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Das Dekret „Haec sancta“

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In der Verfolgung und Ausführung der konziliaristischen Empfehlungen erließ das Consiand’ense am 6. April 1415 — nach der Flucht Johannes’ XXIII. — das Dekret „Haec sancta“, in dem folgendes bestimmt wird: 1. Das Generalkonzil repräsentiert die katholische Kirche.

2. Das Generalkonzil hat seine Gewalt unmittelbar von Christus.

3. Dem Generalkonzil hat jeder Stand in der Kirche, auch der päpstliche, zu gehorchen in Sachen des Glaubens, zur Beseitigung des Schismas und der Reform der Kirche an Haupt und Gliedern.

Dieses vielgenannte Dekret „Haec sancta“ gibt die klassische Formulierung der konziliaren Doktrin und ihre These von der Superiorität des Generalkonzils über den Papst wider. Es war damals ohne Zweifel eine situationsbedingte Notmaßnahme, durch die das Konzil faktisch über Johannes XXIII., der einer der drei Päpste war, richtete.

Zur Zeit ist wieder die Frage aufgeworfen worden, ob das Dekret

„Haec sancta“ durch Martin V. oder dessen Nachfolger bestätigt und damit auch heute als konziliares Dokument gültig sei. Dafür sprechen sich vor allem aus de Vooght OSB und Professor Küng in Tübingen. Ich schließe mich der allgemeinen Meinung an, wie sie von Jedin und Gill („The Heythrop Journal“, April 1964) unter anderen vertreten wird, die darin festhalten, daß die konziliare Gültigkeit dieses Dokumentes nicht erwiesen ist. Eine Bekräftigung dieser Meinung findet sich vor allem in der Tatsache, daß die Konzilsväter selber sich von Papst Gregor XII., dem Papst römischer Obedienz, zuerst autorisieren ließen, bevor sie seinen Rücktritt annahmen. Es scheint mir also festzustehen, daß eine formelle Bestätigung des Dekretes durch Martin V. oder Eugen IV. nicht erwiesen ist. Auf der anderen Seite ist es wohl auch richtig, daß dieses Dekret formell nie außer Kraft gesetzt wurde.

Neben dem Dekret „Haec sancta“

erließ das Konstanzer Konzil am 9. Oktober 1417 das Dekret „Frequens“, das bestimmt, daß allgemeine Konzilien in periodischen Abständen gehalten werden sollen. .Man sah eben damals eine Reform der Kirche nur auf dem Wege einer Änderung der kirchlichen Verfassung und einer Beschneidung des päpstlichen Zentralismus. Das

Dekret „Frequens“ wurde nie aufgehoben, aber von den Päpsten auch nie durchgeführt.

Ähnlich wie man früher den hierokratischen und papalistischen Kirchenbegriff überspitzt hatte, so überspitze man die konziliare Idee auf dem zwölf Jahre später stattfindenden Konzil zu Basel, und mit dem kläglichen Ende dieses

Konzils hat auch die konziliare Idee ihre Wirksamkeit eingebüßt. Der konziliare Mißbrauch löste ein Mißtrauen der Päpste gegenüber dem Konzil aus, und Pius II., der in seiner Jugend Anhänger des Konziliarismus war, verbietet in seiner Bulle vom 18. Jänner 1460

jede Appellation vom Papst an das Konzil. Das konziliare Anliegen lebte allerdings weiter, weil das Reformanliegen unerledigt geblieben war.

Das andere Extrem

Auf dem Konzil von Trient war der Konziliarismus als Konzilsidee bereits ‘eine Episode am Rande der Kirche. Er war vom Gallikanismus übernommen worden und wurde gelegentlich als Druck- und Schreckmittel des Staatskirchen- tums gegenüber dem römischen Stuhl gebraucht. Im 17. Jahrhundert bildete er den Streitpunkt zwischen Gallikanern und Kurialisten. Mit dem Ende des Gallikanismus — französisches Konkordat von 1801 und vor allem Vatikanum I — ist der Konziliarismus als Konzilsidee erloschen.

Das Tfienter Konzil war zögernd und zu spät einberufen worden. Die Angst vor schlechten Erfahrungen, mit Konzilien in der Vergangenheit mag noch immer nachgewirkt haben. Aber neben dem Drängen des Kaisers setzte sich die allgemeine Erkenntnis durch, daß ein Reformwerk großen Ausmaßes in der Kirche nicht von oben befohlen werden soll, sondern nur über die Repräsentation der Kirche im Konzil erreichbar ist. Die Konzilsidee des Tridentinums ist nach dem zentralen papalen Kirchenbegriff ausgerichtet.

In der I. Vatikanischen Kirchenversammlung findet die Trienter Konzilsvorstellürig einen Höhepunkt durch die Ausrichtung auf jenen Kirchenbegriff, der im Papsttum den Inbegriff der Kirche sieht.

(„Summus Pontifex... qui potest dici ecclesia“) Der nachtridentinische Katholizismus sieht im I. Vatikanum das Hauptanliegen darin, die defensive Haltung gegenüber den aggressiven Formen des Unglaubens und Irrglaubens zu verstärken. Durch die scharfe Verurteilung der Zeitirrtümer setzt das I. Vatikanum unter anderen Umständen ebenfalls einen Akt abwehrender Selbstbehauptung. Dadurch wurde die Kirche gerettet. Gleichzeitig aber isolierte sie sich und schloß sich von der Welt ab. Hier mag einer der Gründe liegen, warum sich die Kirche bis heute schwertut, modernistisches und integralistisches Denken innerlich zu bewältigen und zu überwinden.

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