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Kreta und Wien sind nicht zwei Welten, sagt Metropolit Arsenios Kardamakis. Doch die Gefahr besteht, dass Europa zwei Welten schafft.

Er ist gebürtiger Kreter und seit Ende 2011 griechisch-orthodoxer Metropolit von Austria sowie Exarch von Ungarn. Arsenios Kardamakis, 39, gehört als Mönch dem Kloster Epanosifi in Zentralkreta an und war seit 2004 Generalvikar der griechisch-orthodoxen Metropolie von Frankreich. Nach dem Tod von Metropolit Michael Staikos wurde er vom Synod des Ökumenischen Patriarchats zu dessen Nachfolger gewählt. Am 4. Dezember 2011 trat er sein Amt in Wien an.

Die Furche: Was ist die Aufgabe Ihrer Kirche hier in Kreta und Griechenland?

Arsenios Kardamakis: Es ist Aufgabe der Kirche, den Menschen beizustehen, mit ihnen mitzugehen, für sie da zu sein. In dieser Krise muss die Kirche den Leuten nicht nur geistlich und spirituell helfen, sondern sie hat all ihre Möglichkeiten auszuschöpfen und auch materielle Hilfe anzubieten. Das macht die Kirche so gut das möglich ist. Sie versucht dort zu helfen, wo es nötig ist: Menschen, die nichts zu essen oder keine Arbeit haben, dürfen nicht alleingelassen werden. Das ist eine große Aufgabe. Und es geht auch darum, die Einheit des Volkes zu wahren.

Die Furche: Hat die Wertschätzung der Kirche in der Krise zugenommen?

Kardamakis: Ich denke, ja. Die Leute schätzen, was die Kirche tut. Man soll aber nicht glauben, die Leute kommen bloß in die Kirche, weil sie hier materielle Hilfe erhoffen. Es ist positiv, wenn Menschen neue Wege beginnen, wenn sie das Problem verstanden haben und für eine neue Lösung kämpfen.

Die Furche: Man hört immer wieder, die Krise sei nicht nur eine wirtschaftliche, sondern sie erschüttere die Gesellschaft in ihren Grundwerten und auch in ihrer spirituellen Kompetenz. Gibt es da nicht auch diesbezügliche Versäumnisse der Kirche?

Kardamakis: Die Kirche muss das Evangelium verkünden und für die Wahrheit kämpfen. Ja, die Kirche hat - wie die Gesellschaft insgesamt - Verantwortung zu übernehmen: Auch sie hat sich darauf verlassen, dass alles gut gehen wird, sie hat ihre Alarmrufe nicht rechtzeitig hören lassen.

Die Furche: Sie sind ein Wanderer zwischen den Welten - Sie kennen nun Österreich ein wenig und Kreta sehr gut. Was unterscheidet diese beiden Welten?

Kardamakis: Es könnten zwei Welten werden. Das ist die größte Gefahr der Krise. Ich halte das für einen Fehler der europäischen Politik. Aber Gott sei Dank waren die Völker Europas solidarisch. Aber die Gefahr ist nicht gebannt, dass die Krise in Europa zwei Kategorien von Ländern schafft.

Die Furche: Es soll in der EU nur die eine Kategorie geben, in der sich die Stärkeren um die Schwächeren mühen, in der Solidarität hohen Stellenwert hat?

Kardamakis: Europa sollte eine Familie sein, wo man für alle sorgt, es sollte nicht Stärkere und Schwächere geben. Europa sollte so funktionieren, dass nicht zwei Kategorien an Mitgliedern entstehen: die einen, die produzieren, und die anderen, die kaufen, die einen, die gut leben, die anderen, die das nicht tun. Davon haben die Visionäre Europas gerade nicht geträumt. Es handelt sich um mehr als um eine Wirtschaftsunion.

Die Furche: Die Visionäre der europäischen Einigung kamen von einem christlichen Menschenbild her, sie hatten meist einen katholischen Hintergrund. Die Orthodoxen sind eine Minderheit. Hat die Gefahr der zwei Kategorien, die Sie ansprechen, damit zu tun? Kann man mit Griechenland so umspringen, weil es orthodox ist?

Kardamakis: Das glaube ich nicht. Die christlichen Wurzeln sind unser gemeinsames Erbe. Da gibt es keine Unterschiede. Solidarität und Liebe sind den Christen gemeinsam. Es gibt eben nicht zwei Kategorien. Christus ist für die Ost- und die Westkirche der gleiche. Die menschlichen Werte sind gleich. Es sollte hier keinen Unterschied geben.

Die Furche: Dennoch: Gibt es einen spezifisch orthodoxen Beitrag für Europa? Etwas, worüber man sagt: Zur europäischen Lunge gehört auch ein orthodoxer Lungenflügel?

Kardamakis: Da ist die Tradition, die in der Orthodoxie stärker ist als im Westen und auch die Kultur Griechenlands. Seit Jahrtausenden sind die Werte Griechenlands: Demokratie, Solidarität, Liebe, Gastfreundschaft, Mitgefühl, Sympathie. Das könnte Griechenlands Beitrag zu Europa sein.

Die Furche: Ist es ein Teil des gegenwärtigen Problems, dass das säkulare Europa die gemeinsame Geschichte und die gemeinsamen Werte vergessen hat?

Kardamakis: Ja. Man muss sagen: Europa hat sein Ziel verloren.

Die Furche: Und was wäre das Ziel?

Kardamakis: Die Vision Europas war die Vereinigung der Völker, eine Einheit in der Vielfalt. Und dass die christliche Kultur, die gemeinsamen Wurzeln, das Erbe der Zivilisation uns helfen sollte, zu diesem Ziel zu gelangen. In dieser Einheit in der Vielfalt soll es nicht Stärkere oder Reichere geben.

Die Furche: Wie sehen Sie die Zusammenarbeit mit anderen christlichen Kirchen?

Kardamakis: Die ist uns aufgegeben, es gibt keine Alternative zum Dialog. In Europa sollten alle Christen versuchen, das gemeinsame Erbe zu bewahren, das Evangelium zu verkünden und eine Kirche für die Menschen zu sein. Christus ist gekommen, um den Menschen zu retten. Und das sollen wir weiter versuchen - als eine Kirche, die Christus und den Menschen im Zentrum hat. Wir beten jeden Tag für diese Einheit - ich hoffe, dass ich sie noch erleben werde. Das hängt aber nicht von uns ab, sondern von Gott.

Die Furche: Doch schon innerhalb der Orthodoxie ist Einheit nicht einfach. So wird an einem panorthodoxen Konzil gearbeitet. Wann wird dieses stattfinden?

Kardamakis: Der Ökumenische Patriarch Bartholomaios müht sich, die orthodoxen Kirchen zusammenzubringen. Ich hoffe, das panorthodoxe Konzil wird bald Wirklichkeit.

Die Furche: Was kann dieses Konzil leisten?

Kardamakis: Es soll klarmachen, dass wir eine Kirche sind. Natürlich sollen auch differente Aspekte diskutiert und gemeinsame Lösungen gesucht werden.

Die Furche: Was sind zurzeit die Hauptdifferenzen innerhalb der Orthodoxie?

Kardamakis: Eigentlich nur Kleinigkeiten, die oft mit Jurisdiktionen zu tun haben.

Die Furche: Also eher Fragen der Kirchenstruktur denn theologische Fragen?

Kardamakis: Differenzen in theologischen Fragen gibt es nicht, weil der Glaube die Einheit vorgibt. Es geht mehr um Fragen, die mit Organisation zu tun haben.

Die Furche: Sie sind nun eineinhalb Jahre in Österreich. Wie fühlen Sie sich da?

Kardamakis: Ich fühle mich sehr zu Hause - und bin sehr zufrieden.

Die Furche: Sie bereuen also nicht, dass Sie nach Österreich gekommen sind.

Kardamakis: Auf keinen Fall! Ich bin Gott sehr dankbar dafür!

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