John Henry Newman - © iStock / ilbusca

„Das Herz spricht zum Herzen“

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John Henry Newman, Vordenker eines modernekompatiblen Katholizismus, wird am 13. Oktober in Rom heiliggesprochen. Eine Annäherung

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John Henry Newman, Vordenker eines modernekompatiblen Katholizismus, wird am 13. Oktober in Rom heiliggesprochen. Eine Annäherung

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Am 13. Oktober wird John Henry Kardinal Newman heiliggesprochen. Hat die Kirche damit Frieden mit jener Persönlichkeit geschlossen, die öfters in Rom der Häresie angeklagt wurde und die in der katholischen Kirche, in die er am 9. Oktober 1845 eintrat, lange unter der Wolke leben musste? Denn Newman bestätigte niemals nur seine Kirche, sondern mutete ihr Entwicklung und Aufbruch zu. Deshalb wurde er mit Recht der „geheime Peritus des II. Vatikanischen Konzils“ und „Kirchenvater der Moderne“ genannt.

Warum berührt er Menschen bis heute? Weil er uns dazu ermutigt, dem Wandel der Geschichte und des eigenen Lebens mit jener Hoffnung zu begegnen, die er in jenem Wort ausgedrückt hat, mit dem er konvertierte: „In einer Höheren Welt ist es anders, aber hienieden heißt leben sich wandeln, und voll­kommen sein heißt sich oft gewandelt haben.“

England – Pionierin der Moderne

Newmans Lebenszeit (1801–1890) umspannt jenes England, das als Pionierin der Moderne gilt: Empirische Wissenschaft und Technik, Dampfmaschine und Eisenbahn, freie Marktwirtschaft, Kapitalismus, Industriegesellschaft und viktorianisches Zeitalter, die Philosophien von Locke, Hume und dem schottischen Utilitarismus, aber auch Marx und Darwin. Er erlebt das Ende des konfessionellen Staates, wird vom evangelikalen Aufbruch berührt und weiß um Segen und Gefährdung der liberalen Gesellschaft. Am Ende seines Lebens spricht er davon, dass das Chris­tentum einem religionslosen Zeitalter entgegengehe, in der die Idee Gottes verschwinden könnte. In diesem Zusammenhang steht die Lebensfrage Newmans: Wie kann ein Mensch nach dem Ende der Staatskirche und des kulturellen Christentums an Jesus Christus und sein Evangelium real glauben? Von dieser Frage her entschlüsselt sich sein Weg, der immer eine produktive Unruhestiftung darstellte. Für ihn wird keine Zukunft haben: eine privilegierte Kirche, die staatliche Gewalt einsetzt.

Eine Theologie, die auf begriffliche Schlüsse allein setzt, und den Glauben vor allem auf den Gehorsam zur kirchlichen Autorität baut. Chancenlos ist aber auch jener rationale Liberalismus, der sich der Zeit nur anpasst und nicht auf der Autorität der Schrift und der apos­tolischen Überlieferung beruht, deren stärks­tes Argument immer das Zeugnis von Menschen bleibt, d. h. jene Heiligkeit, die sich arm macht und immer die Gestalt des gewaltlosen Martyriums annimmt (vgl. Eph 6,11-20).

Warum ich Newman nicht nur für einen Lehrer der ganzen Christenheit, sondern als Zeuge der Humanität in der entfesselten Moderne ansehe, in der die Idee der menschlichen Person verloren gehen könnte, sei hier etwas verdeutlicht.

Schon als Jugendlicher wird Newman von der Erfahrung „myself and my creator“ geprägt. Das bedeutet, dass die Unmittelbarkeit zu Gott jede menschliche Person trägt, die von nichts und niemandem verletzt oder gar ersetzt werden darf. Deshalb kann allein das Gewissen der höchste Souverän im Leben sein: „Erst das Gewissen und dann der Papst (oder der König)“, lautet sein berühmter Spruch. Im Anspruch des Gewissens, dem Sinn für unbedingte Pflicht, werde ich aus mir herausgerufen und begegne dem Echo der Stimme Gottes. Daher haben alle Menschen das Recht, in der Religion für sich zu sprechen und ihre Erfahrungen einzubringen. Ohne freie und personale Glaubenszustimmung wird es daher keinen Glauben mehr geben. Deshalb ist eine liberale Gesellschaft auch für den Glauben ein großer Segen.

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