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Das Konzil von Trient und die Seelsorge heute

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Die Vierhundertjahrfeier der Eröffnung des Trienter Konzils lenkte den Blick auf die gigantische Leistung, die auf dieser Kirchenversammlung vollbracht wurde. Die seelsorgerischen Reformdekrete des Konzils sind nicht von geringerer Bedeutung als seine dogmatischen Dekrete. Diese Trienter Reformbestimmungen in der Seelsorge sind bis auf unsere Tage richtunggebend geblieben.

Es muß verwundern, daß die Reform des Trienter Konzils in der Entwicklung der Seelsorge so einschneidend gewirkt hat, nachdem alle Reformbemühungen der vor-ausgienden Konzilien, wie das Basler-Konstanzer Konzil, praktisch ohne jeden Erfolg geblieben waren. Gewiß bedurfte es langer Zeit, bis die Trienter Reform sich überall durchgesetzt hatte. Sie hat sich aber tatsächlich durchgesetzt und der neuzeitlichen Seelsorge den Weg gewiesen.

Ein Einblick in die Konzilakten, die wir heute in der Ausgabe der Görres-Gesellschaft (Concilii Tridentini Diariorum, Actorum, Epistularum, Tractatuum editio Görresiana, Freiburg — Rom 1901 ff.) beinahe vollständig vor uns haben, läßt die Gründe für die weitreichende Wirkung der Trienter Reform erkennen. Die Konzilakten sind in dieser Ausgabe in vier Gruppen geordnet. Diarien, Akten, Briefe, Traktate, von denen uns besonders die letzteren interessieren müssen. Die Veröffentlichung der Traktate ist noch nicht abgeschlossen und jjmfaßt bisher den zwölften und den ersten Halbband des dreizehnten Bandes. In diesen Traktaten legen die Vertreter der Reform auf dem Konzil ihre Forderungen dar. Wir treten hier mit den bedeutendsten Männern des Welt- und Ordensklerus in der ersten Hälfte des 16 Jahrhunderts in Fühlung, Im Sturm der Reformation waren die Ideen dieser Männer herangereift. Die Stifter der jungen Reformorden, ein C a j e-t a n von Thiene, (Jaraffa, Phillipo Neri, Ignatius, Bischöfe, wie G 1 b e r t i von Verona, Gherio, Beccadelli, Otto Truchseß von Augsburg, aber auch Theologen aller Länder, selbst Laien, wie der nachmalige Kardinal GaspareContarini, zählten zu ihnen. Schon vor dem Konzil hatten sich die einzelnen Reformeifrigen in kleinen Kreisen zusammengeschlossen, waren miteinander in Fühlung getreten und hatten schriftlich in den Bischof spiegeln des 16 Jahrhunderts ihre Ideen niedergelegt * So waren sie gleichsam zu einer Reformpartei der Kirche zusammengewachsen. Die Trienter Reform kam also nicht bloß von außen her und von oben her, sie bestand nicht bloß aus dürren Gesetzen, die von einem Konzil feierlich erneuert wurden, sondern es war eine Reform von innen nach außen, aus dem engen Kreise Idealgesinnter in den weiteren Kreis der kirchlichen Würdenträger. Und es war eine Reform von unten nach oben, aus einem neu gelebten Ideal, der idealen Norm des kirchlichen und seelsorgerischen Lebens.

Um drei Kernpunkte gruppieren sich die Reformgesetze des Konzils: Bischof, Pfarrer, Orden. Diese drei stehen aber, vom seelsorgerischen Standpunkt aus betrachtet, unter einem einzigen Gesichtspunkt, das ist das Ideal des guten Hirten. (Joh. 10.)

Die mittelalterliche Seelsorgeorganisation war hervorgegangen aus dem Kampf gegen das Überhandnehmen des Eigenkirchen-wesens, das sowohl für die kirchliche Disziplin wie für die Seelsorge von größtem Schaden war Wo das Kirchengebäude Eigentum des Grundherren war, hatte dieser auch das Bestreben, den Priester nach eigenem Ermessen anzustellen; vielfach ließen die Grundherren einen ihrer Ceibeigenen zum Priester weihen, damit sie so über die Einkünfte der Kirche und des Priesters frei verfügen konnten. Dem Bischof blieb einzig das Recht, Kirche und Priester zu weihen. Diesem ffbelstand begegnete die seelsorgerische Organisation des Mittelalters dadurch, daß sie Kirche und Priester auf dem Lande mit eigenem Vermögen ausstattete, um so die Seelsorge von den Grundherren unabhängig zu machen. Auf solche Weise gelang es der Kirche, sich ebenbürtig neben die Grundherren zu stellen, ja, sie wurde nicht nur die wirtschaftliche, sondern auch die geistige Großmacht des Mittelalters Sie sicherte sich ihren Einfluß auf das gesamte öffentliche Leben und konnte dieses auch tief mit christlichem Geiste durchdringen. Eine allgemein anerkannte christliche Lebensordnung setzte sich durch, als deren Hüter sich der Kaiser selbst betrachtete. Die Kehrseite dieser v e r c h r i s 11 i c h t e n Welt des Mittelalters war aber die verweltlichte Kirche. Die in Besitz und Reichtum gründende Unabhängigkeit und Selbständigkeit befähigte die Kirche zwar zu einem großartigen kulturellen Wirken, verstrickte sie aber gleichzeitig in zahlreiche, rein wirtschaftliche Interessen. Die Pfarrorganisation erhielt im Benefizienwesen ihre Dauerhaftigkeit, aber ebenso den Keim zu ihrer Verweltlichung Die wirtschaftlichen Interessen wurden vielfach den eigentlichen seclsorgerischen Interessen nachgesetzt, durch den Reichtum der Kirche wurden zahlreiche Mietlinge angezogen, die sich unter die Zahl der wahren Hirten mengten und den Niedergang der Seelsorge herbeiführten. Es war keine Ausnahme, sondern Regel, daß die Pfründen, besonders die reicheren, einzig dem Adel vorbehalten und diesem nur Mittel zu einem sorgenfreien Leben waren. Man weidete nicht die Herde, sondern sich. Der Pfründeninhaber weilte nicht an seinem Amtsplatz, sondern ließ sich vertreten, Bischof wie Pfarrer. ** So führte die Entwicklung des Klerus und der kirchlichen Organisation immer weiter ab von den seelsorgerischen Interessen

Das Trienter Konzil sollte die Kirche aus diesem entwürdigenden Zustand befreien. Das Schlagwort der Reform hieß daher „R e s i d e n z“. Die Akten des Konziis erzählen von einem langen und zähen Ringen um dieses Dekret. Tiefe theologische Erörterungen wurden schon vor Beginn des Konzils in den Reformkreisen gepflegt und manche Autoren wollten die Residenzpflicht sogar als positiv göttliches Gesetz erklären. Diese Sentenz fand allerdings nie allgemeine Anerkennung. Trotzdem war es ein gewaltiger Sieg der Reformkreise als das Konzil das Dekret über die Residenzpflicht in der 23. Sitzung allgemein angenommen hatte.

Die Residenzpflicht ist die Grundvoraussetzung der Seelsorge. Der Hirt muß bei der Herde sein. Die mittelalterlichen Mißstände in der Vergebung der kirchlichen Benefizien hatten zur beinahe allgemeinen Vernachlässigung der Residenzpflicht geführt. Unter der Androhung der schwersten Strafen stellte nun die Reform die Residenzpflicht in den Mittelpunkt der seelsorglichen Verpflichtungen. Bischöfe und Pfarrer werden gleicherweise zur Residenz verpflichtet. Damit war der Hauptgrund für die Verwahrlosung der Seelsorge aufgedeckt und entfernt. Unwürdige Mietlinse, die nur die kirchlichen Pfründen aufzehrten, und unfähige, ungebildete Vertreter des Klerus, die mit einem durchaus ungenügenden Unterhalt die Pfnindenbes'tzer zu vertreten hatten, sollten für die Zukunft ausgeschaltet bleiben.

Der Bischof hat als guter Hirt seiner Diözese, nach den Richtlinien des Konzils, nicht bloß in dieser zu weilen, sondern sie auch zu visitieren (21. Sitzung, c. 8), ferner alljährlich mit seinem Diözesanklerus eine Svnode zu halten, an deren Stelle in jedem dritten Jahr eine Provinzialsynode zu treten hat (24. Sitzung, c. 3). Diese Versammlungen gelten der Aufrechterhaltung und Förderung der kirchlichen Disziplin und sollten das Dekret über die Residenzpflicht jedesmal erneuern. Als neue, überaus wichtige Hirtenaufgabe wird dem Bischof die Errichtung eines Seminars und die Heranbildung seines Klerus aufgetragen (23 Sitzung, c. 18). Sittliche und geistige Höherführung des Klerus nach sorgfältiger Auswahl und Durchbildung der Priesterkandidaten sollte von nun an zu den ersten Seelsorgeaufgaben des Bischofs gehören.

