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Das Land hinter dem Berg

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Es liegt In der Natur des Menschen, von einer großen Aufgabe so okkupiert zu sein, daß man vor dem Berg, den es zu bewältigen gilt, das weite Land dahinter nicht mehr sieht; daß man ermattet zurücksinkt in einem Augenblicke, in dem man das neue Land betreten soll. Das Konzil ist die große Aufgabe, die vor der Kirche steht. Die Konzilsväter werden in den nächsten Wochen ganz damit beschäftigt sein, die große Arbeit hinter sich zu bringen. Trotzdem gilt es heute bereits zu sehen, was nach dem Konzil getan werden muß.

In diesen Tagen tritt das Konzil zu seiner 4. Session zusammen. Es wird nach menschlichem Ermessen die letzte Sitzungsperiode sein. Bei der Eröffnung des Konzils wußte niemand, wie lange diese Kirchenversammlung dauern wird. Niemand hatte aber auch eine Ahnung, welche Fülle neuer Probleme und Fragen an die Konzilsväter herangetragen wird. Aber einmal muß auch dieses gewaltige Vorhaben seinen Abschluß finden; es könnte sonst in den Bischöfen das peinliche Gefühl überhandnehmen, durch die Sitzungen in Rom, die nicht minder wichtigen Aufgaben in ihrer eigenen Diözese zu versäumen.

Werfen wir nochmals einen Blick zurück. Mit weitgespannten Hoffnungen hat dieses Konzil begonnen. Nicht nur die Katholiken waren es, die in das Konzil ihre Hoffnung setzten, sondern auch die Christen anderer Glaubensgemeinschaften, ja die ganze Welt — auch jene, die dem Glauben selbst entfremdet waren —, sie spürten den Sturm der geistigen Erneuerung und erwarteten von diesem Konzil die Lösungen aller Probleme und all ihrer Nöte.

Der Sturm der ersten Begeisterung ist einer gewissen Nüchternheit gewichen. Manche Erwartungen mußten zurückgestellt werden, manche Hoffnungen sind vielleicht auch enttäuscht worden. Daran sind nicht nur gewisse Ereignisse am Konzil selbst schuld, sondern auch manche Einschätzungen, die das Konzil mit Vorstellungen belasten, die einfach nicht zutreffen konnten.

Das Konzil hat ein publizistisches Echo gefunden, wie es stärker kaum erwartet werden konnte. Begreiflicherweise war aber dieses publizistische Echo nicht immer an die Wesensinhalte des Konzils gebunden, sondern an gewisse interessante, aber doch am Rande bleibende Ereignisse. Man hat das Konzil oft zu sehr als ein Kirchenparlament gesehen und Ordnungsund Denkschemata einer parlamentischen Demokratie auf das Konzil und seinen Gang anzuwenden versucht. Aber ein solcher Parallelismus mit dem Mechanismus eines Parlamentes wird dem Konzil nicht gerecht. Die Vorstellung von Mehrheit und Opposition, von links oder rechts, lassen sich nicht ohne weiteres vom Parlament auf das Konzil übertragen. In der Erwartung spannender parlamentarischer

Kämpfe hat man vielleicht vergessen, daß bei aller Verschiedenheit der Ansichten im einzelnen die Liebe zur Kirche, die Verbundenheit mit der Kirche, das gemeinsame Interesse, an der Erneuerung ckr Kirche mitzuarbeiten, größer ist alle von außen gesehenen Ansätze zu Gruppen- und Fraktionsbildungen. Alle Konzilsväter sind überzeugt, daß die beharrenden Kräfte in der Kirche eine ebenso wichtige und heilsgeschichtliche, eine ebenso bedeutende Aufgabe haben wie jene, die ungestüm nach vorne drangen.

