Ernesto Cardenal verstorben Tod - ©  Foto: APA / HELMUT FOHRINGER

Das Leben von Ernesto Cardenal: Der Geld-Gott als Feind der Menschheit

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Der nicaraguanische Dichter, Priester und Ex-Minister Ernesto Cardenale fühlt sich auch mit 90 Jahren als ein Revolutionär, für den Christentum und Marxismus vereinbar sind. Dass der Kardinal von Buenos Aires zum Papst gewählt wurde, grenzt für ihn an ein Wunder.

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Der nicaraguanische Dichter, Priester und Ex-Minister Ernesto Cardenale fühlt sich auch mit 90 Jahren als ein Revolutionär, für den Christentum und Marxismus vereinbar sind. Dass der Kardinal von Buenos Aires zum Papst gewählt wurde, grenzt für ihn an ein Wunder.

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Einen Papst zu erleben, der nicht wie ein Papst leben will, der nicht im Papst-Palast wohnen will, der das "Papamobil" ablehnt und der obendrein von konservativen und reaktionären Kardinälen gewählt wird, das hat sich der elf Jahre ältere Glaubensbruder aus Nicaragua in seinem Leben nicht mehr erwartet. Schließlich war es ein Papst gewesen, Johannes Paul II., der ihm bei seinem Besuch in Nicaragua im März 1983 die größte Kränkung seines Lebens zugefügt hatte. Als der Priester und damalige Kulturminister vor dem Papst kniend auf dessen Segen wartete, maßregelte ihn dieser mit erhobenem Zeigefinger wegen seines politischen Engagements.

Dieser Lebenslauf als christlicher Marxist und Revolutionär war Ernesto Cardenal, dem Sprössling einer wohlhabenden Familie spanischer Herkunft, nicht in die Wiege gelegt. In der reichen Kolonialstadt Granada am 20. Jänner 1925 geboren, zeigte er sich früh den weltlichen Freuden und Genüssen zugetan. Obwohl er vier Jahre lang in Mexiko studierte und dann drei Jahre an der Columbia University in New York, galt das Interesse des jungen Nicaraguaners aus gutbürgerlichem Haus mehr den Mädchen als den Wissenschaften. Ihnen widmete er auch seine ersten literarischen Gehversuche.

Die Liebe zu Gott brachte mich zur Revolution.

Ernesto Cardenal

Dies erfolgt allerdings nicht oder nur selten als hymnische Verehrung, sondern eher als Abrechnung für erlittene Enttäuschungen. Etwa im Epigramm an Claudia: "Und wenn du auch die Liebe verachtest, die mir diese Zeilen diktierte, so werden andere von dieser Liebe träumen, für die sie nicht bestimmt war", beklagt sich der selbstbewusste junge Mann über seine Abweisung.

Auf dem Weg zur Priesterschaft

Doch diese Erfahrungen erleichterten ihm schließlich den Weg zu einer mystischen Spiritualität. "Die Liebe zu den Mädchen brachte mich zur Liebe zu Gott". Noch später wird er sagen: "Und die Liebe zu Gott brachte mich zur Revolution." Denn in der Revolution manifestiert sich für Cardenal die Liebe zu den Armen und Unterdrückten. Und die beflügelt den 90-Jährigen auch heute noch.Nach dem Studium in New York unternahm er, wie es für Söhne der Oberklasse so üblich war, eine mehrjährige Europareise. Doch trotz oder vielleicht gerade wegen dieses unbeschwerten Lebens wuchs in ihm ein Gefühl der sozialen Verantwortung gegenüber den Mitmenschen, gegenüber der Gesellschaft. Dominierten in seinem Frühwerk die Liebesgedichte, so greift er nun immer mehr politische Themen auf, bis hin zu einer schonungslosen Abrechnung mit der Unterdrückung in seiner Heimat, die damals von der Somoza-Diktatur ausgebeutet wurde.

Cardenals markante äußere Erscheinung wird zu einem Symbol der Revolution, die schließlich im Juli 1979 den Diktator stürzt und ein neues Land aufbaut.

Bis er schließlich zur Tat greift: Er schließt sich einer oppositionellen Jugendbewegung an und beteiligt sich im April 1954 an einem Umsturzversuch. Doch dieser endet in einem Massaker an den jungen Revolutionären. Cardenal flüchtet aus Nicaragua und tritt 1956 in Gethsemany im US-Bundesstaat Kentucky in ein Trappistenkloster ein. Dort wird der einflussreiche Mönch und Mystiker Thomas Merton zu seinem geistigen Mentor. Beeinflusst von Merton, beschließt Cardenal in Gethsemany, allen weltlichen Freuden zu entsagen und Priester zu werden. Anschließend studiert er in einer Benediktinerabtei in Mexiko sowie in einem Priesterseminar in Medellín, Kolumbien.

Das Experiment Solentiname

Bereits damals schrieb er sein "Gebet für Marilyn Monroe", eine flammende Anklage gegen die Konsumgesellschaft, die den Menschen zur Ware mache und zu Grunde richte. 1965, im Alter von 40 Jahren, wird Ernesto Cardenal in Nicaraguas Hauptstadt Managua zum Priester geweiht.

Die Kontemplation, das Versinken in Gott, wurde für den engagierten Mystiker immer wichtiger, ohne deshalb gleich ein Eremiten-Dasein zu führen. Bald nach der Priesterweihe zog er sich auf der Suche nach einer neuen, universellen, politischen Spiritualität auf die Inselgruppe Solentiname im Nicaragua-See zurück und baute dort eine urchristliche Gemeinschaft auf - in literarischer Hinsicht die Vorlage für sein Werk "Das Evangelium der Bauern von Solentiname".

Jede Revolution bringt uns dem Himmelreich auf Erden ein Stück näher, auch eine verlorene Revolution.

Ernesto Cardenal

Diese Zeit bedeutete für Cardenal eine radikale Politisierung im Kampf gegen die Somoza-Diktatur. Sie wurde 1977 abrupt beendet durch einen Überfall der Nationalgarde des Diktators und der Zerstörung der Kommune. Cardenal stellt nunmehr sein Leben völlig in den Dienst der sandinistischen Revolution, als deren Botschafter er unermüdlich durch alle Kontinente reist, um finanzielle und politische Unterstützung aufzutreiben. Seine markante äußere Erscheinung - die weiße Haartracht, gekrönt von einer Baskenmütze, das Baumwollhemd und die Sandalen -wird zu einem Symbol der Revolution, die schließlich im Juli 1979 den Diktator stürzt und ein neues Land aufbaut. Und Cardenal wird damit auch zu einer Symbolfigur der weltweit aktiven Solidarität mit dem sandinistischen Nicaragua: "Die sandinistische Revolution war die humanste Revolution der Geschichte", stellte er rückblickend fest. In der neuen Regierung übernimmt er das Amt des Kulturministers.

Entfremdung von Präsident Daniel Ortega & Co

Doch der mörderische Krieg gegen die von den USA aufgebauten und ausgerüsteten "Contras" zwingt Nicaragua, alle Ressourcen in die Verteidigung der Revolution zu stecken. In der Bevölkerung und auch in der Politik zeigen sich zunehmend Ermüdungserscheinungen. 1987 wird das Kulturministerium aufgelöst; der Entfremdungsprozess zwischen dem "undoktrinären" Dichterpriester und der sandinistischen Führung unter Leitung des Präsidenten Daniel Ortega hatte bereits seinen Lauf genommen. Cardenal zieht sich wieder nach Solentiname zurück, tritt aus der sandinistischen Partei aus und wird nicht müde, den Verrat von Ortega & Co an dem sandinistischen Ideal, so wie er es verstanden, geliebt und gelebt hatte, anzuprangern.

Nichtsdestotrotz fühlt sich der Mystiker und Dichter Cardenal weiterhin als Sandinist und als Revolutionär. Die sandinistische Revolution ist für ihn auch heute noch ein Baustein auf dem Weg zu einer besseren Welt, etwa wenn er sagt: "Jede Revolution bringt uns dem Himmelreich auf Erden ein Stück näher, auch eine verlorene Revolution. Lasst uns Gott darum bitten, dass seine Revolution geschehe wie im Himmel also auch auf Erden."

Cardenal gilt neben dem Chilenen Pablo Neruda als der wichtigste Dichter Lateinamerikas. Mit seinen großen Themen wie Unterentwicklung, Konsumgesellschaft und ungerechte Weltordnung traf der Dichterpriester aber den Nerv einer ganzen Generation - auch vieler junger Christen, die sich dem Kampf um eine bessere Welt verpflichtet fühlten. Auf seiner wohl letzten Österreich-Reise im vergangenen November bekräftigte Ernesto Cardenal nochmals sein politisches Weltbild: "Der größte Feind der Menschheit ist der Kapitalismus, der Mammon, der Geld-Gott. Die daraus resultierende Ungerechtigkeit in der Welt macht mich sehr traurig. Die Botschaft Jesu lässt sich ja auch in dem einen Wunsch zusammenfassen: dass diese Ungerechtigkeit ein Ende haben möge."

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