Da die Verkündigung des Wortes Gottes das Kernstück der Seelsorge ist, wird dem Bischof diese Aufgabe erneut zur strengen Pflicht gemacht (6. Sitzung, c. 2). Aus den seelsorglichen Verpflichtungen des Pfarrers wird besonders die Predigt genau umschrieben, die in den Trienter Reformdekreten durch die Verpflichtung zur Kinderkatechese noch erweitert wurde. Zur Sonntags- und Feiertagspredigt sollte die tägliche oder wenigstens dreimal wöchentliche Predigt in der Advent- und Fastenzeit treten So war das verpflichtende Ausmaß der Glaubensverkündigung ein bedeutend größeres geworden als bisher und gleichzeitig wurde nun unerbittlich von allen, die in der Seelsorge tätig waren, der Dienst am Wort gefordert. Bischof und Pfarrer müssen selbst predigen und dürfen ohne schweren Grund sich nicht dauernd vertreten lassen. Am Ausgang des Mittelalters war die Predigt fast ausschließlich Sache der Bettelmönche gewesen. Wenn ein Bischof predigte, erregte das die Verwunderung des Volkes. Nun wurde voni gesamten Klerus die Fähigkeit zum Predigen sowie auch ein höheres Maß von Bildung u/i d Wissen gefordert und der Schwerpunkt der Seelsorge in die Wortverkündigung gelegt. Das Dekret über die Heilige Schrift in der vierten Sitzung und über den Unterricht in der Heiligen Schrift in der fünften Sitzung führen hin zu den Quellen der echten Glaubensverkündigung.

Eine andere grundsätzliche Feststellung macht das Konzil für die Pfarrseelsorge bezüglich der Pfarrgrenzen. Nach dem Grundsatz, der Hirte muß seine Schäflein kennen, soll die Pfarrei genau abgegrenzt sein. Grund Seelsorge dadurch, daß es fordert, fürderhin solle kein Ordensmann ohne vom Bischof dazu approbiert zu sein, predigen oder Beichte hören, weder in ordenseigenen Kirchen noch in Pfarrkirchen. Die Seeisorge der Orden wurde also der Pfarrseelsorge koordiniert.

Der Stand der Seelsorge und die modernen Seelsorgebestrebungen, im Spiegel der Trienter Reformgrundsätze betrachtet, lassen eine erfreuliche Feststellung machen. Die Forderungen des Konzils, die nach Beendigung des Konzils nicht einmal überall verkündet worden waren — in Deutschland wurden sie fast gar nicht verkündet, weil nur wenige deutsche Bischöfe auf dem Konzil anwesend waren —, sind heute fast vollkommen verwirklicht. Unsere Diözesen sind nach den Grundsätzen der Trienter Reform regiert. Der Bischof tritt immer deutlicher als der erste Seelsorger der Diözese hervor. Die seelsorgliche Bildung und Ertüchtigung des Klerus nimmt einen stets wachsenden Auf/ schwung, der Glaubensverkündigung und der Katechese wird steigende? Interesse entgegengebracht, der Pfarrseelsorge wird stets größere Sorgfalt zugewandt. Allein in der Erzdiözese Wien wurden unter der Regierung Kardinal Innitzers mehr neue Pfarreien errichtet, als in den letzten für Pfarrteilung waren damals hauptsächlich die großen örtlichen Entfernungen. Hätte das Konzil die modernen Wohnverhältnisse der Großstadt vor Augen gehabt, so würde wohl auch die zu große Zahl der Pfarrkinder als Grund angeführt worden sein. Jedenfalls wurde bei dieser größten aller Seelsorgereformen die persönliche Beziehung des Seelsorgers zu seiner Gemeinde und zu seinen einzelnen Untertanen als Grundbedingung einer gesunden Seelsorge proklamiert.

