Das ferne Brüssel nahe bringen

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Langsam kommt er auf Touren, der EU-Wahlkampf. Höchste Zeit, denn in zweieinhalb Wochen wird abgestimmt. Und das Interesse ist nicht überwältigend, wenn man den letzten Umfragen glaubt...

Laut Eurobarometer, dem Statistischen Amt der Gemeinschaft, hat nur jeder dritte EU-Bürger fix die Absicht, zur Wahl zu gehen. In Österreich ist die Begeisterung besonders schwach: Nur matte 23 Prozent waren fest entschlossen, den 13. Juni nicht auszulassen. Will man also heuer wenigstens die magere Beteiligung des Jahres 1999 - damals betrug die Wahlbeteiligung 49 Prozent - erreichen, bedarf es noch einiger Mobilisierungsarbeit.

Was aber soll der Bürger wählen? Die Slogans auf den Plakaten machen es ihm nicht gerade leicht: "Österreich stark vertreten" (ÖVP) und "Österreich muss wieder gehört werden" (SPÖ) sind nicht wirklich Knüller. Mit den Themen Arbeitslosigkeit, Umwelt, Wasser berührt man schon eher Anliegen des Wählers. Aber durchschaut dieser, wie und ob solche Anliegen in Brüssel umgesetzt werden? Ist die EU nicht viel zu weit weg vom Normalverbraucher, um ihm den Eindruck zu vermitteln, er könne im fernen Brüssel irgendetwas bewegen?

Mit ihrer offensichtlich großen Distanz zum Bürger beschäftigt sich die Gemeinschaft erst seit 2001. Damals hatten die Iren im Rahmen einer Volksabstimmung die Ratifizierung des Nizza-Vertrags abgelehnt. Der Schock, den das Ereignis in Brüssel auslöste, führte zur Ausarbeitung des Weißbuches "Europäisches Regieren", in dem es um "Governance", die bessere Einbeziehung des Bürgers in die EU-Entscheidungsprozesse geht.

Nicht verliebt in den Markt

Der Abfassung des Papiers war eine Umfrage unter 25.000 Europäern in den Mitglieds- und Beitrittsländern vorausgegangen. Sie machte deutlich, dass die Bürger sich durch zu rasche Veränderungen verunsichert fühlten. Beklagt wurde weiters ein spürbarer Werteverlust und das Gefühl, das soziale Gefüge gehe verloren, weil der Wirtschaftsliberalismus übertrieben werde. Das Bewusstsein der ökonomischen Verbesserung trat in den meisten Ländern (mit Ausnahme der südeuropäischen) im Vergleich dazu in den Hintergrund. "Wir halten fest, dass die Bürger Europas so gut wie kein Bewusstsein davon haben, dass sie als Verbraucher vom Konkurrenzsystem profitieren," liest man im Bericht an die EU-Kommission.

"Man verliebt sich nicht in einen Binnenmarkt ohne Grenzen", hatte der ehemalige Kommissionspräsident Jacques Delors treffend formuliert.

Es folgte eine Gewissenserforschung: Politiken und Rechtsvorschriften der Union seien zu kompliziert und mit unnötigen Details überfrachtet, der Gesetzgebungsprozess zu langsam, die Durchführung schleppend. Nur ein Bruchteil der Richtlinien werde entsprechend umgesetzt, was dem Image der Gemeinschaft schade.

Was kann die EU-Zentrale aber unternehmen, um näher an den Bürger zu rücken? Wie könnte eine EU-Governance-Reform aussehen? Fünf Prinzipien sollten besonders zur Geltung kommen: Offenheit, Partizipation, Verantwortlichkeit, Effektivität und Kohärenz. Die Einbeziehung möglichst vieler in Entscheidungprozesse wollte man besonders forcieren.

Demokratische Pluspunkte

Die Kommission sollte "einen systematischen Dialog mit den europäischen und nationalen Verbänden der Regional- und Kommunalbehörden organisieren." Den Personalaustausch zwischen verschiedenen Ebenen wollte man pflegen, eine gemeinsame Ausbildung fördern und die Zivilgesellschaft (Verbände, Religionsgemeinschaften, Gewerkschaften) einbinden. Außerdem wollte die Kommission jeweils sorgfältig prüfen, ob die EU überhaupt tätig werden muss und "ob ein Regelungsbedarf besteht". Jedenfalls sollte man stets die Rechtsnorm wählen, die den Ländern den größtmöglichen Spielraum lässt. Das heißt: Rahmenrichtlinien haben den Vorzug vor Verordnungen.

Im Verfassungsentwurf fanden sich einige dieser Anliegen wieder. Hans Kronberger, FP-Spitzenkandidat für die EU-Wahl, zählt in seinem eben veröffentlichten, durchaus EU-kritischen Buch ("Brüssel frontal", Uranus-Verlag) solche "demokratischen Pluspunkte" auf. Sie können als Verwirklichung des Governance-Prinzips angesehen werden: öffentliche Tagungen des Ministerrats, mehr Kompetenzen für das EU-Parlament, ein europäisches Bürgerbegehren (bei einer Million Unterschriften), mehr Einbindung der nationalen Parlamente.

Spricht man den ÖVP-EU-Abgeordneter Reinhard Rack auf die Entwicklung seit 2001 an, so hebt er weitere Verbesserungen hervor: "Neben den schon für die Kommission bindenden Grundrechten gibt es vor allem eine viel bessere Zusammenarbeit in den Bereichen Inneres und Justiz, also bei der Verbrechensbekämpfung und der Erleichterung grenzüberschreitender ziviler Kontakte wie etwa das Heiraten."

Nur - wer weiß schon von diesen Errungenschaften? Befragungen lassen erkennen, dass die EU-Bürger über die Institutionen der Union und deren Zuammenwirken, besonders in den großen Mitgliedsstaaten, nicht gut informiert sind. Die Österreicher allerdings schneiden, was dieses Wissen anbelangt, im internationalen Vergleich relativ gut ab. Auch Rack sieht das so. Das Interesse an einschlägigen Veranstaltungen sei sehr hoch. "Aus den Fragen schließe ich, dass die Leute gar nicht so schlecht Bescheid wissen." Und wenn es Wissenslücken über das Funktionieren der EU gäbe, so müsse man das relativieren: "Da wage ich die These, dass über das Funktionieren des österreichischen Bundesstaates das Wissen nicht rasend besser ist."

Woher dann aber das mangelnde Interesse an der EU-Wahl? Rack: "Wir haben das Problem, dass 80 Prozent der Medien sagen, Europa sei weit weg, und 80 Prozent der Politiker, Europa sei sehr weit weg. Dann meinen die Leute eben, Gemeinderats- oder Nationalratswahlen seien viel wichtiger."

Daher sei sehr viel Arbeit notwendig, auch in Österreich, betont SP-Spitzenkandidat Hannes Swoboda. Derzeit nähme die Kluft zwischen Brüssel und dem Bürger zu, lautet seine Diagnose. Die Gründe lägen auf der Hand: falscher Kurs in Umweltfragen, gefährdete soziale Sicherheit, wachsende Arbeitslosigkeit seien nicht geeignet, Vertrauen zu stärken. Es bestehe ein Grundgefühl, dass Fragen der Sicherheit und der Beschäftigung in Brüssel nicht angemessen behandelt würden.

Unwissende Bürgermeister

Befragt danach, was ein EU-Abgeordneter zur Verringerung der Kluft beitragen könne, meint Swoboda: "Es ist sehr schwierig, das Engagement in Brüssel mit einer intensiven Betreuung des Wählers unter einen Hut zu bringen. Daher sehe ich den Schwerpunkt in der Beziehung mit den inländischen Instanzen, Bürgermeistern und Abgeordneten. Auch sie wissen viel zu wenig, was in Brüssel geschieht." Der Schwerpunkt von Kronbergers Bemühungen hingegen liegt bei Bürgerkontakten: "Ich verbringe viel Zeit, bei Solarstammtischen oder Gruppen, die sich mit Umweltfragen auseinandersetzen, zu erklären, wie die Dinge in der EU laufen." Da müsse man offen über Vor-, aber auch Nachteile sprechen.

Einig sind sich die Befragten, dass man die Bevölkerung bei wichtigen Entscheidungen einbeziehen müsse, damit die EU nicht als volksfernes Konstrukt von Experten und Technokraten erscheine. Die beste Gelegenheit, mehr Identifikation mit der EU zu schaffen, sei eine Abstimmung über die EU-Verfassung. Ob Brüssel dazu die Courage aufbringen wird?

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