Das errungene Land

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Heute noch ist die Staatsgründung Israels ein Meilenstein. Auch für Christen. Und für Österreicher.

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Heute noch ist die Staatsgründung Israels ein Meilenstein. Auch für Christen. Und für Österreicher.

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Wenn ich dich je vergesse, Jerusalem, dann soll mir die rechte Hand verdorren. Die Zunge soll mir am Gaumen kleben, wenn ich an dich nicht mehr denke ..." Biblische Lieder wie der hier zitierte 137. Psalm haben die Erinnerung der Juden wach gehalten - an ein Land, aus dem sie in alle Richtungen zerstreut worden waren. Fünfeinhalb Millionen sind seit Beginn des Jahrhunderts in ihr Land zurückgekehrt, haben einen Staat aufgebaut, der seinesgleichen in Welt und Geschichte sucht. Grund für die Bevölkerung des jungen Landes alter Sehnsucht, aber auch für die Juden auf der Welt, zu feiern: 50 Jahre alt wurde Israel, der Staat.

Doch die Festbilder aus Nahost zeigten sich überschattet: * von der Terrorangst in Israel, * von der Aussperrung der Bewohner des Westjordanlandes und des Gazastreifens, * von der enttäuschten Friedenshoffnung im (Heiligen) Land, * von der Zerrissenheit der Gesellschaft in Israel selbst.

Was blieb da zum Feiern?

Kurt Schubert, Doyen der Judaistik und des christlich-jüdischen Gesprächs, war einer der ersten Österreicher, die bereits 1947 in den damals gerade entstehenden Staat reisten und erste Kontakte von hüben nach drüben knüpften. Schubert erinnert sich an die Definition des ersten Ministerpräsidenten Israels, David Ben Gurion: Israel sei der "Anfang des Aufsprossens der Strahlen der Erlösung". Nicht das messianische Zeitalter sei angebrochen, interpretiert Schubert den Staatsgründer, aber "das Konto auf den Messias" sei mit der Staatsgründung Israels eröffnet worden.

Derartige Sicht scheint aller Wirrnis und Zerrissenheit zum Trotz das Argument zu liefern, 50 Jahre Israel zu feiern und zur Gratulation zu schreiten: denn zum ersten Mal seit Jahrhunderten werden den Juden Perspektive und gesellschaftliche Wirklichkeit geboten - nicht nur im eigentlichen Staat: Israel bildet für die Juden der Welt gemeinschaftliche Identität.

Israel, das wiedererrungene Land der Juden, hat aber auch für Nichtjuden besondere Wichtigkeit. Für Christen. Und für Österreicher.

* Für Christen bedeutet das Land Israel auch einen Meilenstein in seiner Beziehung zum Judentum. Schon vor eineinhalb Jahren hat Erzbischof Christoph Schönborn beim Theodor-Herzl-Symposion in Wien dies eindrücklich und klar bekannt: Die Gründung des Staates Israel habe mit der biblischen Landverheißung zu tun. "Die zionistische Bewegung konnte nicht ohne Auswirkung auf das theologische Nachdenken über die Bedeutung der biblischen Landverheißung für die Christen bleiben", so Schönborn.

Judaist Schubert setzt sich schon ein Leben lang für derartige Ökumene zwischen Christen und Juden ein: beispielsweise gebe es den beiden Religionen gemeinsamen Satz (der auch im christlichen Vaterunser enthalten ist): "Dein Reich komme". Für die Juden, meint Schubert, sei die Realität des heutigen Israel ein "Vorschuß" auf dieses Reich.

Freilich kann der Staatsgründung Israels nicht gedacht werden, ohne den Antijudaismus, und hierbei gerade denjenigen christlicher Prägung, zu benennen: Israel ist für die Welt wie für die Christen ein Zeichen dafür, daß es eine Fluchtmöglichkeit gibt, die noch der Großvätergeneration heutiger Juden weitgehend verwehrt war.

Es sei das Verdienst des derzeitigen Papstes, so Kurt Schubert, daß die römische Kirche begonnen habe, Israel nicht nur als "vormessianischen" Staat zu begreifen, sondern als vom jüdischen Volk beanspruchten Ort, wo es - nach den Vertreibungen und nach der Schoa, der Judenvernichtung im Dritten Reich - zur Ruhe kommen könne. Es war Johannes Paul II. (selbst ein Miterleber der Schoa in Polen), der im Dezember 1993 die diplomatischen Beziehungen mit Israel aufnahm. Kein Zufall ist für Schubert in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß der erste Nuntius der römischen Kirche in Israel der Sohn eines italienischen Naziopfers war.

* Auch für den österreichischen Blick auf Israel spielt der Antisemitismus eine große Rolle. Der Staat Israel sei, so Judaist Schubert, die beste Waffe gegen den Antisemitismus: Ein Land, in dem Juden ebenso Bauern wie Generäle, Arbeiter wie Intellektuelle sind, wo - trotz aller für österreichische Augen "abnormalen" religiösen Dinge - die Normalität des Zusammenlebens herrscht, sei dem Antisemitismus nicht förderlich, der ja von bestimmten jüdischen Klischees geprägt ist.

In der "50 Jahre Israel" gewidmeten Ausgabe von "Schalom", der Zeitschrift der Österreichisch-Israelischen Gesellschaft, äußert sich der Politologe Anton Pelinka skeptischer: Der latente Antisemitismus sei nicht untergegangen. Außerdem ortet Pelinka einen "Philosemitismus", der zur Falle zu werden drohe: Aus Betroffenheit würden positive Erwartungen auf Israel projiziert, sodaß, so Pelinka, "Israel anderen, viel strengeren Beurteilungskriterien unterstellt wird als andere Staaten". Pelinka führt dazu Menschenrechtsverletzungen und Besatzungspolitik an, gegen die im Falle Israels viel schneller protestiert werde als etwa im Falle Syriens, Saudiarabiens oder Chinas.

Pelinka plädiert für die Normalisierung der Beziehungen zwischen Österreich und Israel. Normalisierung bedeute auch, daß man kritisch kommentieren dürfe, was in Israel geschehe. Pelinka: "Eine neue Generation Österreicherinnen und Österreicher könnte eine Art nüchterne Solidarität mit dem Judenstaat entwickeln."

Judaist Schubert antwortet auf die Frage, ob man als Österreicher Israel kritisieren dürfe, jeder habe das Recht auf eine Meinung: "Aber die Juden haben auch das Recht zu sagen: Leute, deren Vorgeschichte so weit in den Antisemitismus reicht, sollen besser schweigen."

Die Konflikte in und um Israel sind nicht zu beschönigen. Aber daß sich zur Erinnerung an ein verheißenes Land die Gegenwart einer jüdischen Heimat gesellte, birgt doch einen Zukunftskeim in sich.

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