6732760-1966_06_08.jpg
Digital In Arbeit

Das „geheime Konzil”

Werbung
Werbung
Werbung

Prof. Skydsgaard ist Professor für systematische Theologie an der Universität Kopenhagen und vertrat an allen vier Konzilssessionen den Lutherischen Weltbund. Der folgende Beitrag, den wir der „Orientierung”, Zürich, entnehmen, drückt ein innerstes Anliegen Skydsgaards aus und bezeugt die tiefe Solidarität, die er für das Weiterwirken des Konzils empfindet.

Das Konzil ist abgeschlossen und zugleich noch in voller Entwicklung. Denn es ist in die Geschichte eingetreten, in das Drama der mensch lichen Existenz, an der auch die christliche Kirche teilhat. Die Geschichte ist für uns eine unberechenbare Unbekannte. In der Geschichte gibt sich das Konzil die Erklärung seiner selbst. Nach dem Abschluß des Konzils sind wir Christen (Katholiken, Orthodoxe, Reformierte) verantwortlich für das Ergebnis dieser drei Jahre. Jeder Gedanke, jedes Urteil und jede Kritik und auch die unscheinbare Tat haben eine historische Bedeutung. Wir Menschen, Christen und Sünder, machen die Geschichte.

Kein wirkliches Konzil?

Obwohl sich das Konzil als „Pasto- ralkonzil” , verstanden hat, eignet ihm eine dogmatische, lehrhafte Absicht. Sonst wäre es kein wirkliches Konzil. Es ist aber nicht leicht, das Lehrhafte dieses. Konzils genau zu bestimmen. Wenn ich mich nicht täusche, ist der einzige Punkt, wo man von einem Dogma sprechen kann, obwohl es sich nicht um eine eigentliche Definition handelt, die neue Auffassung über das Bischofsamt: die Sakramentalität der Bischofsweihe und die Kollegialität der Bischöfe.

Die dogmatische Zielrichtung dieses Konzils kann nicht durch eine einzige Linie beschrieben werden. Denn das ist das Große an diesem Konzil, daß mehrere Linien konvergierten. Es gab keine „monolithische Einheit”, keine Einbahnstraße. Es waren Augenblicke da, wo das Konzil erschüttert wurde. Ich glaube, das waren die fruchtbarsten.

Man könnte auch von einer „ökumenischen Zielsetzung” des Konzils sprechen. Was heißt das? Eine Öffnung zum „anderen” hin, zu dem, der nicht zum „inneren Kreis” gehört; zu dem, der in einer anderen „Hürde” lebt. Er war in diesem Konzil nicht mehr ein Fremder, ein „Objekt”, ein Verlorener und Verirrter, sondern ein Bruder, selbst wenn er ein getrennter Bruder war.

Wir sind unterwegs in einer Richtung, und zwar alle miteinander. Das Ziel dieses Weges kennen wir nicht. Wir wissen aber, daß wir aufgerufen sind, zusammen auf das Ziel hinzugehen. Auf diesem Weg können wir nicht aufeinander verzichten. Wirklich nicht! Das ist ökumenismus. Wir können nicht existieren ohne den anderen, unsern Bruder, unsern Nächsten, den Gott uns gegeben hat. Mochte es noch so verschiedene Auffassungen über den ökumenismus geben — sehen wir davon ab —, Tatsache ist: das Konzil war ein „ökumenisches Ereignis”. Den Geist der Öffnung haben die Beobachter auf eine ergreifende und vielversprechende, aber manchmal auch beruhigende Art gefühlt. Etwas Neues ist zutage getreten, ein Licht, eine Morgendämmerung. Wir müssen uns darüber freuen. Unsere gemeinsame Aufgabe wird sein, diese neue Geisteshaltung zu stärken, zu reinigen und zu vertiefen. Das wird eine schwere Arbeit sein: Wir müssen uns zusaimmentun, wir müssen Geduld haben miteinander, wenn die Begeisterung erlahmt. Der Weg kann mühsam sein, sogar trostlos, und trotzdem müssen wir weitergehen— zusammen. Auf diesem Weg werden für uns alle große Hindernisse auftauchen.

Alle Kirchen, das ganze Christentum und jeder einzelne von uns, wir sind in einer herausfordernden und mühsamen Lage. Da nähern wir uns vielleicht der tiefsten und zugleich verborgensten Dimension des Konzils. Ich will versuchen, dies zu erklären, wenn auch — wie es nicht anders möglich ist — auf lapidare Art. Wahrscheinlich stehen unsere Kirchen vor einer Zeit, in der alle eine große Verdemütigung auf sich nehmen müssen, die jeden noch so verborgenen „Triumphalismus” ganz gewiß ausschließen wird. Das Konzil, wie es sich sichtbar äußerte, hat das möglicherweise nicht ganz verstanden. Das „geheime Konzil” — wenn ich mich so ausdrücken darf — hat es aber begriffen. Dieses verborgene Konzil ist das wahre Konzil.

Ich möchte diesen ungewohnten Begriff „verborgenes Konzil” ein wenig verdeutlichen: Etwas Drän gendes, fast Ungeduldiges war in diesem Konzil (man denkt an Bergsons „ėlan vital”), etwas wie ein Schrei, der vielleicht nur von wenigen vernommen wurde. Etwas Unartikuliertes, Unformuliertes und Sich-selbst-nicht-Verstehendes. Wie sollen wir diesen inneren Drang erklären? Ich will es versuchen.

Wie kann man heute ein echter Jünger Christi sein?

Wie kann man heute eine wahre Kirche sein?

Wie kann man seinen Glauben leben?

Wenn in diesen Fragen die Zielrichtung des Konzils deutlich wird, dann ist es unser aller Konzil.

Die Welt von heute? Es ist die Welt, die unseres Christentums und unserer „frommen Worte” müde ist, ja die ohne unseren Gott auskommt! An Worten hat es am Konzil nicht gefehlt. Es waren ihrer im Gegenteil zu viele. Ein Lutheraner — das möge man mir glauben — weiß das aus eigener Erfahrung. Der Religionslehrer in einem Gymnasium weiß es; der Pfarrer und der Priester, die auf die Kanzel steigen, um zu predigen, wissen es. Jeden Sonntag haben sie in ihren Kirchen Leute, die am liebsten sagen würden: Ich verstehe dich nicht! Ich kann nicht mehr glauben!

Heute können wir uns nicht mehr in der Masse derer verstecken, die glauben oder die meinen — vielleicht nur sagen —, daß sie glauben. Der „Atheismus” ist nicht etwas, das man einfach „verdammen” kann. Er ist unser „Nächster” geworden. Er ist da unter den verschiedensten Formen. Er ist unser Feind oder vielleicht besser unser geheimer Freund, von Gott selbst geschickt. Er stellt uns schwierige Fragen, auf die uns eine Antwort nicht leicbtfällt und vor denen wir uns verkrampfen. Unsere Kirchen müssen um diese Situation wissen und sie ernst nehmen, zumal sie, das heißt wir Gläubige, daran nicht schuldlos sind. Ich erinnere mich mit Ergriffenheit an einen Redner in der Konzilsaula, der eindeutig und klar von der Verantwortung der Kirche in dieser Hinsicht sprach.

Der Zielrichtung auf der Spur

Wenn das alles stimmt, sind wir der tiefsten Zielrichtung des Konzils auf die Spur gekommen: Dem Evangelium vom Reiche Gottes in unserer Welt. Dies wäre dann der letzte Sinn und das innerlich Gemeinte des Konzils. Können wir aber behaupten — wenn wir alle Dokumente des Konzils durchlesen, wenn wir das Bestreben der Kirchen nach Selbstbestätigung (oft mit Hilfe der Religion) betrachten —, die Zielrichtung des Konzils sei das Evangelium gewesen? Ich glaube ja! Meiner Ansicht nach war alles, was auf dem Konzil sonst noch geschehen ist und sich

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung