Das letzte Band zwischen Kiew und Moskau

Werbung
Werbung
Werbung

Bis nach Österreich hinein, wo die Orthodoxen den Muslimen den Rang als zweitstärkste Religionsgemeinschaft nach den Katholiken ablaufen, reichen die Auswirkungen der verschärften Auseinandersetzung zwischen dem Ökumenischen und dem Moskauer Patriarchat um die kirchliche Zukunft der Ukraine: Der russische Erzbischof von Wien und Budapest, Antonij Sewrjuk, verlässt die seit 2010 bestehende Orthodoxe Österreichische Bischofskonferenz, da diese unter dem Vorsitz des Konstantinopler Metropoliten von "Austria" steht, Arsenios Kardamakis. Dieser Schritt gehört zu den Gegenmaßnahmen, die am 14. September auf einer Sondersitzung des Moskauer Heiligen Synods als Reaktion auf die "Einmischung" des Patriarchats von Konstantinopel in das ukrainische "kanonische Territorium" der Russen beschlossen wurden.

Konstrukt "Autokephalie"

Dabei handelt es sich um das Eingehen von Patriarch Bartholomaios I. auf das Ersuchen des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko zur Gewährung der kirchlichen Unabhängigkeit an die Kiewer Orthodoxie. Diese "Autokephalie" ist ein Konstrukt des griechischen Kirchenrechtlers Theoklitos Pharmakidis, der übrigens zwischen 1811 und 1818 als Pfarrer der Kirche Hagios Georgios in der Wiener Griechengasse gewirkt hat. Nach seiner Doktrin bekommt jeder unabhängig gewordene Staat das Recht auf eine autokephale Kirche, das heißt mit eigenem Oberhaupt. Dem modernen Griechenland wurde eine solche selbständige Landeskirche vom Ökumenischen Patriarchat 1833 zugestanden. Als der Berliner Kongress 1878 Serbien von der Vorherrschaft des Sultans befreite, erhielt Fürst Milan Obrenovi´c IV. für seine orthodoxe Kirche die Autokephalie. So ging es weiter mit jedem Staat, der sich aus dem Osmanischen Reich herauslösen konnte: Rumänien, Albanien und Bulgarien.

Immer aber war es Konstantinopel, das die Autokephalie gewährte, handelte es sich doch um seine ureigenen Jurisdiktionsgebiete. Schwieriger war es 1924 mit der Schaffung einer autokephalen Polnischen Orthodoxen Kirche. Doch in ihrem Gründungsdokument, dem "Tomos", wies Patriarch Grigorios VII. darauf hin, dass weite Gebiete im Osten des damaligen polnischen Staates zum Ökumenischen Patriarchat gehört hatten und von diesem niemals an die russische Kirche abgetreten wurden. Ob das stimmt, oder ob 1686 Konstantinopel auf die Ukraine endgültig zugunsten Moskaus verzichtet hat, ist daher jetzt auch eine Kernfrage der ganzen Auseinandersetzung um die kirchliche Zukunft der Ukraine.

Bartholomaios jedenfalls beharrt auf seiner Zuständigkeit für Kiew und hat den Endspurt für die Verkündung der Autokephalie eingeleitet. Vergeblich haben der Moskauer Patriarch Kyrill I. und sein kirchlicher "Außenminister" Metropolit Hilarion Alfejew am 31. August bei persönlicher Vorsprache im Phanar versucht, den Ökumenischen Patriarchen umzustimmen: Bartholomaios ließ sie mit der Feststellung, "die Autokephalie ist eine beschlossene Sache", einfach abblitzen. Für den Patriarchen von Moskau und "ganz Russland" war das eine unerwartete und unerhörte Demütigung. Die russische Kirchenführung hüllte sich daraufhin in betroffenes Schweigen, bis der Phanar weiter vorpreschte: mit der Entsendung von zwei Exarchen (Legaten) nach Kiew zu letzten Vorbereitungen für die feierliche Erklärung der Autokephalie.

