Das Drama der Kirche in Österreich

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Furche-Mitarbeiter Butterweck skizziert in "Österreichs Kardinäle" die Beklemmungen der letzten 100 Jahre Kirchengeschichte.

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Furche-Mitarbeiter Butterweck skizziert in "Österreichs Kardinäle" die Beklemmungen der letzten 100 Jahre Kirchengeschichte.

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Österreichs Kardinäle" heißt das Buch Hellmut Butterwecks kurz und knapp, das eben herausgekommen ist. Es enthält Lebensskizzen und Biographien jener sieben Wiener Erzbischöfe des 20. Jahrhunderts, die alle zu Kardinälen ernannt worden sind. Das ist eine verdienstvolle Neuerscheinung, denn über die Kardinäle in der ersten Hälfte des Jahrhunderts ist selbst in Kreisen gebildeter Katholiken relativ wenig bekannt, und die Namen der Kardinäle Gruscha, Nagl oder Piffl sind wohl noch ehesten aufmerksamen Wienern durch ein paar Straßenbezeichnungen bekannt.

Anders steht es begreiflicherweise mit den Kardinälen in der zweiten Jahrhunderthälfte, mit Theodor Innitzer, Franz König, Hans Hermann Groer und Christoph Schönborn. An sie alle können sich natürlich noch sehr viele Menschen persönlich erinnern, Christoph Schönborn ist überhaupt der amtierende Erzbischof. Die nahe Erinnerung bringt es freilich mit sich, dass das Bild dieser Kardinäle in so manchen Facetten von gängigen Schlagworten und nicht selten auch von medial geprägten Urteilen wie Vorurteilen geprägt ist. Hellmut Butterweck zeichnet in seinem Buch viele dieser Beurteilungen nach, und man erfährt wenig, was die üblichen Klischeemeinungen in Frage stellen könnte.

Trotzdem ist das Buch in dieser Zusammenschau knapp geschriebener Lebensbilder der führenden Kirchenmänner in Österreich interessant und aufschlussreich, weil dadurch in beklemmender Weise dargestellt wird, welche verheerenden Stürme unser Land und auch die Kirche in Österreich in den letzten 100 Jahren über sich ergehen lassen mussten. Diese historischen Erinnerungen relativieren manche innerkirchliche Auseinandersetzungen der Gegenwart, wenn man etwa von Butterweck an den jahrelangen erbitterten Streit der österreichischen Bischöfe mit dem Vatikan in den Jahren vor der Jahrhundertwende erinnert wird, der sich aus einer diametral entgegengesetzten Einschätzung der damals kraftvoll aufstrebenden Christlichsozialen ergeben hat: Der österreichische Hochklerus mit den Bischöfen und Kardinälen an der Spitze bedrängte über Jahre hinweg den Papst, die christlichsoziale Bewegung in Österreich wegen ihrer radikalen Sprache und Gesinnung - und auch wegen ihrer antisemitischen Ausfälle - als unkatholisch zu verurteilen.

Der Vatikan hingegen unterstützte nachdrücklich die Christlichsozialen als katholische Massenbewegung, und der Papst entbot demonstrativ den christlichsozialen Parteiführern seinen Segen, da das christlichsoziale Programm der päpstlichen Sozialenzyklika "Rerum novarum" voll entsprach.

Zeit nicht verstanden Noch ein anderer Aspekt drängt sich bei der Lektüre des Buches auf. Es ist der Eindruck, dass führende Kirchenmänner oft noch stärker als führende Menschen in anderen Bereichen dem fatalen Phänomen unterliegen, in der jeweiligen Gegenwart aus Beurteilungskriterien der Vergangenheit nicht herauszufinden. Man muss nur die Kurzbiographie von Kardinal Gruscha lesen, um zu erkennen, wie abgehoben von den Sorgen und Problemen seiner Gegenwart er handelte - als alter Mann verstand er die Kirche und die Welt überhaupt nicht mehr. Leider war er kein Einzelfall.

Immer wieder in der Geschichte verstanden führende Männer der Kirche die jeweilige Zeit nicht mehr und verstrickten sich in ein bloß rückwärts gewandtes Verhalten, das mit der Botschaft Jesu oft genug im aufreizenden Widerspruch stand. Und wenn wir gerade jetzt einen neuen Höhepunkt in der gegenwärtigen Kirchenaustrittswelle hinnehmen müssen, stellt sich für mich die Frage, ob da nicht mehr dahinter steckt als nur eine Reaktion auf ungeschicktes oder falsches Verhalten der Kirche in der Gegenwart, ob da nicht auch so manche alte Fehler im Unterbewusstsein weiterwirken und spät, aber doch alte Rechnungen beglichen werden. Denn es gibt nicht nur das individuelle, sondern auch das kollektive Gedächtnis ganzer gesellschaftlicher Gruppen, das böse Erinnerungen an kirchliches Fehlverhalten von Generation zu Generation weitergibt.

Auch Zukunftssorger Gottlob gibt es jedoch in der Kirche nicht nur die Aufrechnung alter Fehler oder die Folgen von Handlungen oder Unterlassungen unverbesserlicher Reaktionäre, sondern immer sind auch kirchliche Kräfte am Werk, die sich um die Zukunft sorgen. Hellmut Butterweck nennt in seinem Buch einen solchen "Fall", einen Mann, der ganz gewiss kein himmelstürmender Progressist gewesen ist, der sich aber als Wiener Kardinal von 1913 bis 1932 nicht nur mit der Katastrophe des Ersten Weltkrieges, sondern auch mit dem Untergang der österreichisch-ungarischen Monarchie sowie mit den verhängnisvollen Anfängen des Bürgerkrieges in der jungen österreichischen Republik auseinander zu setzen hatte, und der diese schier übermenschliche Aufgabe mit einigem Anstand zu bewältigen vermochte: Es war Erzbischof Friedrich Piffl, der den schwierigen Übergang von der Monarchie zur Republik schaffte und die Mutation des kaisertreuen Fürstbischofs zum staatstreuen Erzbischof in der jungen Republik bewältigte.

Kardinal Franz König ist dann ein noch überzeugenderes Beispiel dafür, wie sehr auch ein führender Kirchenmann das Zeug haben kann, die Zeichen der Zeit zu verstehen, und notwendige Reformen voranzutreiben. König war es, der Zeichen der Verständigung zwischen den Arbeitern und der Kirche setzte, und der auch eine stille, aber wirksame Versöhnung zwischen der Kirche und der Sozialdemokratie vorbereitete. König war es schließlich, der als Konzilsvater wesentlich für die Verbreitung der konziliaren Reformideen sorgte, der Brücken zur Orthodoxie, zu den Evangelischen, zu den Juden, zum Islam, auch zum Buddhismus schlug, und der sich vor allem um eine enge Verbindung der katholischen Kirche in Österreich mit den Christen in den Nachbarländern kümmerte. Was dem Kardinal aber nach seiner Pensionierung besondere Popularität eintrug: Dass er Jahr für Jahr unentwegt unterwegs war, um den Versuchen eines neuen Fundamentalismus zu widersprechen und den Gläubigen Mut zuzusprechen.

In dieser beeindruckenden Liste von großen, bedeutenden und zwiespältigen Persönlichkeiten, die Hellmut Butterweck aufzählt, fehlen naturgemäß auch jene beiden Namen nicht, die in völlig verschiedener Weise von Tragik umwittert sind: Theodor Innitzer, jener Kardinal von Wien, der im März 1938 in Wien Adolf Hitler gegenüberstand, und der sich dieser Herausforderung brutaler Macht nicht gewachsen zeigte. Und Hans Hermann Groer, der vorbei an den Instanzen der Kirche von Wien zum Erzbischof berufen wurde, und der an seiner persönlichen Überforderung scheiterte.

Hellmut Butterweck hat das Wagnis unternommen, das Drama der katholischen Kirche Österreichs im 20. Jahrhundert an Hand ihrer führenden Männer zu skizzieren. In der Eiszeit des Herzens, in der wir leben, und von der Ingeborg Bachmann gesprochen hat, wird mancher Leser zutiefst davon angerührt sein, was in dieser Kirche in den letzten 100 Jahren an Mutationen vor sich gegangen ist, sodass man heute von ihr frei nach Goethe im West-östlichen Divan sagen kann: "Welch eine seltsame Gemeinde - an Gottes Tisch sitzen Freund und Feinde."

Der Autor, langjähriger Chefredakteur der "Kleinen Zeitung", war bis April 2000 Präsident der Katholischen Aktion Steiermark.

Österreichs Kardinäle. Von Anton Gruscha bis Christoph Schönborn. Von Hellmut Butterweck. Verlag Ueberreuter, Wien 2000, 224 S., geb. öS 291,-/e 21,14

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