einander widersprechenden Versuchen, dem „Köhlerglauben" der Kirchen an den gekreuzigten und auferstandenen Herrn einen „Jesus der Wissenschaft" gegenüberzustellen. Zu diesem Aufwärmen alter Behauptungen ist vor allem folgendes zu sagen:

I. Indem Lüdemann die Bibel bloß als Sammlung widersprüchlicher, ja fehlerhafter Menschenworte bewertet und ihr jede Autorität als „Wort Gottes" abspricht, steht er in Widerspruch zur Auffassung aller Christen früherer Jahrhunderte, hinsichtlich des Alten Testaments sogar in Widerspruch zu den Aposteln und zu Jesus.

Hinsichtlich des neuen Testaments betrachten alle christlichen Kirchen die im 2. Jahrhundert gesammelten Schriften bis heute als verbindliche Norm (Kanon) christlichen Glaubens. Dem widerspricht nicht die Einsicht, daß diese Schriften menschliche Verfasser haben, sogar manche menschliche Irrtümer enthalten und - bedingt durch die Situation ihrer Adressaten - auf den ersten Blick oft gegensätzliche Aussagen machen. Das Zweite Vatikanische Konzil hat diesbezüglich unter Auswertung der neueren Erkenntnisse der Bibelwissenschaft ausdrücklich betont: In der Sprache von Menschen einer vergangenen Epoche wendet sich Gott selbst durch die Heiligen Schriften an uns. „Wort Gottes" im strengen Sinn ist daher nicht der einzelne geschriebene Satz, sondern was der jedes rrfenschli-che Begreifen übersteigende Herr der Welt mittels dieses Textes sagt: durch seine Propheten, durch Jesus Christus, durch die Apostel und ihre Schüler.

Die ganz auf der Linie jüdischer Exegese liegenden Bezugnahmen auf das Alte Testament („gemäß den Schriften") kann nur der als „Possenspiel" abtun, dem jedes Empfinden für den tieferen Sinn biblischer wie dichterischer Worte abgeht. Der Charakter der ganzen Bibel als Wort Gottes kann natürlich nicht positivistisch strin-gent bewiesen werden - darin ist den liberalen Theologen rechtzugeben -, wohl aber zuverlässig bezeugt werden. Hier steht jeder Leser heute vor der Entscheidung, das glaubwürdige Zeugnis der Propheten, Jesu sowie der Apostel und ihrer Schüler anzunehmen oder nicht. Das setzt freilich voraus, daß eine Selbstkundgabe Gottes nicht von vornherein als „supranatural" ausgeschlossen wird, weil sie positivistisch nicht bewiesen werden könne. Es setzt außerdem voraus, daß die jeweilige Intention und Aussageweise beachtet werden, wie es die Bibelwissenschaftler seit Jahrhunderten monieren.

2. Hinsichtlich der Auferstehung Jesu ist zuzugeben: Diese kann wissenschaftlich nicht so stringent bewiesen werden, wie es in vergangenen Jahrhunderten einzelne Theologen versuchten und fromme Kreise heute mitunter noch meinen, etwa durch den Hinweis auf das leere Grab oder die Erscheinungen des Auferstandenen. Die Nachrichten darüber sind -unbeschadet ihrer Wahrheit - für eine positivistische Beweisführung, wie sie in den Naturwissenschaften gefordert wird, ungeeignet. Unbestreitbar aber ist die Überzeugung der Apostel, auf einzigartige Weise dem Auferstandenen begegnet zu sein. Dies belegen unmißverständlich die eigenen Aussagen des Apostels Paulus (zum Beispiel Gal. 1,16; 1 Kor 9,1; 15,8). Für Petrus geht das aus der alten Angabe „und erschien dem Ke-phas" (1 Kor 15,5; vgl. Lk 24,34) und seiner Sonderstellung als Galiläer in der Gemeinde von Jerusalem hervor (vgl. Gal 1,18). Der heutige Leser der

Bibel steht darum vor der Entscheidung, diesen Zeugen entweder Glauben zu schenken oder die Apostel und mit ihnen alle Christen als Menschen zu betrachten, die einer Illusion zum Opfer gefallen sind.