Ziel des Konzils ist es, die Kirche zu erneuern. Jede Erneuerung birgt ein Element der Unruhe in sich. Wir. sollten uns daher nicht wundern, wenn dieses Konzil auch bei manchen Katholiken, welche die Kirche nur als einen Ort unerschütterlicher Ruhe gesehen haben, durch Vorgänge, aber auch durch Ergebnisse des Konzils in Unruhe versetzt wurden. Vielfach rührt diese Unruhe schließlich daher, daß man zwischen dem unveränderlich Göttlichen und dem wandelbar Menschlichen in der Kirche nicht zu unterscheiden vermag. Sie rührt daher, daß man kirchlicherseits manches, ja vieles als unveränderlich angesehen hat, was in Wirklichkeit nur eine menschliche Ausprägung in einer räumlich und zeitlich begrenzten Umwelt war.

Man hat einerseits Erwartungen und Hoffnungen an das Konzil geknüpft, die nach menschlichem Ermessen unerfüllbar waren. Man hat aber auf der anderen Seite das Konzil zu sehr als eine nur menschliche Institution gesehen. Wenn der Kirche vom auferstandenen Herrn der Beistand des Heiligen Geistes, des Trösters, verheißen wurde — und das ist ein Grundelement ihrer Existenz in dieser Zeit —, dann muß man auch das Wirken des Geistes in Rechnung stellen, wenn auch diese Wirkung im einzelnen nicht immer vorausberechnet werden kann: „denn der Geist weht, wo er will“. Wir sollten daher — ohne darum aufzuhören, mit allen unseren Kräften nach dem zu streben, was wir als richtig erachten — doch demütig annehmen, daß die Ergebnisse schließlich anders ausfielen, als es menschliches Streben und menschliches Planen in verschiedener Hinsicht erahnen ließen. Was der große Johannes, von göttlicher Eingebung getrieben, begonnen hat, das hat Paul VI. fortgesetzt. Zwei Menschen, so verschieden in ihrem Naturell, so verschieden auch in ihren Methoden, so verschieden in ihrer menschlichen Ausprägung — beide aber waren eins in ihrem Wülen, die Kirche zu erneuern, damit Christus in einer erneuerten Kirche, neu in Erscheinung trete.

Die 4. und letzte Session des Konzils wird eine entscheidende sein. Die Fülle der Arbeit, die dem Konzil in der nächsten Zeit obliegt, läßt sich in drei Gruppen teilen:

• Erstens werden die Generalkongregationen über eine Reihe von bereits durchberatenen Konzilsvorlagen abzustimmen haben.

• Zweitens: Vorlagen, für die zahlreiche Abänderungen vorgeschlagen werden, müssen in der Form, in der sie von den Kommissionen nochmals vorgelegt wurden, durchberaten und beschlossen werden.

• Drittens wird das Konzil sich mit einigen neuen Fragen nochmals zu befassen haben, weil ein neuer Text vorliegt. Dies gilt von dem bekannten Schema 13, „Kirche und moderne Welt“, von der Frage der Religionsfreiheit, dem Schema über die Missionen und dem Schema über das Pries tertum.

Das Schema 13 wird als ein sehr umfassendes und schwieriges sehr viel Zeit beanspruchen. Hier könnte sich nun die Gefahr ergeben, daß das Konzil — in einem begreiflichen Bestreben, mit seiner ganzen Tagesordnung noch vor Jahresschluß fertig zu werden — gerade dieses Schema in einer Eile behandelt, die einer gründlichen Erörterung nicht gerecht werden kann. In einem solchen Falle würde ich daher dafür plädieren, daß jene Teile des Schema 13, „Die Kirche und die moderne Welt“, die vom Konzil selbst in der gestellten Frist nicht mehr bewältigt werden können, der nachkonziliaren Kommission überlassen werden.

