Das latente Ringen mit der VERGÄNGLICHKEIT

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Inwiefern sind menschliche Verhaltensweisen durch die versteckte Angst vor dem Tod geprägt? Drei amerikanische Psychologen sind dieser Frage seit gut 30 Jahren auf der Spur.

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Inwiefern sind menschliche Verhaltensweisen durch die versteckte Angst vor dem Tod geprägt? Drei amerikanische Psychologen sind dieser Frage seit gut 30 Jahren auf der Spur.

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Aus seiner Haltung zum Tod hat Woody Allen nie ein Hehl gemacht: "Ich bin strikt dagegen", bemerkte der US-Filmregisseur, und präzisierte an anderer Stelle: "Ich habe keine Angst vor dem Sterben. Ich möchte bloß nicht dabeisein, wenn es passiert." Ein bisschen Humor schadet sicher nicht, um mit dem Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit zurechtzukommen. Dass der Tod der "Wurm im Kern unseres gewöhnlichen Vergnügens" ist, hat der amerikanische Philosoph und Psychologe William James in seinem einflussreichen Werk "Die Vielfalt religiöser Erfahrung" (1902) diagnostiziert: "Hinter allem steht das große Gespenst des universalen Todes, die allumfassende Schwärze." Und bereits Buddha hatte im sechsten vorchristlichen Jahrhundert verkündet: "Von allen Fußspuren ist die des Elefanten die größte. Von allen Meditationen ist die über den Tod die größte." Seinen Schülern legte er nahe: "Einen Tag mit Einsicht in die Vergänglichkeit zu leben ist besser als hundert Jahre ohne diese Einsicht durchs Leben zu gehen."

Experimente und Anekdoten

Auf solch tiefsinnigen Pfaden wandeln nun auch Sheldon Solomon, Jeff Greenberg und Tom Pyszczynski. Die drei amerikanischen Psychologie-Professoren nähern sich dem Thema freilich mit den Methoden der modernen Wissenschaft. Und erkennen im Anschluss an William James "mittlerweile überzeugende Beweise dafür, dass der Tod tatsächlich der Wurm ist, der Menschen das Dasein madig macht". Ihr Buch mit der groß angelegten Zusammenschau jahrzehntelanger Forschungen wurde heuer ins Deutsche übersetzt ("Der Wurm in unserem Herzen"). Es präsentiert einen anregenden Streifzug durch die Geschichte, die Naturund Geisteswissenschaften, Laborstudien und persönliche Anekdoten aus dem Alltag. Die eigentliche Inspiration der Autoren allerdings stammt von Ernest Becker. Der Kulturforscher postulierte in seiner posthum mit dem Pulitzer-Preis prämierten Arbeit "Die Überwindung der Todesfurcht"(1973), dass der Mensch durch das unbewusste Verlangen getrieben wird, sich über seine Endlichkeit zu erheben. "Wir entwickeln Charakter und Kultur", so Becker, "um uns mit ihrer Hilfe vor dem niederschmetternden Gewahrwerden unserer grundsätzlichen Hilflosigkeit und der Furcht vor unserem unausweichlichen Tod zu schützen".

Was bei Becker vorwiegend spekulativ entfaltet wird, versuchen die drei US-Psychologen durch handfeste empirische Studien zu ergründen. Dafür verwendeten sie unter anderem einen Fragebogen, bei dem ein Teil der Studienteilnehmer mit der eigenen Sterblichkeit konfrontiert wurde. Diese mussten angeben, welche Gefühle das Denken an den eigenen Tod in ihnen auslöst und was mit ihnen zum Zeitpunkt des Todes geschehen wird. Der andere Teil der Probanden fungierte als Kontrollgruppe: Sie mussten zwar auch einen Fragebogen beantworten, wurden dabei aber nicht mit unangenehmen Fragen zum Tod behelligt. Und siehe da, die Ergebnisse waren oft verblüffend: Richter, die zuvor über ihre eigene Sterblichkeit nachgedacht hatten, fällten strengere Urteile. Amerikanische Studierende, die an ihre Sterblichkeit erinnert wurden, sahen proamerikanische Äußerungen viel positiver und antiamerikanische Bemerkungen viel negativer als ihre Kollegen in der Kontrollgruppe. Und die so befragten Teilnehmer neigten dazu, Menschen mit einem abweichenden kulturellen oder religiösen Weltbild stärker zu diskriminieren. Umgekehrt entwickelten Probanden, deren eigenes Weltbild infrage gestellt wurde, häufiger Todesgedanken: Kanadier etwa, die zuerst herabwürdigende Äußerungen über ihr Land lesen mussten, tendierten daraufhin öfter zur Assoziation von Begriffen, die mit Tod und Sterben in Zusammenhang standen. Das gleiche galt für Kreationisten, die mit einem wissenschaftlichen Fund konfrontiert wurden, der die Darwinsche Evolutionstheorie bestätigt und somit im krassen Widerspruch zu ihren religiösen Überzeugungen steht.

Die "Terror-Management-Theorie"

Was das alles bedeutet? Die drei Autoren sehen darin die Bestätigung eines Konzepts, das sie seit den 1980er-Jahren entwickelt haben: die "Terror-Management-Theorie". Demnach legt sich der Mensch im Laufe seiner Entwicklung gleichsam ein existenzielles Schutzschild zu, um mit der latenten Furcht angesichts des unausweichlichen Todes zurechtzukommen. Dieses beruht auf zwei inneren Säulen zur Angstbeherrschung: erstens der Beheimatung in einem kulturellen Weltbild - also einem übergeordneten Zusammenhang, der über das menschliche Leben hinausweist, diesem einen Sinn zuschreibt und dem Individuum ein Gefühl von Sicherheit gibt. Und zweitens in der Ausbildung eines gesunden Selbstwertgefühls, das ebenfalls als Angst-Puffer wirkt. Die erwähnten Studien deuten darauf hin, dass im Falle der Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit dieses Schutzschild unbewusst aktiviert wird.

Gelingt diese Abwehr nicht, entstehen Risse im Schild, die auch zu psychischen Störungen führen können: So gehen die Autoren davon aus, dass bei vielen Geisteskrankheiten die Angst vor dem Tod eine wichtige Rolle spielt: bei der posttraumatischen Belastungsstörung, aber auch bei Schizophrenie, Zwangsneurosen und Phobien, Depression, Alkohol-und Drogensucht. So nehmen Menschen, denen man in Studien ihre Sterblichkeit ins Bewusstsein ruft, mehr Alkohol zu sich oder greifen leichter zur Zigarette. Und Raucher, die über ihre Vergänglichkeit sinniert haben, ziehen länger und stärker am Glimmstängel, um die inhalierte Nikotinmenge zu erhöhen.

Alte Weisheit stärken

Die Vorstellung, dass das Bewusstsein unserer Sterblichkeit unser Denken und Handeln beeinflusst, ist uralt. Mit ihren Experimenten leisten die Autoren einen modernen Beitrag zur Ergründung dieser Idee, die bereits von altgriechischen Philosophen und Historikern formuliert wurde. Dabei erliegen die drei US-Professoren jedoch der Versuchung, ihre eigenen Befunde für ebenso universell zu halten wie das Thema selbst. Das führt dann soweit, zeigen zu wollen, dass "unser Bestreben, unserer existenziellen Angst Herr zu werden, buchstäblich alles menschliche Tun beeinflusst" und zu postulieren, dass der Gedanke an unsere Sterblichkeit "vom Trivialen bis hin zum Monumentalen" reicht -"was Sie zu Mittag essen, wie viel Sonnencreme Sie sich am Strand gönnen, für wen Sie bei der nächsten Wahl stimmen werden, Ihr Konsumverhalten, Ihre körperliche und geistige Gesundheit, wen Sie lieben und wen Sie hassen". Das aber ist aus den teils abstrusen psychologischen Studien, die im Buch ohne Einsicht in deren exakte Methodik wiedergegeben werden, wohl kaum abzuleiten.

Auch ob die Einstellung zum Tod scheinbar naturgesetzlich nur durch Angst und Terror gekennzeichnet ist, wäre zu hinterfragen. Gewiss gibt es unterschiedliche Reifegrade im Umgang mit der eigenen Sterblichkeit, und innere Sicherheit entsteht dabei nicht nur durch eine starre Weltsicht in Schwarz-Weiß-Kategorien, wie das die "Terror-Management-Theorie" beschreibt. Man könnte auch auf die Idee kommen, dass der Tod als gemeinsames menschliches Schicksal kulturelle Grenzen überwindet und letztlich Freund und Feind verbindet.

Die Reflexion der Todesfurcht kann sehr hilfreich sein, gerade auch im Umgang mit anderen Menschen, betonen die Autoren. Moderne Wissenschaft soll somit alte Weisheit stärken: Denn das Bewusstsein, dass hier "keiner lebend rauskommt"(Jim Morrison), kann das Leben grandios bereichern.

Der Wurm in unserem Herzen

Wie das Wissen um die Sterblichkeit unser Leben beeinflusst.

Von S. Solomon, J. Greenberg, T. Pyszczynski, DVA 2016.367 S., geb., € 25,70

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