Der Versuch von Lüdemann, die in der Bibel berichteten beziehungsweise erzählten Erscheinungen tiefen-psychologisch aus der mißlungenen „Trauerarbeit" wegen der Verleugnung Jesu (bei Petras) beziehungsweise aus dem vorher in Verfolgungen sich entladenden psychischen Stau beziehungsweise Christuskomplex (bei Paulus) zu erklären, verkennt völlig die Eigenart der bibli sehen Texte und wird mit Becht von allen Exegeten abgelehnt.

3. Die eingehenden Ausführungen von Lüdemann über die urkirchlichen und frühkirchlichen Auseinandersetzungen berechtigen nicht dazu, daraus auf ursprünglich andere, von den Aposteln und der frühen Kirche verdrängte Jesusüberlieferungen zu schließen und etwa Markion (f um 160) als authentischen Gewährsmann wieder in die Kirche heimzuholen. (Bekanntlich lehnte dieser das Alte Testament völlig ab und erkannte nur ausgewählte beziehungsweise „gereinigte" Schriften des Neuen Testaments als verbindlich an.) Sind aber nicht gerade die in zeitbedingtem Gewand geführten Auseinandersetzungen ein Beweis dafür, wie ernst die Christen die von anderen als anstößig verworfene Botschaft der Apostel und damit ihre Bezeugung des gekreuzigten und auferstandenen Jesus von Nazaret als des für uns Menschen gestorbenen Christus und Sohnes Gottes nahmen?

Völlig unwissenschaftlich und töricht ist schließlich Lüdemanns An -sinnen, die von den Exegeten keineswegs einhellig als historisch echt anerkannten Worte Jesu (zum Beispiel in den Gleichnissen) zur einzig tragfähigen „Basis" christlichen Glaubens zu machen. Ein solcher Bückschluß hat allenfalls den Wert einer nützlichen Hypothese, kann aber für sich allein keinen soliden Grund für das christliche Leben bieten. Welchen höheren Wert hätten solche hypothetisch erschlossenen Jesusworte (ohne Bezug auf Jesu Auferstehung und Gottessohnschaft) etwa gegenüber den Sprüchen eines Marc Aurel?

4. Die von Lüdemann erhobenen Einwände gegen das tatsächlich erst nach dem Tod der Apostel zusammengestellte Credo, das den Christen in den frühen Auseinandersetzungen sozusagen als „Glaubensregel" (regu-la fidei) diente, verkennen sowohl dessen Entstehungsgeschichte als auch die Sprache der einzelnen Formulierungen. In Auseinandersetzungen über zentrale Glaubensinhalte haben die Christen mit diesem Text die letztlich auf die Apostel zurückgehenden und von Gegnern bestrittenen kirchlichen Glaubenssätze zusammengestellt. Dabei bedienten sich die Verfasser des Credo der traditionellen Aussagen über Jesu Geburt, Tod, Auferstehung und Himmelfahrt, die sie aber keineswegs im Sinn neuzeitlicher Diktion als protokollai> sehe, naturwissenschaftlich exakte Angaben auffaßten. Im Sinn ältester kirchlicher Theologie und Glaubensunterweisung sind dabei die mitunter mythisch anmutenden Aussageweisen vom gemeinten Aussageinhalt zu unterscheiden. Wer dies beachtet, kann auch heute noch guten Gewissens als gebildeter Christ die alten Sätze des Credo singen oder beten.

Die Forderung einer Abschaffung des Credo ist für alle Christen eine neue Herausforderung, sich Bechenschaft über ihre Hoffnung zu geben (1 Petr 3,15). Dazu gehört:

1. Wer die Bibel und das kirchliche Glaubensbekenntnis ernst nimmt, muß bereit sein, die Grenzen seines alltäglichen Wissens sowie einer positivistisch eingestellten Geschichtswissenschaft einzugestehen. Nur unter dieser Voraussetzung kann er an den Gott glauben, der sich in Israel und besonders in Jesus Christus zu erkennen gegeben hat. In früheren Jahrhunderten haben alle Theologen und besonders die Mystiker demütig das eigene Nicht-Wissen eingestanden (docta ignorantia) und aus dieser Grundhaltung über Gott gesprochen oder geschrieben.