Jetzt musste Moskau handeln, wenn es nicht sein Gesicht verlieren wollte. Dennoch sind seine Reaktionen eher maßvoll ausgefallen: Der Ökumenische Patriarch wird aus den liturgischen Fürbitten gestrichen, wie das schon einmal Mitte der 1990er Jahre während der Auseinandersetzung um die Jurisdiktion über die Orthodoxen von Estland der Fall war. Neu ist allerdings ein Konzelebrationsverbot zwischen russischen und Konstantinopler Bischöfen. Schwerer wiegt auch der Beschluss, die Vertreter des Moskauer Patriarchats aus allen Gremien abzuziehen, die durch einen Hierarchen von Bartholomaios geleitet werden. Wie das eben bei der Orthodoxen Österreichischen Bischofskonferenz der Fall ist. Dasselbe gilt auch für die orthodoxe Dialogkommission mit der römisch-katholischen Kirche.

Krieg der Worte

Jetzt ist es am Phanar, sich in Schweigen zu hüllen. Umso geharnischter hat inoffiziell der Metropolit der kleinasiatischen Marmorinsel Proikonissos (Marmara adasi) reagiert: Joseph Harkiolakis ist ein bis in die europäische Diaspora der Orthodoxie hinein wegen seiner irenischen Spiritualität gesuchter Seelenführer. Diesmal nimmt er sich aber kein Blatt vor den Mund: "Der Patriarch von Moskau sägt am eigenen Ast, er schneidet regelrecht die Pulsadern seiner Kirche auf [ ] Sein Hochmut wird vor dem Fall kommen!"

Je mehr in der Ukraine die Gewissheit wächst, dass die Autokephalie sicher und unmittelbar bevorsteht, desto zahlreicher werden Berichte, dass dort Priester und sogar Bischöfe die Konmemorierung des Moskauer Patriarchen aufgeben und durch jene des Ökumenischen Patriarchen ersetzen. Wo das noch nicht geschieht, gebe es Unmutsbezeugungen aus dem Kirchenvolk, sooft der Name von Kyrill zu hören ist. Diese Berichte erscheinen durchaus glaubwürdig: Schon 1997 war Bartholomaios bei seinem Besuch auf der damals noch ukrainischen Krim von den versammelten Volksmengen und Priesterscharen als "unser Patriarch" begrüßt und umjubelt worden.

Unzufriedener Putin

Im Phanar wird auch darauf hingewiesen und mit Dokumenten belegt, dass ein großer Teil des Episkopats der noch moskautreuen Ukrainisch-Orthodoxen Kirche nach Herauslösung von Kiew aus der Sowjetunion 1991/92 auch für kirchliche Unabhängigkeit von Moskau eingetreten war. Unter ihnen sogar der heutige Oberhirte dieser Gruppierung, Metropolit Onufrij Beresowskij von Kiew. Er hatte als damaliger Bischof von Czernowitz und der Bukowina mindestens drei Resolutionen unterzeichnet, in denen eine Autokephalie gefordert wurde. Onufrij, der in allen kirchlichen Lagern der gespaltenen ukrainischen Orthodoxie hohes Ansehen genießt, wird auch ein persönlich gutes Verhältnis zum heute wichtigsten Widersacher Moskaus in der Ukraine, Filaret Denisenko, nachgesagt, der an der Spitze des gesamtorthodox nicht anerkannten "Kiewer Patriarchats" steht. Filaret hatte die ukrainische Orthodoxie im Verband des Moskauer "allrussischen" Patriarchats von 1966 bis 1992 geleitet, nachdem er zuvor Bischof in Wien gewesen war. Zuletzt ist auch aufgefallen, dass Onufrij wegen "Krankheit" nicht am Moskauer Synod des 14. September teilnahm, aber sehr wohl in Kiew gesund an die Öffentlichkeit trat

Nach Informationen aus Moskau zeigt sich auch die Umgebung von Präsident Putin unzufrieden mit dem Abschneiden von Patriarch Kyrill in seiner Machtprobe mit Konstantinopel. Der russische Staat habe der Kirche in dieser Auseinandersetzung gewaltige Mittel zur Verfügung gestellt und politische Rückendeckung gewährt, Putin persönlich mit Bartholomaios in der Angelegenheit telefoniert. Trotz alledem gehe die kirchliche Bindung von Kiew an Moskau als letztes Band zwischen der Ukraine und Russland verloren

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung