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Das Heilige, der Mythos und der Logos

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Die Religionen und das Heilige. Elemente der Religionsgeschichte. Von Mircea Eliade. Aus dem Französischen übersetzt von M. Rassem und I. Köck. Otto-Müller-Verlag, Salzburg. 600 Seiten

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Die Religionen und das Heilige. Elemente der Religionsgeschichte. Von Mircea Eliade. Aus dem Französischen übersetzt von M. Rassem und I. Köck. Otto-Müller-Verlag, Salzburg. 600 Seiten

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Obwohl die französische Originalausgabe in der Fachliteratur schon gebührend gelobt wurde, verdient die deutsche Uebertragung doch eine eingehende Besprechung, weil die deutsche Religionswissenschaft durch dieses Werk tatsächlich bereichert wurde. Es zeigt sich nämlich, welch positive Fortschritte diese Wissenschaft in den letzten Dezennien gemacht hat. Auch derjenige, der sich gegenüber der Phänomenologie kritisch verhält, wird eingestehen, daß diese Methode eine große und günstige Aende-rung in der Beurteilung des Sakralen hervorgerufen hat, wobei übrigens der Einfluß der Wiener kulturhistorischen Schule keineswegs übersehen werden darf. Das vorliegende Werk, das wiederholt auf die Forschungen W. Schmidts, Koppers', Schebestas und Gusindes Bezug nimmt, liefert dafür den besten Beweis. Es ist von großer Bedeutung, daß ein Gelehrter wie Eliade den Standpunkt vertritt, das Religiöse stelle eine eigene Kategorie dar. die nicht ausschließlich aus anderen Funktionen erklärt werden kann. Das Heilige ist also in seinem Wesen einzigartig und unzurückführbar, so daß nicht nur alle möglichen physiologischen, psychologischen. soziologischen, wirtschaftlichen und somit auch die historischmaterialistischen und die psychoanalytischen Erklärungen ausgeschlossen sind, sondern ebenso alle Versuche, die das religiöse Faktum aus Animismus, Fetischismus, Tote'mismus oder aus Priesterbetrug ableiten wollen. Nach Eliade ist „das Heilige vornehmlich real. Je religiöser der Mensch ist, desto realer ist er, desto mehr reißt er sich von einem der Bedeutung beraubten, irrealen Werden los“.

Der zweite große Verdienst Eliades besteht darin, daß es ihm gelungen ist, das überreiche und fast erdrückende Material in ein übersichtliches und der Materie angepaßtes System zu bringen. Nach einem einführenden Kapitel über Struktur und Morphologie des Sakralen (1) werden die religiösen Phänomene (Hierophanien) eingeteilt, und zwar nach der Art, wie sie sich auf verschiedenen kosmischen Ebenen offenbaren: der Himmel mit- den uranischen Göttern, Himmelssymbolen und -ritj||:T|II), Sonne und Sonnenkulte (III), Mond und Moipl-nstik (IV;. Wasser und Wassersymbole (V), heilige Steine (VI), Erde, die Frau und die Fruchtbarkeit (VII), Vegetation mit den Symbolen und Riten der Erneuerung (VIII), Ackerbau und Fruchtbarkeitskulte (IX), schließlich der heilige Raum: Tempel, Palast, Mitte der Welt (X) und die heilige Zeit mit dem Mythos der ewigen Wiederkehr (XI). Als Abschluß folgen 'zwei wertvolle Darstelluneen über Morphologie und Struktur der Mythen (XII) sowie über Struktur der Symbole (XIII). Der zweite Band wird die übrigen religionsgeschichtlichen Probleme behandeln.

Obwohl manchmal Wiederholungen und Ueber-schneidungen vorkommen, erweist sich die Einteilung als sehr sinnvoll und praktisch, so daß der Leser auf Grund einiger Fundamentalphänomene in die Welt des Sakralen eingeführt wird. Aber weiter kommt er nicht — und der Verfasser weiß es —, denn es handelt sich vorwiegend um äußerliche Erscheinungsformen, die sich zwar an das Heilige herantasten, ohne jedoch darüber viel mehr auszusagen, als daß es das Gegenteil des Profanen ist. Ein einziges Mal wird es als das Vollkommene und Fremde beschrieben, als das Kraftvolle, das Angst hervorruft (tremendum), aber die sonstigen subjektivbetonten Qualifikationen, wie numinosum, fascinans, ineffabile, justum, paternum, amabile oder gar jucundum, kommen hier nicht zur Sprache — und der unvorbereitete Leser fühlt sich enttäuscht. Das ist natürlich die Folge einer Methode, die darauf abzielt, aus möglichst vielen Religionen das Gemeinsame bzw. den gleichen und daher sehr kleinen Nenner herauszufinden, denn der Verfasser hat sich zum Ziel gesetzt, „Hinter der äußeren Vielgestaltigkeit der (Baum)symbolik eine durchgehende Struktur zu suchen“ (S. 300). Trotzdem sind die hier erworbenen bzw. geordneten Kenntnisse sehr wertvoll, zeigen sie doch die gemeinsame Richtung und die allgemeine Struktur, ohne daß jedoch die Möglichkeit einer eigenen Differenzierung oder Korrektur ausgeschlossen wäre. Uebrigens beschreitet Eliade hier nicht den ausgetretenen Erklärungsweg der historischen Abhängigkeit. Wenn er zum Beispiel im Zusammenhang mit der Wassersymbolik eine Parallele zwischen Vorgeschichte und christlicher Taufe sieht, betont er ausdrücklich, die Taufe befinde sich „auf anderer religiöser Ebene“, worauf er folgen läßt: „Es ist hier nicht nach .Einflüssen' und .Entleihungen' zu fragen, denn solche Symbole sind archetypisch und universell: sie offenbaren die Situation des Menschen im Kosmos und stellen seine Lage in der Geschichte und vor der Gottheit (vor der absoluten Realität) dar“ (S. 228). In diesem Sinne und mit Berücksichtigung der Unterschiede fällt auch auf mehrere alttestamentliche und christliche Hierophanien oder Symbole ein neues Licht; wir denken hier an die Steinsymbolik, an Beth-el und die entsprechenden „baytili“ aus der gräko-römischen Welt, an den Baum der Erkenntnis und des Lebens, an das Kreuz und das lebendige Wasser, wobei der Verfasser klar hervorhebt, daß nicht die Steine oder das Wasser an sich verehrt wurden, sondern die in ihnen lebende Kraft. „Es handelt sich also nicht um ein pantheistisches Gefühl der Sympathie oder Anbetung der Natur“, sondern das Zeremoniell gründet auf einer Gesamtschau des biokosmischen Heiligen, das sich auf allen Ebenen kundtut (S. 371). Damit stimmt sowohl die neue Definition des Mythos („heilige Handlung“, „bedeutungsvolle Gebärde“, „uranfängliches Ereignis“) wie die Charakteristik der heiligen Feier überein, welche letztere gleichfalls in anderen Religionen nicht eine reine Wiederholung oder nur Gedächtnisfeier, sondern eine Wiederverwirklichung ist. Was Eliade in diesem Zusammenhang und mit Wahrung der Differenzen über das Meßopfer schreibt, wäre vielleicht geeignet, Andersdenkende in den Geist oder das Klimat der Liturgie einzuführen.

Das systematische Heranziehen von Parallelen birgt natürlich die Gefahr in sich, daß die wesentlichen Unterschiede übersehen und verwässert werden. Dieser Gefahr ist der Verfasser nicht entkommen, vor allem auch deshalb nicht, weil er — selbst ein Phänomenologe — den früher religiös denkenden Menschen gleichfalls eine phänomenologische Weltschau unterschiebt, wofür er den Beweis schuldig bleibt. Die Deduktion, die sie zur Erkenntnis des Höheren führte, ist nach Eliade nicht als „logische, rationale Operation“ (S. 62) zu verstehen. Daraus folgt dann, daß er ihnen vor allem in dieser Beziehung fast jedes rational-kausale Denken abspricht, weswegen er sich auch W. Schmidt unmöglich anschließen kann, der in diesen Akten und Ideen rationale Ansichten sah (S. 83). Ferner ist Eliade begreiflicherweise so sehr von der Richtigkeit seiner Einteilung überzeugt, daß er dieser Systematik alles opfert und somit unter anderem behauptet, die Schlange sei gleichzeitig Verführer und Schützer des (biblischen) Lebensbaums gewesen (S. 329).

