Das Jubiläum von außen gesehen

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Vier Korrespondenten ausländischer Zeitungen und Agenturen zu ihrer Meinung über Österreich 2005 befragt.

Reinhard Olt, Frankfurter Allgemeine Zeitung:

Ich stehe der Grundidee dieses Gedenkjahres sehr positiv gegenüber, weil es in der Tat für Österreich geschichtlich denkwürdige Ereignisse zu begehen gibt.

Selbstvergewisserung

Wie die zahlreichen Veranstaltungen im einzelnen und konkret durchgeführt werden, das müssen wir abwarten, darauf kann man gespannt sein. Generell lässt sich aus der Außenperspektive aber schon sagen, dass die österreichische Selbstvergewisserung, die Selbstbespiegelung hier einen anderen Stellenwert hat als in Deutschland. Das hängt sicher mit der unterschiedlichen historischen Entwicklung zusammen: Österreich musste sich selbst immer wieder beweisen. In diesem Zusammenhang gab es ja auch die unrühmliche Diskussion, ob Österreich eine eigenständige Nation sei oder nicht. Früher wurde diese Meinung eher abgelehnt, heute wird - laut Meinungsumfragen - Österreich vom Großteil der Bevölkerung als eigene Nation gesehen.

Vergleich zu Deutschland

Ab 1945 hat man in Österreich schon sehr darauf geschaut, den eigenständigen Charakter zu betonen und auf die eigene Nation hinzuweisen, auch um sich dadurch von Deutschland zu distanzieren. Von daher hat dieses Jubiläumsjahr in Österreich einen anderen Stellenwert als in Deutschland, wo die Bespiegelung nicht in dieser Weise stattgefunden hat. Gegen diese österreichische Art mit der eigenen Geschichte umzugehen habe ich aber nichts, sondern - gerade auch weil ich selbst Historiker bin - bringe ich sehr viel Verständnis dafür auf.

Selbstbeweihräucherung

Die Gefahr der Selbstbeweihräucherung ist bei derartigen Veranstaltungen natürlich immer vorhanden, aber ich schätze sie nicht so hoch ein, wie sie derzeit in der österreichischen Publizistik eingeschätzt wird. Jede Regierung, egal wie sie eingefärbt ist, würde ein solches Jubiläum auch für die eigenen Interessen ausnützen. Aber zumindest nach dem offiziellen dickleibigen Jubiläumsband (siehe Rezension auf dieser Seite) zu urteilen, in dem von Bundespräsident Heinz Fischer über Kanzler Wolfgang Schüssel bis hin zu zahlreichen Literaten - die nicht immer von der Politik in diesem Land gerade geliebt wurden - ist eine sehr große Bandbreite an Autoren und Themen vertreten. Deshalb meine ich, dass die rote Reichshälfte in diesem Jubiläumsjahr ganz gut wegkommt.

Charles Ritterband, Neue Zürcher Zeitung:

Ich sehe Österreich etwas kritischer als es sich selbst sieht, und ich fürchte, dass die Selbstkritik, die Selbstreflexion in diesem Jubiläumsjahr nicht so zum Zug kommt, wie es eigentlich dringend sein müsste. Diese Befürchtung ist genährt durch die Ouvertüre für dieses Jahr, die für mich sehr nach einer euphorischen Selbstbejubelung geklungen hat.

Regierungsveranstaltung

Mich schockiert, dass dieses Jubiläum offenbar eine Veranstaltung der Regierungspartei Schüssel und Company wird, dass die övp das Jahr für sich monopolisiert und zu einer Art Vorwahleinstimmungsveranstaltung macht. Mir ist das als Schweizer unverständlich: Es geht ja doch um eine Nation, die ganz entscheidende Daten feiert. Da kann es doch nicht sein, dass eine bestimmte Partei mit einer bestimmten Ideologie sich quasi selbst in Szene setzt und die Geschichte so färbt, wie sie diese nun einmal färben will. Das ist nur zu 50 Prozent Schuld der övp. Genausoviel Schuld liegt bei der Opposition, die sich zu diesem Jahr offensichtlich überhaupt keine Gedanken gemacht, keine Initiativen ergriffen und der Regierung nichts entgegengesetzt hat.