Das Konzil wird nicht, oder nicht nur, in den Abstimmungen und Beschlüssen während der Konzilssessionen selbst entschieden, sondern es wird sehr wesentlich mitentschieden werden in der Zeit nach dem Konzil. Es ist daher durchaus berechtigt, wenn wir jetzt schon einen Blick auf die Zeit nach dem Konzil werfen. Das Konzil selber hat mehrmals seinem Wunsche Ausdruck gegeben, daß verschiedene

Aufgaben — neben der Durchführung und Überwachung der Konzilsbeschlüsse — durch die postkon-zilioren, das heißt, die nachkonziliaren Kommissionen übernommen werden. Während die Konzilskommissionen durch das Konzil selbst gewählt worden sind, obliegt die Bestellung der nachkonziliaren Kommissionen dem Papst, der — wie sich aus den errichteten nachkonziliaren Kommissionen ergibt. — bei deren Zusammensetzung den Gang und die Tendenz des Konzils gewissenhaft berücksichtigt. Denn in diesen Kommissionen soll der Geist und der Wille des Konzils weiterleben.

Eine sehr bedeutende Einrichtung, die nach Abschluß des Konzils im Sinne und Geiste der Kirchenversammlung weiterwirken soll, wird ein Bischofssenat sein, in welchem das Bischofskollegium seinen praktischen Niederschlag finden wird. Zusammensetzung, Funktion und Arbeitsweise dieses Bischofsrates wird daher weitgehend über die Auswirkungen des Konzils zu bestimmen haben. Der Heilige Vater hat bereits wiederholt auf dieses Vorhaben Bezug genommen und damit den Vorschlag zahlreicher Konzilsväter selber aufgegriffen. In diesem Gremium werden nicht zuletzt die nationalen Bischofskonferenzen vertreten sein, so daß die übernationale Kirche in ihrer Einheit und Vielfalt sich darin widerspiegelt.

Die große Fülle und die zahlreichen praktischen Auswirkungen im rechtlichen Bereich der Kirche, die durch die Konzilsdokumente sich ergeben, werden im kirchlichen Gesetzbuch ihren Niederschlag finden müssen. Es ist daher eine der ersten nachkonziliaren Aufgaben, das kirchliche Gesetzbuch vollständig umzuarbeiten. Die Kommission für die Neugestaltung des Kirchenrechtes ist bereits eingesetzt. Ihr obliegt daher eine große Aufgabe für die Zeit nach dem Konzil. Bei der Neufassung der kirchlichen Gesetze wird es notwendig sein, den oben erwähnten Unterschied zwischen dem unveränderlichen göttlichen Recht und den wandelbaren menschlichen Satzungen besonders zu beachten.

So wie auf der Ebene der Weltkirche die nachkonziliaren Kommissionen darüber wachen, daß der Geist des Konzils auch in der Durchführung der Konzilsbeschlüsse lebendig bleibt, so sind die Konzilsbeschlüsse selbst in die Praxis des kirchlichen und religiösen Lebens der einzelnen Diözesen umzusetzen. Dies wird vor allem den Diözesan-synoden vorbehalten sein. Für die Erzdiözese Wien ist die Abhaltung einer solchen Diözesansynode bald nach Beendigung des Konzils bereits angekündigt. Aufgabe der Diözesansynode wird es sein, das Aggiorna-mento, die Konfrontierung des Konzils mit der Umwelt, zu vollziehen.

Die letzte und entscheidende Ausprägung des Konzils findet aber im einzelnen Menschen statt. Nicht bloß das Organisatorische, das Strukturelle allein, so wichtig es auch ist, wird darüber entscheiden, was das Konzil gewollt hat und was es bewirkt hat. Die Kirche wird nur dann eine erneuerte Kirche sein, wenn jeder einzelne Christ die Verbindung mit Christus in seinem Glauben und in seinem praktischen religiösen Leben erneuert. Christus wird dann in Seiner Kirche, in Seiner erneuerten Kirche neu in Erscheinung treten, wenn Er vom Herzen eines jeden Christen Besitz ergreifen kann.

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