Das Erdöl bleibt unten, der Urwald oben

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Ecuador: Das erste Mal ist die Regierung eines großen ölproduzierenden Staates freiwillig zum Verzicht auf lukrative Ölbohrungen bereit – um den Kampf gegen den Klimawandel zu unterstützen.

Rosarote Delfine tollen in der Mitte des Flusses, kreischende Affen springen durch das Geäst. Ara-Pärchen und Papageienschwärme ziehen über den Himmel. Im ecuadorianischen Amazonasgebiet unmittelbar an der Grenze zu Peru zeigt sich der Regenwald von seiner faszinierendsten Seite. 80 Fledermaustypen, 188 verschiedene Amphibien und Reptilien sowie 567 Vogelarten haben Wissenschaftler im Yasuní-Nationalpark identifiziert. Auf einem Hektar gibt es fast so viele Baumarten wie in ganz Nordamerika. Es ist der traditionelle Lebensraum der Huaorani-Indianer, auch der Tagaeri und der Taromenane, zweier Urvölker, die Kontakt mit den Weißen meiden.

Für das Nichtfördern bezahlen

Seit zweieinhalb Jahren macht unter dem Stichwort „Dschungel statt Öl“ eine von Umweltgruppen entwickelte Idee Furore: Das im östlichen Teil des Nationalparks lagernde Erdöl soll im Boden bleiben. Es handelt sich dabei um knapp eine Milliarde Barrel (à 159 Liter) oder ein Fünftel der landesweiten Ölreserven. Im Gegenzug soll die internationale Gemeinschaft 20 Jahre lang die Hälfte der vermuteten Einkünfte aufbringen, 350 Millionen Dollar im Jahr.

Im Juni 2007 erklärte Ecuadors linker Präsident Rafael Correa die Yasuní-ITT-Initiative – bennant nach dem Namen der Region – zum Regierungsprojekt. Für den renommierten US-Ökologen Thomas Lovejoy zielt sie auf die zwei größten Ursachen des Klimawandels, die fossilen Brennstoffe und die Urwaldzerstörung: „Es ist fantasievoll und ermutigend, dass es eine Regierung gibt, die daran denkt, dass man auf Ölförderung verzichten könnte.“ Die Regierung kalkuliert mit 410 Millionen Tonnen vermiedenen CO2-Emissionen.

Doch was halten die Menschen in der Amazonasregion selbst von der Yasuní-ITT-Initiative? Eine Bootsfahrt auf dem Amazonas-Nebenfluss Napo gibt Aufschluss. Von Coca, der Hauptstadt der Urwaldprovinz Orellana, geht es rund 250 Kilometer flussabwärts nach Osten bis Nuevo Rocafuerte kurz vor der peruanischen Grenze. Auf dem Napo, der an den engsten Stellen einen halben Kilometer breit ist, kreuzen Fähren. Sie bringen Lastwagen, Kräne und Betonröhren in die Fördergebiete zu beiden Seiten des Ufers. Nach anderthalb Stunden Fahrt liegt am Nordufer Itaya, die Hafenanlage zum Block 15. Seit 2008 wird das Fördergebiet von Petroamazonas gemanagt, einer ecuadorianischen Aktiengesellschaft mit ausschließlich öffentlichem Kapital.

Unmittelbar daneben leben 120 Kichwa-Indianer vom Kakao-, Kaffee- und Maisanbau. „Hier verseuchen 18 Bohrlöcher das Wasser“, sagt Daniel Tangüela im schmucklosen Gemeinschaftsraum des Dorfes Providencia. „Fische gibt es kaum noch und der Lärm vertreibt die wilden Tiere.“ Dennoch trauert er dem US-Multi Occidental Petroleum (Oxy) nach: „Die haben uns wenigstens als Bootsfahrer verpflichtet, die Verträge eingehalten, unsere Schule unterstützt.“

Fluss mit dicker Ölschicht bedeckt

Gedämpft ist auch die Stimmung auf der Gemeindeversammlung in Pañacocha, eine weitere Stunde flussabwärts. „Petroamazonas kauft uns nicht einmal unser Obst und Gemüse ab“, sagt Dorfvorsteher Nelson Rivadeneira, „alles lassen sie von außen herbringen.“ Heute sei die Umweltverschmutzung nicht mehr so offensichtlich wie in den achtziger Jahren, als Texaco am Oberlauf des Napo und seinen Nebenflüssen wütete: „Damals war der ganze Fluss mit einer schwarzen, fünf Zentimeter dicken Ölschicht bedeckt. Viele sind an Krebs gestorben.“

„Die Ölfirmen haben uns gespalten“, berichtet der Endvierziger. „Nie reden sie mit allen, sie greifen sich einzelne Leute oder Gruppen heraus und machen Versprechungen. Den Reichtum schaffen sie weg, die Armut bleibt.“ Lebensweise und Kultur der Kichwa und der mestizischen Siedler, die sich vor Jahrzehnten am Ufer des Napo niederließen, hätten sich radikal gewandelt, bedauert Rivadeneira. „Früher wussten wir nicht, was Zeit ist, heute geht alles nach der Uhr. Kleidung, Ess- und Trinkgewohnheiten, Sprache, alles ist heute anders. Unsere Kinder schämen sich, Kichwa zu sprechen.“

Das Prinzip des „guten Lebens“ (auf Kichwa: „Sumak Kawsay“), das Ecuadors neue Verfassung prägt, ist für ihn sehr konkret: „Gesundheit, gutes Essen, Ruhe, das müssen wir zurückgewinnen.“ Auch deswegen begrüßt er die Yasuní-ITT-Initiative, allerdings fragt er: „Was haben wir davon? Wir brauchen mehr Know-How für die Verarbeitung unseres Kakaos oder der Hühner – und Märkte. Und dann müssen die Mittel gerecht und transparent verwaltet werden.“

Selbst in den Gemeinschaften, die direkt an den noch unberührten Teil des Nationalparks angrenzen, kennt man das Projekt nur vom Hörensagen. „Einmal ist der Präsident mit dem Hubschrauber hereingeschwebt“, berichtet Franklin Cox, der Bürgermeister von Aguarico, in seinem Büro. „Unser Haushalt kommt komplett aus den Steuern der Ölfirmen“, sagt er, „doch immer mehr davon bleibt in der Hauptstadt Quito.“

50 Millionen aus Deutschland

„Natürlich bin ich dafür, das Öl im Boden zu lassen – wenn wir einen Teil des Geldes für echte lokale Entwicklung bekommen“, betont er, „der Yasuní könnte eine wunderbare Touristenattraktion werden.“ Schon jetzt träumt Cox von Trinkwassersystemen – aber auch von einem Flugplatz. „Das Hauptproblem ist allerdings: Kaum jemand kennt das Projekt.“

Im Juni hatte die deutsche Regierung Ecuador 50 Millionen Dollar jährlich in Aussicht gestellt, doch nur, wenn andere europäische Länder mitziehen. Die Mittel sollen in einen bei der UNO angesiedelten Treuhandfonds eingezahlt werden. Mit den Zinsen will Quito den Erhalt von Naturschutzgebieten, Wiederaufforstungsprogramme, den Ausbau erneuerbarer Energien, Energiesparprogramme und Sozialprojekte finanzieren. In der Provinzhauptstadt Coca sagt Bürgermeisterin Ana Rivas: „Das reicht nicht. Die Behörden vor Ort müssen mitreden dürfen, ebenso die betroffenen Gemeinschaften, die Huaorani, die Kichwas, die Mestizen.“

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