Österreich hat sich in seiner Vorkriegsgeschichte, Kriegsgeschichte und - keineswegs zu vernachlässigen - in seiner Nachkriegsgeschichte erhebliche Fragwürdigkeiten geleistet. Ich finde, es würde dieser Nation sehr gut anstehen, offen und sehr selbstkritisch über diese Dinge nachzudenken. Diese Nachdenklichkeit wäre wichtiger als der Jubel.

Aus Schweizer Sicht

Wir haben in der Schweiz 1991 unser 700-Jahr-Jubiläum gefeiert. Und wir haben uns anlässlich dieses Jubiläums buchstäblich zerfleischt, weil wir einfach nicht wussten, wie wir so etwas feiern sollen. Und ich hatte damals sehr das Gefühl, wir Schweizer haben Angst vor der Selbstzufriedenheit gehabt. Wir dachten, es ist besser, die Sache selbstkritisch zu sehen. Und was ist am Ende des Jahres herausgekommen: Wir haben einen Wanderweg in der Urschweiz rund um den Vierwaldstättersee gemacht, an dem jeder Kanton mitgebaut hat. Punkt, das war's: ein bescheidenes, naturverbundenes, unprätentiöses Projekt - und das finde ich gut. An das muss ich jetzt immer denken: Dass man in der erfolgreichen Schweiz anlässlich dieses sehr großen Jubiläums nachdenklich wurde - das geht mir in Österreich ab.

Monica Fokkelman, El Mundo (Madrid):

Die geplanten Aktivitäten zum Staatsvertrag finde ich toll und wichtig. Es ist gut, dass Österreich seinen Staatsvertrag groß feiert, denn 50 Jahre Unabhängigkeit ist im europäischen Kontext nicht sehr viel. Es wird dabei sicher auch zu einer gewissen Selbstbeweihräucherung kommen, aber das ist halt typisch für ein kleines Land - ich verstehe das. Die Gefahr, dass dabei die Selbstkritik zu kurz kommt, ist natürlich groß.

Was die Feiern zum zehnjährigen eu-Beitritt Österreichs betrifft, würde ich eher vorschlagen, der Bevölkerung die neue europäische Verfassung näher zu bringen - das finde ich viel wichtiger, die Verfassung steht vor der Tür und so wie in Spanien erlebe ich auch in Österreich, dass das Wissen darüber sehr gering ist.

Keine Feiern in Spanien

Nicht vergleichen kann man das Jubiläumsjahr in Österreich mit der spanischen Sicht auf das Ende des Zweiten Weltkriegs. Dort hat der Krieg Franco an die Macht gebracht. Das hat ein völlig anderes Bewusstsein in den Menschen verursacht. Wir sind noch so mit der Verarbeitung unserer Franco-Vergangenheit beschäftigt, da kann in Spanien noch nicht so gefeiert werden wie in Österreich.

Jean-Michel Stoullig, Agence France Press:

Die 60 Jahre Zweite Republik sind Österreich doch relativ gut gelungen, es gibt also schon Grund zum Feiern. Wichtig erschiene mir, dass dabei die Selbstkritik, vor allem über Österreichs Rolle in der ns-Zeit, nicht zu kurz kommt. Der letztwöchige sehr kritische Bericht der spö über ihren Umgang mit ehemaligen Nationalsozialisten ist ein Schritt in diese Richtung. Grundsätzlich meine ich nämlich, dass die Deutschen mehr Vergangenheitsbewältigung betrieben haben als die Österreicher. Die Befürchtung der Opposition, die Regierung könnte das Jubiläumsjahr vereinnahmen, möchte ich als neutraler Agenturjournalist nicht kommentieren. Ich beobachte und schreibe das, was vor sich geht. In Frankreich jedenfalls werden die Feiern zum Kriegsende sicherlich grandioser ausfallen. Angesichts der Tragödie in Asien muss man jetzt zwar etwas zurückhaltender sein, aber sonst finde ich, man könnte auch in Österreich mehr feiern - mal sehen, wie es läuft.

Die Kommentare eingeholt hat

Wolfgang Machreich.

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