2. Zur Mitte christlichen Glaubens gehört das Bekenntnis zu Jesu Auferstehung. Davon waren alle Apostel und die gesamte frühe Kirche einhellig überzeugt, ebenso alle späteren christlichen Generationen, welcher Konfession auch immer. Ohne die Überzeugung davon wäre uns kaum ein Wort Jesu bekannt geworden. Daß er als Auferstandener lebt, belegt nicht zuletzt der alte in aramäischer Sprache überlieferte Gebets-raf „maranatha" = „unser Herr, komm!" (1 Kor 16,21; Offb 22,20). Als „Testfrage", ob eine heutige Interpretation der biblischen Österbot-schaft gerecht wird, mag daher dienen: Kann ich heute noch redlich zu Jesus Christus beten und ihn mit den christlichen Kirchen als Kyrios (Herr) anrufen (wie zum Beispiel im Kyrieelei-son, Gloria oder Agnus Dei)?

3. Die Sprache der Bibel wie auch die des Credo ist die Sprache von Men -sehen einer früheren Zeit. Um sie nicht falsch zu verstehen und sich nicht an ihrer Ausdrucksweise zu stoßen, bedarf sie der Übersetzung. Es genügt heute nicht mehr, biblische Texte oder auch alte Katechismusaussagen einfach zu wiederholen; denn buchstäblich (biblizistisch) aufgefaßt, führen sie zu Mißverständnissen (etwa Erschaffung der Welt in sechs Tagen, Erdbeben am Ostermor-gen, sinnenfällige Auffahrt Jesu in den Himmel exakt 40 Tage nach seiner Auferstehung).

Die Ausführungen von Lüdemann fußen weitgehend auf einer fundamentalistischen Fehlinterpretation der biblischen und frühkirchlichen Texte. Er berücksichtigt auch nicht die wichtige Einsicht moderner Literaturwissenschaft, daß alle Wörter und Sätze letztlich mehrdeutig sind und stets einer Näherbestimmung durch den gesamten Kontext bedürfen. Dieser verlarigt zum Beispiel bei den Aussagen über Jesu „Auferstehung", dies nicht als Heraustreten eines wiederbelebten Leichnams aus dem Grab aufzufassen, sondern als Versuch zu werten, das jede menschliche Vorstellung übersteigende Geschehen mit Worten unserer Lebenswelt irgendwie auszusprechen. Das Interview „Das Credo abschaffen" fordert daher alle Christen heraus, die Ergebnisse der neueren Bibelwissenschaft - unter Beachtung ihres Stellenwertes als hilfreiche Hypothesen -für die heutige Bechenschaft über unseren Glauben ernstzunehmen.

4. Die neuerliche Kritik am Credo belegt, daß heute viele die Bibel nicht mehr als Wort Gottes ernstnehmen, ja ihr und Gott gleichgültig gegenüberstehen. Das macht uns darauf aufmerksam, daß die zentralen Aussagen der Bibel nur dem zugänglich sind, den Gott durch seinen Lebensodem von der Fixierung auf das Vordergründige und das eigene Ich befreit, in der Sprache der Bibel und Osterli-turgie: von seiner Blindheit und Verblendung heilt: „Keiner kann sagen ,Herr ist Jesus', außer im Heiligen Geist" (1 Kor 12,3). Wir müssen als Christen also damit rechnen, daß nicht alle jetzt schon in gleicher Weise Anteil an diesem göttlichen Pneu-ma haben. Wer glauben darf, muß Gott dafür danken und dieses Geschenk als Aufgabe betrachten, um im Dienste des auferstandenen Christus mitzuhelfen, damit alle - jeder zu seiner Zeit - schon hier auf Erden zum Glauben an den Auferstandenen und sein befreiendes Wort finden.

Der Autor ist

Professor für Neues Testament an der Universität Wien.

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