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Das Leben nach dem T ode

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Es begann damit, daß die Tageszeitung „Dagens Nygheter“ im Mai 1947 in einer Enquete christliche Theologen aufforderte, zur Frage des „Lebens nach dem Tod e“ sich zu äußern. Natürlich suchten die Befragten zu erklären, welche Gründe sie zum Glauben an die Unsterblichkeit der Seele bewogen. Ein paar Tage nach Veröffentlichung der letzten Antwort erschien ein Aufsatz über eben dieses Thema, dem schließlich eine ganze Serie nachfolgte. Der Autor I n- gemar Hedenius, damals noch Dozent an der Universität Upsala, suchte darzuilegen, daß es — keine Unsterblichkeit gäbe. Er machte sich über die Stichhaltigkeit der christlichen Argumente ein wenig lustig und verband mit seiner Kritik schließlich inen Appell an den modernen Humanismus, sich von diesem Wahn endlich zu „befreien“. Es sei im Grunde Egoismus, dier in uns dieses Wunschdenken hervorbringe. „Wir wollen nicht denken, daß wir wirklich sterben werden, und deshalb reden wir uns ein, unsterblich zu sein.“ Es gäbe also nur eine einzige Sterblichkeit. Und wenn man Angst vor dieser Realität empfinden sollte, so wäre es am besten, einfach davon wegzusehen und so zu handeln, als ob diese nicht vorhanden wäre.

Hedenius’ Artikel erregten großes Aufsehen, fanden auch Entgegnungen, so von dem Rektor der Volkshochschule Brünosvik, Dr. Alf A h 1 b e r g, der zu bedenken gab, daß ein Wegsehen kaum zum Heilmittel werden könnte, da unsere Zeit in sexuellen Dingen gerade dagegen gekämpft habe: die Rache des Unbewußten würde bei der verdrängten Todesangst nicht geringer werden als bei der verdrängten Libido.

Bald danach wurde die Öffentlichkeit wieder auf Ingemar Hedenius aufmerksam. 1948 veranstaltete der Rundfunk Stockholm eine Serie von Radiovorträgen, die den gemeinsamen Titel „Vad jag tror pä“ — „Woran ich glaube“ — trugen und wo Vertreter verschiedener Glaubensrichtungen zu Wort kamen. Sie begannen mit dem Bekenntnis eines Katholiken — des bekannten Strindberg- Regisseurs Olaf M o 1 a n d e r. Es folgten ein Protestant, der Schriftsteller Karl- Gustaf H i 1 d e b r a n d, ein Inder, ein Chinese, ein Jude und vor dem Abschluß durch einen Mohammedaner: Ingemar Hedenius als Sprecher der Freidenker.

Er war der einzige der Reihe, der nicht für eine Glaubenshaltung einzustehen batte, sondern für seinen persönlichen Unglauben, und deshalb erwartete man, daß er mit schlagenden Beweisen oder zumindest unmittelbar einzuisehenden Gründen auftreten würde. Alber das Gegenteil war der Fall. Ingemar Hedenius’ Worte enthielten kaum einen objektiv einleuchtenden Gedanken und beschränkten sich auf subjektive Erfahrungen oder Empfehlungen, in deren Mittelpunkt eine „Apologie“, wie er es nannte, stand: eine Verteidigung der „religiös Unschuldige n“.

Der Sprecher versteht darunter die — religiös Uninteressierten oder Naiven, diejenigen, für die Religion nicht existiert. Obzwar er sich selbst nicht zu dieser Gruppe rechnet, empfiehlt er sie seinen Zuhörern als Lösung des großen Problems. „Meine Bekanntschaft mit diesen Personen", meint er, „hat mich davon überzeugt, daß Personen, die niemals beten und nie in die Kirche gehen, ja selten oder nie fragen, ob es einen Gott gibt oder auch nur wissen möchten, was mit ihnen selbst noch dem Tode geschehen soll, sehr wohl nicht bloß tiefe Intelligenz und Gefühl für geistige Werte, sondern auch Güte und Toleranz, Mut und gute Gemütsart haben können — kurz, die besten Eigenschaften, die man sich denken kann.“

Daß dies oft zutraf und zutrifft, ist richtig. Die liberale Epoche hat eine Reihe von hoch zu achtenden Ehrenmännern unreligiöser Art hervorgebracht, die auch die christliche Toleranz anerkennt. Aber: wasbeweist es? Man kann auch mit einiger Berechtigung diesen Humanismus als einen unbewußten Rast des Christentums auffassen. Außerdem bietet die Bezeichnung „religiös Unschuldige“ keinen einheitlichen Begriff. Denn man kann sich Menschen dieser Kategorie denken, die etwa mit Noblesse Summen für philanthropische Zwecke spenden, also nach Hedenius „Güte“ besitzen und vielleicht generöser sind als mancher Sonntagskirchengänger, aber — Ohne Hemmung in geschäftlichen Dingen oder in ihrem Verhältnis zu Frauen sein können, weil sie von einem souveränen Herren! u m aus handeln. Diese Typen sind sehr häufig. Ebenso schlimm kann es werden, wenn der „religiös Unschuldige“ eine naive Person ist. Denn in diesem Fall weiß jeder Psychologe, wie leicht generöse Gutmütigkeit, die oft sogar mit Respekt für geistige Dinge wohl vereinbar ist, in das Gegenteil Umschlägen kann, wenn diese „Güte“ durch die Umstände härter angesetzt wird. Der „religiös Unschuldige“ ist also kein einheitlicher Typus, sondern eher eine romantische Vorstellung: ähnlich der des eine Zeitlang von der snobbistisehen Welt verherrlichten „unschuldigen Eingeborenen“ und kann also gar nicht dem „gläubigen Menschen“ entgegemgestelllt werden. Freilich gibt es genug Konvention und religiöse Unwahrheit auchunter den Gläubigen. Aber wie sollte jemals die Frage Glauben — Unglauben durch einen Vergleich der beiden Gruppen miteinander entschieden werden können? Man begreift deswegen kaum, wie Ingemar H e d e n i u s, der inzwischen Professor für prak- tischePhilosophie an der Universität Upsala geworden ist, überhaupt in diesem Stil argumentieren konnte. Es handelt sich ja um die tiefsten und endscheidend- sten Fragen der Menschheit.

Die Dürftigkeit dieser Behauptungen kommt dem Autor selbst wenig zu Bewußtsein. Im Gegenteil gelangt er an anderer Stelle zu ebenso unbewiesenen Ergebnissen wie blasphemischen Ausfällen gegen Dinge, die dem Christen die heiligsten sind. So wenig sparsam und so wenig wählerisch er in seinen

Angriffsmitteln war, so konnte Hedenius doch den Glauben an die Unsterblichkeit der Seele nicht „entlarven“. Er hat denn auch nicht den Versuch gemacht, die Erscheinung der Märtyrer, die seit dem Beginn des Christentums in jedem Jahrhundert trotz der veränderten Zeitstruktur wiederkehrt, zu verstehen.

Vielleicht will er auch diese letzte Selbsthingabe des Menschen als Betrug oder Selbstbetrug erklären. Hätte er recht, so wäre die gesamte christliche Welt ein einziges Tollhaus und die Blüten der christlichen Kultur, die oft so stark der edelsten Geistigkeit nichtchristlicher Völker ähnlich sind, Lüge und Wahn. Einzig die „religiös Unschuldigen“ wären die glücklichen Träger der tiefsten Wahrheit.

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