Das Foyer der Kirchen

19451960198020002020

Zwischen Tradition und Esoterik bewegen sich katholische wie evangelische Erwachsenenbildungsinstitutionen. Sie wollen nicht nur religiöse Kernschichten erreichen.

19451960198020002020

Zwischen Tradition und Esoterik bewegen sich katholische wie evangelische Erwachsenenbildungsinstitutionen. Sie wollen nicht nur religiöse Kernschichten erreichen.

Werbung
Werbung
Werbung

Helle, lichtdurchflutete Seminarräume und Vortragssäle, in den Gängen moderne Plastiken und Bilder. Schon auf den ersten Blick präsentiert sich das Salzburger Bildungshaus St. Virgil weltoffen. Offen möchte man hier auch im Hinblick auf die Programmgestaltung sein, denn schließlich wolle man die gesamte Bevölkerung der Diözese ansprechen, erklärt der Direktor des Bildungshauses St. Virgil, Peter Braun. Ein Konzept, das offenbar aufgeht, denn neben dem kirchlich ohnehin engagierten Publikum, kommen auch viele, die der Kirche distanziert gegenüber stehen oder gar keinen Kontakt zu ihr haben, so Braun. Im Vorjahr haben rund 40.000 Menschen die Veranstaltungen des Bildungshauses besucht.

Daß sich katholische Bildungsarbeit nicht nur an die katholischen Kernschichten wendet, das bestätigt auch Ursula Struppe, Vorsitzende des Forums Katholischer Erwachsenenbildung, dem 67 Erwachsenenbildungseinrichtungen angehören: 13 katholische Bildungshäuser und Bildungswerke ebenso wie Einrichtungen der Katholischen Frauenbewegung, Theologische Fernkurse und die Katholische Sozialakademie. Die Frage sei vielmehr, welchen Beitrag die Kirche leisten könne, damit das menschliche Leben in den vielen Dimensionen gelingen könne, meint Struppe. Dabei sei es wichtig, daß in den katholischen Bildungsveranstaltungen Themen wie Kommunikation, Konflikte, Ausländer und Antisemitismus angesprochen werden. "Wo kann Kirche von ihrem spezifischen Menschenbild her einen Beitrag leisten zu mehr Toleranz, mehr Verständnis und mehr Solidarität unter den Menschen?", fragt Ursula Struppe.

Luxus Wertorientierung Den "Luxus einer wertorientierten Bildungsarbeit" leistet man sich auch in der evangelischen Kirche, erklärt Albert Brandstätter, Leiter der Evangelischen Akademie Wien. Die Evangelische Akademie ist nicht nur ein Bildungszentrum, sondern koordiniert auch die österreichweite Bildungsarbeit der evangelischen Kirche. "Wir machen nicht alles, was auf dem freien Bildungsmarkt möglich wäre, sondern wir haben bestimmte Grundeinstellungen", so Brandstätter. Wichtig sei ihm dabei vor allem Bildung hin zur Freiheit. "Evangelisch sein verstehen wir auch als Auftrag, ohne uns deshalb konfessionell zu sehr eingrenzen zu lassen." So versucht die Evangelische Akademie einerseits Themen aus dem evangelisch-theologischen Bereich in die säkulare Gesellschaft hineinzuvermitteln. Umgekehrt aber versucht sie auch Themen aus dem gesellschaftlichen Bereich, etwa die heutige Erlebnisgesellschaft oder modernes Freizeitverhalten, in die evangelische Kirche hineinzutransportieren.

Esoterisch vs. seriös?

Oft stehen die konfessionellen Bildungseinrichtungen dabei auch vor der Frage: Bleiben wir bei unseren traditionellen Themengebieten oder bieten wir auch publikumswirksame Veranstaltungen, etwa aus dem Bereich der Esoterik, an?

Doch der Bereich der Esoterik ist ein weites Feld: Es reicht von alternativer Medizin bis hin zu abstrusen Gurubewegungen. Aber Religion sei generell im Trend, so Ursula Struppe. Viele Menschen seien auf der Suche, wenngleich man feststellen müsse, daß sich diese in den wenigsten Bereichen innerhalb der etablierten Religionen und Kirchen ereigne. "Es ist legitim für kirchliche Einrichtungen, diese Suchbewegungen aufzugreifen." Auf der anderen Seite sei eine gewissenhafte Unterscheidung natürlich notwendig. "Das ist ein schwieriges Feld, wo ich schon den Eindruck habe, daß die meisten Kollegen und Kolleginnen durchaus verantwortungsbewußt unterwegs sind", findet Struppe: "Aber wenn man den Mut hat, sich auch in Grauzonen hineinzubewegen, den Versuch macht zu unterscheiden, dann kann es natürlich vorkommen, daß man da oder dort entweder zu ängstlich ist, zu abschottend katholisch, oder es auf der anderen Seite auch passiert, daß irgend etwas stattfindet, das man rückblickend nicht gutheißt." Doch wenn man sich "chemisch rein" abschotte, könne man den heutigen Anforderungen an Erwachsenenbildung nicht gerecht werden. "Die Angst davor, Fehler zu machen ist katastrophal, weil man damit überhaupt keinen Fuß mehr vor den anderen setzt", so Struppe.

Was am Beginn oft recht esoterisch klingt, erweist sich in manchen Fällen auch als durchaus seriöse Veranstaltung, weiß auch Roland Hutyra, Geschäftsführer des Forums Katholischer Erwachsenenbildung. So hat er vor einiger Zeit im steirischen Bildungshaus Maria Trost eine Veranstaltung zum Thema "Heilen" miterlebt. Natürlich kämen sehr viele esoterisch interessierte Menschen zu solchen Veranstaltungen, gibt Hutyra zu, "aber sie kommen dort auch in Kontakt mit Theologen. Es passiert eine theologische, eine gesellschaftliche Reflexion darüber. Ich denke, das ist die Zentralfunktion katholischer Erwachsenenbildung: Wir sind das Foyer der Kirche."

Kritik, kompromißlos Auf evangelischer Seite ist man in diesem Bereich der Esoterik zurückhaltender. "Da leisten wir uns einfach den Luxus eines kritischen Programms, das in dem Punkt relativ wenig Kompromisse macht", meint Albert Brandstätter von der Evangelischen Akademie Wien. Allerdings will man in den nächsten Semestern eine Serie anbieten, bei der auch nach Defiziten der evangelischen Spiritualität gefragt werden soll. "Es scheint uns einfach nicht richtig zu sein, den Leuten einfach irgend etwas anzubieten, sei es Feng-Shui oder etwas Ähnliches, ohne das vorher für uns sehr seriös abgeklärt zu haben", erklärt Brandstätter.

Einig sind sich katholische und evangelische Erwachsenenbildner darüber, daß man rein aus finanziellen Erwägungen, nur um das Haus vollzubekommen, keine Veranstaltung anbieten würde, hinter der man nicht inhaltlich stehen könne. Dabei sind die Finanzen kein unerheblicher Punkt in der Bildungsarbeit: Die Erwachsenenbildung ist äußerst personalintensiv. Und während hier Kosten stetig wachsen, überlegen die Kirchen, wo gespart werden kann. In vielen Diözesen fasse man dabei zuerst den Bereich der Erwachsenenbildung ins Auge, bedauert Roland Hutyra.

Davon kann auch Albert Brandstätter ein Lied singen: Vor allem in den Bundesländern seien die evangelischen Bildungseinrichtungen "sehr schlecht dotiert". Ohne die vielen ehrenamtlichen Mitarbeiter wäre eine österreichweite konfessionelle Bildungsarbeit nicht zu leisten.

Bildung, flächendeckend Katholische Bildungseinrichtungen gibt es in etwa 70 Prozent der Gemeinden in Österreich. "Das heißt, auch im letzten Dorf gibt es irgendwo ein Katholisches Bildungswerk oder die Katholische Frauenbewegung", erklärt Roland Hutyra. "Das heißt, wir kommen an Orte, wo eigentlich keine andere Bildungseinrichtung hinkommt." Im Vorjahr wurden über 47.000 Veranstaltungen für insgesamt 1,3 Millionen Teilnehmer angeboten. Diese Zahlen entsprechen in etwa denen der säkularen Volkshochschulen.

Auch in der evangelischen Kirche hat die Bildungsarbeit eine lange Tradition. Das Konzept eines mündigen Christen, einer mündigen Christin in der Gesellschaft sei von Anfang an mit der Reformation untrennbar verbunden, erklärt Albert Brandstätter. "Wenn man die Bibel lesen wollte, was für uns Evangelische unabdingbar ist, war es vor allem einmal notwendig, die Leute zu alphabetisieren." Bildung sei auch nötig, "um Leute zu befähigen in ihrer Lebenswelt als mündige Bürger zu leben, um eine zunehmend komplexe und unverständliche Welt verstehen zu können und gemeinsam Orientierung und Handlungsmöglichkeiten zu suchen."

Genau hier wollen die konfessionellen Erwachsenenbildungseinrichtungen ansetzen. Während man im säkularen Bildungsmarkt bisweilen den Eindruck bekomme, es ginge nur darum, die Menschen fit für den Arbeitsmarkt zu machen, fühlen sich konfessionelle Bildungseinrichtungen auch für umfassendere gesellschaftliche Probleme zuständig.

Zwar ist die Konkurrenz gerade in der Bundeshauptstadt Wien recht groß, doch insgesamt "ist der Bildungsbedarf noch immer größer als das, was wir wirklich abdecken können", meint Ursula Struppe. Auch über mangelnde Teilnehmer kann man sich nicht beklagen, die Zahl ist in den letzten Jahren relativ konstant geblieben. Nur die Art der Veranstaltungen ändere sich: weg von kurzen Großveranstaltungen, hin zu längeren Seminaren in Kleingruppen. Also: von der Quantität zur Qualität.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung