Das große Theologiewerk der Jahrtausendwende

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Der 10. Band des Lexikons für Theologie und Kirche rundet das Standardwerk ab und zeigt, dass Theologie nie abgeschlossen ist.

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Der 10. Band des Lexikons für Theologie und Kirche rundet das Standardwerk ab und zeigt, dass Theologie nie abgeschlossen ist.

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Rund 18 Kilogramm Gewicht, mehr als siebzig Zentimeter Länge im Bücherregal, ein ganzes Monatsgehalt weniger am Konto - zahlt sich diese Belastung aus? Welche Bedeutung hat eine akademische Theologie in der pluralistischen Welt von heute (und morgen), in der das kirchliche Christentum schon lange keine zentrale Rolle mehr spielt?

Der soeben erschienene zehnte Band der 3. Auflage des "Lexikons für Theologie und Kirche" (LThK) des gibt auf diese nachdenklich stimmenden Fragen die bereits gewohnt nüchternen, realistischen Antworten: "Das Konzil konnte der Entkirchlichung des öffentlichen Lebens insgesamt nicht Einhalt gebieten, wie viele gehofft hatten", heißt es im Artikel Vaticanum II. Die einschneidende Liturgiereform mit der Einführung der Landessprache, die Kollegialität der Gemeinschaft der Bischöfe, die Partizipation aller Getauften an der Kirche als dem Volk Gottes, der Dialog mit anderen christlichen Kirchen, mit den Weltreligionen, mit den Ungläubigen, die Förderung der kritischen Bibelwissenschaft, die Neufassung des Codex Iuris Canonici: Die Eckpfeiler der Kirchenreform im zwanzigsten Jahrhundert bleiben Programmatik fürs nächste Jahrtausend.

Vielleicht ist es Zufall, dass trotz der Ernennung des Herausgebers Walter Kasper zum Kardinal in diesem letzten Band einige Stichworte die Ungeduld der heutigen Theologengenerationen besonders deutlich widerspiegeln: Wenn es im Gegensatz zum Katechismus der katholischen Kirche eindeutig heißt, dass Todesstrafe "ethisch nicht zu rechtfertigen" ist, dass Zentralismus, wie er in den letzten Jahren des Pontifikats von Johannes Paul II. stärker geworden ist, dem Geist des Konzils nicht entspricht, dass das Turiner Grabtuch mit 95 Prozent Wahrscheinlichkeit aus dem Hochmittelalter stammt, dass in der Streitfrage der Transsubstantiation "die verschiedenen Verstehensmodelle der Realpräsenz Christi ihren kirchentrennenden Charakter verloren" haben, wenn Tradition sehr deutlich vom autoritativen Lehramt (Pius IX.: "Die Tradition bin ich ...") unterschieden wird.

Nicht wenige kirchliche Insider werden kritisch fragen, wie so profane Stichworte wie Tourismus, Treibhauseffekt, Transgene Pflanzen und Tiere, Verkehr, Weltwirtschaft in einem theologischen Lexikon angeführt werden. Die anthropologische Grundorientierung ist überhaupt das Markenzeichen dieser dritten Auflage: in keinem einzigen Artikel wird von oben herab theologisiert, immer wird auf dem humanwissenschaftlichen Befund aufgebaut.

Trauer und Trost, Tod, Zeit sind besonders gelungene Beispiele dafür, dass auch der Gläubige die irdischen Dimensionen des Mensch-Seins nicht einfach überspringen kann. Andererseits mahnen wesentliche Stichworte die Unverwechselbarkeit der Theologie ein: Trinität als unverkennbare Mitte des Christentums (im Gegensatz zum faktischen Mehrgottglauben ebenso wie in Fortführung des strengen Monotheismus des Judentums), oder Toleranz - die "Zivilisierung der Differenz, nicht Harmonie um jeden Preis". Symptomatisch auch der Gedanke zum Thema Welt: "Die Theologie muss heute Gott und Welt genauer unterscheiden lernen", also weder in einem blinden Säkularismus der Welt verfallen, noch in einer altertümlichen Weltverachtung der Welt feindlich gegenüber stehen. Wiedergeburt in seiner biblischen Bedeutung hat nichts mit Reinkarnation zu tun.

Die kleinen Eintragungen mit Erstinformationen sind erwartungsgemäß wieder sehr gründlich, es gibt zum Beispiel sowohl den Artikel Tschechische Republik als auch Tschechoslowakei, neben Wien (leider ohne ein einziges Wort über die Kirchengeschichte nach 1945), liest man auch Wiener Katechetische Bewegung, Wiener Konkordat, Wiener Kreis, Wiener Neustadt. Der Rezensent hat sogar seinen einstigen Philosophieprofessor Beda Thum gefunden, der letztes Jahr fast hundertjährig verstorben ist.

"Dem Glauben, der Wahrheit und dem Leben verpflichtet": das ursprüngliche Motto der ersten Auflage des LThK aus den Jahren 1930-1938 hat die dritte Auflage vorbildlich wieder realisiert. Sie hat der Pluralisierung Rechnung getragen, sie argumentiert weniger heils- als universalgeschichtlich, indem überall nach den Spuren des Logos gesucht wird und die Wahrheit nicht nur auf die heilige römisch-katholische Kirche reduziert wird, offene Fragen werden als solche stehen gelassen. Praxisorientierung zeigt sich weniger im manchmal fast unlesbar komprimierten Sprachstil, aber im wesentlichen doch in der Suche nach dem "das Leben erhellenden und das Tun befreienden Charakter der Wahrheit", wie es im Vorwort zum ersten Band (1993) heißt.

So wie Gottes Schöpfung erst am jüngsten Tag wirklich vollendet sein wird, so bleibt natürlich auch ein Nachschlagewerk Fragment. Im Zeitalter virtueller Überinformation, die durch das Internet vermittelt wird, beweist das LThK aber, dass gedruckte Bücher niemals ihren Wert verlieren werden. Dennoch wäre es überlegenswert, nach dem Erscheinen des 11. Bandes (Register, Nachträge) im kommenden Herbst, eine Volksausgabe in Taschenbuchformat und vielleicht auch als Homepage zu überlegen.

Lexikon für Theologie und Kirche. Band 10: Thomaschristen bis Zytomyr.

Hrsg. von Walter Kasper e.a.. Verlag Herder, Freiburg 2001, 1536 Spalten, Ln, öS 2.958,-/e 214,97

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