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Das eigene Gewissensurteil

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Es wird oft die Frage gestellt, ob das II. Vatikanische Konzil in bezug auf Ehe und Familie wirklich etwas Neues gebracht habe, oder ob es nur mit einigen anderen Worten wiederholt, was schon die Päpste, insbesondere Pius XI. und Pius XII., früher gesagt haben.

Wer den Abschnitt über „Ehe und Familie“ in der Pastoralkonstitution „Die Kirche in der Welt von heute“ aufmerksam liest, wird bald entdecken, daß hier ganz entscheidende Fortschritte über die bisherige Verkündigung hinaus gemacht worden sind.

Ehe und Familie werden nicht einseitig religiös oder einseitig individuell, sondern in ihrer ganzen Fülle und Gesamtheit betrachtet. Während in früheren Kundgebungen der Nachdruck auf Zeugung und Nachkommenschaft und infolgedessen auf der Familie lag, tritt im Konzilsdokument in betonter und sehr einleuchtender Weise die Ehe in den Vordergrund. Denn das Sakrament der Ehe ist nicht eigentlich ein Sakrament der Elternweihe, sondern ein solches der Gattenweihe, ein Sakrament der ehelichen Liebe. Das Konziii würdigt in glücklicher Weise innerhalb dieser Liebe auch die körperliche Vereinigung als Ausdruck, Besiegelung, Vertiefung und Vollendung dieser Liebe.

In diesem Zusammenhang steht der Abschnitt über die Fruchtbarkeit der Ehe. Es wird aber gleich — entgegen dem Wortlaut des ius canonicum — betont: „Ohne die übrigen Ziele der Ehe (also das personale Verhältnis, die Liebe, die Verbindung der Gatten untereinander) hintanzusetzen, sei zu sagen, daß die rechte Gestaltung der ehelichen Liebe und die ganze sich daraus ergebende Weise des Familienlebens dahin zielen, daß die Eheleute entschlossen bereit sind, mit der Liebe des Schöpfers und Erlösers mitzuwirken, der durch sie seine Familie von Tag zu Tag vergrößert und bereichert“ (Nr. 50).

Im zweiten Abschnitt wird nun von der verantwortlichen Elternschaft geredet. Es wird da nicht einer gedankenlosen Vermehrung der Kinderzahl geredet, sondern das Gegenteil wird gesagt. Die Eheleute müssen das verantworten, was sie tun, und sie müssen sogar überlegen, ob hier und jetzt in ihrer Ehe tatsächlich ein Kind entstehen soll oder nicht.

Zu den objektiven Maßstäben, nach denen sich die Eheleute ein Urteil bilden sollen, ob der Schöpfer hier und heute in dieser Ehe Kinder haben will oder nicht haben will, sagt das Konzil: „Die Ehegatten müssen achten auf ihr eigenes Wohl wie auf das Wohl ihrer Kinder, der schon geborenen oder noch zu erwartenden. Sie müssen auf die materiellen und geistigen Verhältnisse der Zeit und ihrer eigenen Lage ihre Aufmerksamkeit richten, und schließlich dem Wohl der Familiengemeinschaft, der weltlichen Gesellschaft und der Kirche Rechnung tragen“ (Nr. 50).

Das ist eine außerordentlich aufgeschlossene Sicht des ganzen Problems. Abgeschlossen wird dieser Abschnitt mit dem kategorischen Satz: „Dos Urteil darüber müssen die Eheleute im Angesicht Gottes letztlich fällen.“ Kein Papst und kein Bischof, kein Seelsorger und kein Arzt, kein Staat und keine Statistik können den Ehegatten dieses Urteil abnehmen. Das Urteil darüber liegt zu allerletzt beiden Eheleuten. Hier wird dem eigenen Gewissensurteil außerordentlich viel zugemutet, und zwar richtet sich das Urteil — ich darf das noch einmal wiederholen — nicht einfach nach der physiologischen Korrektheit des Aktes, sondern es hat ganz andere Maßstäbe, nämlich den vollmenschlichen Maßstab, die vollmenschliche Sicht, das Wohl der Eltern, das Wohl der Kinder, die Lebensbedingungen der Zeit, sogar das Wohl der profanen Gesellschaft und der Kirche!

Auf der subjektiven Seite stellt sich die Frage: Wie bildet man sich dieses Urteil. Das KonzÖisagt: „In ihrem ganzen Verhalten seien sich die christlichen Gatten bewußt, daß sie nicht nach eigener Willkür vorgehen können. Sie müssen sich vielmehr leiten lassen von einem Gewissen, das sich auszurichten hat am göttlichen Gesetz. Sie sollen gelehrig (dociles) gegenüber dem Lehramt der Kirche sein, das dieses göttliche Gesetz im Lichte des Evangeliums authentisch auslegt (Nr. 50).

Aber woher haben wir dieses göttliche Gesetz?

Das haben wir an sich aus dem Willen der Natur, aus den vernünftigen Überlegungen und Erwägungen. Für den Christen kommt das Hören auf das Lehramt der Kirche hinzu, das dieses göttliche Gesetz im Lichte des Evangeliums authentisch auslegt.

Und hier kommt nun der heikle und umstrittene Punkt in unserer heutigen Diskussion: Wie ist es mit der Methodenfrage? Welche Methoden sind erlaubt, welche Methoden sind nicht erlaubt? Das Evangelium, die Offenbarung sagt lin dieser Sache gar nichts. Deshalb erhebt sich die Frage, wie kommt die Kirche dazu, hier fixe Normen verbindlich aufzuerlegen?

In meinem Büchlein „Neue Aspekte der kirchlichen Ehelehre“ habe ich geschrieben, daß die Kirche in Fragen, wo es um das reine Naturrecht geht, wo die Kirche also nicht die Garantie der Offenbarung hat, sehr wohl Überlegungen anstellen kann und soll, daß sie aber hier eigentlich nicht im Gewissen binden kann und darf. Binden tut das göttliche Gesetz, soweit wir es erkennen. Die Kirche hat hier gar keine Möglichkeit, eine unfehlbare Aussage zu machen.

Darin liegt die große Verlegenheit der Klirche in der Frage. Wir wissen, daß der Papst eine eigene Geburtenkommission eingesetzt hat; und ich bin ganz froh um diese Geburtenkommission. Sie hat bereits klar herausgestellt, daß man aus dem Evangelium und überhaupt aus der Heiligen Schrift in der Methodenfrage nichts ausmachen kann.

Wir hörten, daß innerhalb der Kirche, in der Sicht der Ehe, sich der Akzent von der Zeugungsseite stärker auf die Seite der Liebe verlagert hat. Daher kommt es, daß die Theologen mehr und mehr zu einer neuen Auffassung in der Methodenfrage vordringen. Diese Auffassung ist noch nicht — ich will das deutlich aussprechen — offizielle Kirchenlehre. Sie ist der offiziellen Kirchenlehre bisher noch entgegen. Bevor die neue Auffassung einigermaßen abgeklärt ist, kann auch der Papst nicht eine Schwenkung um 90 Grad oder gar um 180 Grad vollziehen. Deshalb sagte der Papst: Gut, offiziell halten wir noch an der alten Lehre fest, hat aber damals vor zwei Jahren schon ausdrücklich hinzugefügt: „bis eventuell mein Gewissen mich zwingen würde, eine neue Formulierung, eine neue Formel aufzustellen“. Er will in der offiziellen Lehre der Kirche an der hergebrachten Auffassung festhalten, bis das Neue wirklich gesichert ist.

Es gibt aber einen Moralgrundsatz: „Eine Verpflichtung, die nicht sicher feststeht, bindet nicht.“ Und die alte Verpflichtung steht nun nicht mehr fest. Das ist das erste Ergebnis der Geburtenkommission. Ich habe aus zuverlässiger Quelle gehört, daß den 20 Theologen der Geburtenkommission die Frage vorgelegt wurde: „Ist die Lehre der Eheenzyklika Casti connubii wirklich definitiv und unabänderlich?“ Nur vier von den 20 Theologen antworten mit ja, 15 oder 16 antworteten mit nein. Eine definitive Lehre ist sie nicht, sie kann in Diskussion gezogen werden, sie ist also veränderlich. Für mich heißt dieses Votum der 15 oder 16 Theologen nicht nur: Diese Lehre von Casti connubii ist nicht nur veränderlich, sondern sie ist zu ändern. So sind wir in einem Ubergangszustand, der für uns vielleicht peinlich ist, und unserem Gewissen nicht diese absolute Sicherheit gewährt, wie wir sie früher zu haben glaubten oder hatten.

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