In der 25. Sitzung endlich beschäftigt sich das Konzil eingehend mit der Reform der Orden. In diesem wie in den vorausgehenden Konzilien hat die Kirche den Orden ihre besondere Sorge zugewandt. Nach wie vor sollen die Orden als wichtiger Faktor der Seelsorge betrachtet werden. Von ernstzunehmender Seite wurden auf dem Konzil Anträge auf Verminderung der Orden gestellt. Wenn die Konzilväter diese Anträge fallen ließen und eine umfassende, tiefgreifende Reform der Orden anstrebten, mußten sie vom Wert und von der Notwendigkeit der Orden in der Kirche tief überzeugt sein. Sie waren aber auch von der Notwendigkeit der Orden für die Seelsorge überzeugt. Bezüglich der seelsorgerischen Tätigkeit der Ordensmitglieder wurden auf dem Konzil zwar Klagen geführt, daß die Ordensleute oft Verwirrung in der Seelsorge schaffen, so sagt besonders Ludo-vico Beccadelli in seinem Memoriile (Diariorum ... t. XII, 579 bis 581) Dementsprechend ordnet das Konzil das Verhältnis der Ordensleute zum Bischof in der 150 Jahren. Ahnliches könnte auch von anderen Großstädten gesagt werden. Auf dem Gebiet der Pastoraltheologie hat der Wiener Pastoraltheologe Heinrich Swoboda zu Beginn des Jahrhunderts in seinem hoeh-bedeutsamen Werk „Großstadtseelsorge“ (Wien-Regensburg 1911) die kirchlichen Seelsorgegrundsätze wissenschaftlich gründlich unterbaut und durch genaue statistische Aufnahme der seelsorglichen Verhältnisse in 43 europäischen Großstädten die Notwendigkeit und Richtigkeit der Pfarrteilungen nachgewiesen. Je größer die Seelsorgenot geworden ist, je weiter der Ab-bröckelungsprozeß in unserem Kirchenvolke voranschreitet, desto klarer wird es, daß die lebendige Pfarrei, die wesentlich in einer persönlichen Beziehung des Pfarrers zu seinem Kirchenvolke besteht, die Grundvoraussetzung aller Seelsorge ist.

Je mehr die Kirche aller ihrer materiellen Mittel beraubt wurde und auch der Unterstützung des Staates verlustig ging, desto energischer ging sie an den Ausbau ihrer Organisation. Schon seit einiger Zeit wird bei der Errichtung neuer Pfarreien nicht mehr mit der Aufbringung einer Pfründe, mit dem Bau von Kirche und Pfarrhaus begonnen, sondern mit der Entsendung eines Priesters in den betreffenden Seelsorgesprengel. So wird zuerst eine Gemeinde von Christen gesammelt und mit dem Gottesdienst vielleicht in einer Baracke begonnen. Ist die Gemeinde einmal gebildet, dann wird sie sich selbst ein Gotteshaus und ein Pfarrhaus bauen.

Als nicht weniger wichtig hat die seelsorgliche Not unserer Zeit die zentrale Leitung der Seelsorge durch den Bischof erwiesen. Man denke an die Errichtung der Seelsorgeämteer, die sich heute — von Wien aus angeregt — in allen österreichischen Diözesen finden. Es ließen sich zahlreiche Beispiele dafür inführen, daß durch die oberhirtliche Lenkung die Seelsorge lebensfrischer wurde. Au.-h hier also eine Bestätigung der Trienter Reformgrundsätze.

Die seelsorgliche Tätigkeit der Orden wird heute sehr weitgehend den bischöflichen Weisungen unterstellt, die alle Teilaufgaben der Seelsorge für ihre Diözesen umschreiben. Dies mag den Eindruck erwecken, daß für eine den Orden eigentümliche Seelsorge kein Raum mehr bleibt. Aber je mehr das Leben der Pfarrei erstarkt, d;sto mehr religiöse Bedürfnisse wird es geben, die zu befriedigen sind. Ebenso viele Aufgaben wird es für seelsorgende Orden geben. Sie sollen lebendige Sprossen am Baume der Kirche sein, die befruchtend und belebend auf die gesamte Seelsorge einwirken.

Das vierhundertjährige Jubiläum des Trienter Konzils, das gerade in diese entscheidende Zeit des Neuaufbaues unserer Seelorge fällt, zeigt die großen Linien, die in der Entfaltung der Seelsorge des 20. Jahrhunderts einzuhalten sein werden.

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