Es wäre pedant, einem so gut informierten Fachmann den Vorwurf zu machen, seine systematische und vorbildliche Bibliographie weise einige Lücken auf (zum Beispiel einige Werke von Seifert, F. Dolgen Festugiere oder Jaeger), aber man kann sich doch dem Eindruck nicht entziehen, daß die Afrikanistik zu wenig Berücksichtigung gefunden habe. Die Ueber-setzung ist im allgemeinen gewissenhaft, zeigt aber nicht nur in der Transskription der Namensformen und Bezeichnungen eine zu starke Transparenz des französischen Originals. Hoffentlich läßt der zweite Band dieses wertvollen Werkes nicht zu lange auf sich warten.

Frühlicht des Geistes. Wandlungen des Weltbildes im( Alten Orient. Von Henri und H. A. Frankfort, John A. Wilson, Thorkild Jacobsen. Deutsche Uebertragung von Peter Düllbe.rg.W. Kohlhammer, Stuttgart. 288 Seiten (Urban-Bücher, 9).

Das für einen breiteren Leserkreis bestimmte und vorzüglich übersetzte Buch enthält eigentlich nur eine Einführung in das ägyptische und meso-potamische Weltbild. Die vier Verfasser vertreten die sich allmählich durchsetzenden und einsichtsvolleren Auffassungen über das mythische und sakrale Denken, das sie als ein persönliches und konkretes Denken beschreiben. Es steht unmittelbar unter göttlicher Einwirkung und ist daher nicht nur mythisch, sondern mythopoetisch, indem es von einer „dramatischen Naturauffassung“ (A. J. Wensinck) getragen wird. Die räumlichen Begriffe sind konkrete Ortsbestimmungen, denn sie „beziehen sich auf Orte, die emotionelle Färbung tragen, können vertraut oder fremdartig, feindlich oder freundlich sein“ (S. 29). Gleicherweise ist die Zeitauffassung qualitativ wertend und konkret, nicht quantitativ messend und abstrakt. Ebenso wie jeder Sonnenaufgang und jeder Neujahrstag den ersten Sonnenaufgang des Schöpfungstages darstellen, werden auch bestimmte archetypische Orte, wie Urhügel, als an verschiedenen Stellen überall im Lande vorhanden gedacht (S. 33). Aus diesen Formulierungen spricht ein selber Geist wie aus den Werken Mircea Eliades, obwohl sein Name nicht in der kurzen, aber ausgezeichneten Bibliographie aufscheint.

Da das ganze Denken und Handeln der Aegypter und Mesopotamier sakralbedingt war, werden das Universum, die Funktion des Staats und die Lebenswerte Altägyptens sowie das mesopotamische Weltbild in seiner Entwicklung, das Staatswesen und das „rechte Leben“ unter diesem Gesichtspunkt sehr sachkundig beschrieben. Als Abschluß folgt eine kurze Abhandlung über die Ueberwindung des Mythos durch luden und Griechen. Ganz besonders wird die Einmaligkeit des alttestamentlichen Gottesbegriffes hervorgehoben, das in „seiner Selbständigkeit“ einen überwältigenden Eindruck hinterläßt, weil es die absolute Transzendenz Gottes postuliert. Auf Grund eines so hohen Grades der Abstraktion ist das Alte Testament auffällig arm an Mytho-logemen. Das alles klingt so Verständnis- und einsichtsvoll, daß man sich um so mehr über die Schlußfolgerung wundert, wonach in den Sprüchen Salomonis die Weisheit Gottes personifiziert — und materialisiert sei. Das jüdische Denken hätte also doch den mythischen Einschlag nicht vollständig überwunden, weil es „einen neuen Mythos schuf: den vom Willen Gottes“, der sich dann zum sogenannten späteren Mythos vom Königreich Gottes entwickelte (S. 250). Auch ohne diese Konstruktion wäre die einzigartige Leistung der Griechen unangetastet geblieben, denen es mit ihrer eigentümlichen intellektuellen Beherztheit vorbehalten war, eine Form spekulativen Denkens zu entdecken, in der das Mythische vollends überwunden wurde (S. 254).

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